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Richard Strauss: &dquot;Eine Alpensinfonie&dquot;

Die Deutsche Grammophon hat eine neue "Alpensinfonie" auf den Markt gebracht, einen Live-Mitschnitt vom Oktober letzten Jahres aus dem großen Saal des Wiener Musikvereins mit den Wiener Philharmonikern unter der Leitung von Christian Thielemann. * Musikbeispiel: Richard Strauss - 'Sonnenaufgang' aus: "Eine Alpensinfonie" Richard Strauss lebte die Devise, das Leben sei dazu da, Kunst zu schaffen, und dies war ihm in einem 85 Jahre langen Leben ausgiebig vergönnt: als weltweit berühmter Dirigent und als international beachteter Komponist, dessen schöpferisches Werk sich neben einigen Jugend- und Alterswerken in zwei Schaffensperioden einteilen lässt: die frühere, in der vor allem seine großen Orchesterwerke entstanden und die spätere, in der die Oper im Mittelpunkt seines Interesses stand. Früh hatte er erkannt, dass es für ihn nicht mehr darum gehen konnte, die alten sinfonischen Formen, vor allem den Sonatenhauptsatz, mit neuen Tönen zu füllen. Ihm war klar, dass neue Gedanken auch neue Formen erforderten, dass außermusikalische Stoffe Anlass für absolute Musik werden können. So stand in seinem Schaffen nicht die Sinfonie oder das Solokonzert im Vordergrund, sondern, anknüpfend an Berlioz und Liszt, die sinfonische Dichtung. Seine Stoffe bezog er dabei aus der Weltliteratur, sei es nun Don Juan, Macbeth, Till Eulenspiegel oder Don Quixote, oder aus der eigenen Erfahrung, was für "Ein Heldenleben", die "Symphonia domestica" oder die "Alpensinfonie" gilt. Hauptsache war, dass die poetische Idee genügend Schaffensimpulse gab und formbildende Kräfte enthielt, dann sprudelte Strauss' Erfindungsreichtum, entstanden seine typischen weitausholenden, zupackenden Melodien, dann entwickelte sich Musik sozusagen logisch aus sich selbst. * Musikbeispiel: Richard Strauss - 'Auf blumigen Wiesen' aus: "Eine Alpensinfonie" Vermutlich im August 1878 hatte der damals 14jährige Richard Strauss vom oberbayerischen Murnau aus eine strapaziöse Bergpartie unternommen, die ihn sehr beeindruckte und die er anschließend - für sich am Klavier improvisierend - als riesige Tonmalerei darstellte. Mehr als 20 Jahre später erinnerte er sich wohl an dieses Jugenderlebnis und begann in Garmisch mit den Skizzen zur "Alpensinfonie", seiner letzten sinfonischen Dichtung. Mit dem Blick aus seinem Arbeitszimmer auf die Zugspitze und das Wetterstein-Massiv gelang ihm eine realistisch-illustrative musikalische Bergtour und seine formal wie auch instrumental aufwendigste Tondichtung. Das Aufgebot von Musikern ist kolossal: die Partitur verlangt allein 64 Streicher und entsprechende Holz- und Blechbläserbesetzung; außerdem reiches Schlagwerk mit Herden-Geläut, Windmaschine und Donnerblech, Orgel und als Fernorchester für die Jagdszene mit Echowirkungen noch einmal 16 Blechbläser außerhalb des Saales...

Ludwig Rink |
    Anhand von mehr als 20 programmatischen Überschriften kann der Hörer das 50minütige Tongemälde in bildliche Vorstellungen übersetzen: den Höhepunkt und die Mitte des Werkes bildet die Episode "Auf dem Gipfel", darum herum gibt es eine weitgehend symmetrische Anlage, die mit "Nacht" beginnt und endet. Wir erleben Sonnenauf- und -untergang, hören die Mühen des Auf- und des Abstiegs. Dazwischen der "Eintritt in den Wald", die "Wanderung neben dem Bache", "Wasserfall", "blumige Wiesen" und die durch eine Vielzahl von Kuhglocken handfest dargestellte "Alm". Nach "Irrwegen durch Gestrüpp und Dickicht" erreichen wir den Gletscher und nach gefahrvollen Augenblicken endlich den Gipfel. Dort ist noch Zeit für eine Vision, aber dann steigen Nebel auf, die Sonne verdüstert sich allmählich, es entsteht die berühmte Stille vor dem Sturm und dann folgt eins der dramatischsten Gewitter der Kompositionsgeschichte: grell zuckende Blitze vor drohend ruhigem, spannungsvoll geladenem Hintergrund, Donnergrollen, das sich nähert und später wieder entfernt, peitschender Sturm... * Musikbeispiel: Richard Strauss - 'Der Anstieg' aus: "Eine Alpensinfonie" Im deutschen Sprachraum, wo man sich mit schildernder, Geschichten erzählender Musik traditionell schwerer tut als in den romanischen Ländern, löste und löst die Alpensinfonie mit ihrem teilweise recht derben Naturalismus bei Kritik und Wissenschaft immer wieder Diskussionen aus. Mit seinem fast trotzigen Hinweis "Ich hab' einmal komponieren wollen, wie die Kuh Milch gibt" hat Strauss selbst auch noch eher Öl ins Feuer dieser Diskussion gegossen. Viel zu selten erwähnt wird dabei ein anderer, philosophischer Hintergrund des Werkes. Zwischen den ersten Skizzen und der Uraufführung 1915 lagen 15 Jahre - für den eigentlich eher zügig komponierenden Strauss eine ungewöhnlich lange Schaffenszeit. Ein Grund hierfür war wohl, dass Strauss gerade nicht eine naturalistische Bergsinfonie schreiben wollte, sondern sich an der Gedankenwelt von Franz Liszts sinfonischer Dichtung "Ce qu'on l'entend sur la montagne" aus dem Jahre 1850 orientierte. Liszt schilderte hier die Reinheit der Natur, der er die Verdorbenheit des Menschen gegenüberstellte. Diesem typisch romantischen Denken wollte Strauss sein eigenes, von Friederich Nietzsche und der Gründerzeit geprägtes Naturverständnis entgegensetzen: In den frühen Skizzen folgt auf die Bergbesteigung eine "Pastorale Szene mit Tanz und Prozession", ein Abschnitt mit "Träumen und Gespenstern" sollte mit dieser Idylle kontrastieren und sie somit zumindest infrage stellen; und für den Schluss hatte Strauss einen Teil vorgesehen, der eine "Vision des neuen Menschen der Tatkraft" darstellen sollte, "auch autobiografisch verstanden": Tatkraft als künstlerische Schaffenskraft. 1911 schrieb Strauss in sein Tagebuch: "Ich will meine Alpensinfonie 'der Antichrist' nennen, als da ist: sittliche Befreiung durch Arbeit, Anbetung der ewigen, herrlichen Natur." "Arbeit" ist so wie "Bergbesteigung" offensichtlich etwas Heroisches, Abenteuerliches, höchst Gefährliches. Diese Arbeitsethik war für Richard Strauss selbst wie für den Bürger der Gründerzeit allgemein das zentrale Lebensprinzip, das vorher für undenkbar gehaltene, gerade auch technische Erfolge und Abenteuer ermöglichte: Eisenbahn, Ozeanriesen, beginnender Flugverkehr. Strauss und seine Zeitgenossen meinten, durch heftiges Arbeiten zu "Übermenschen" im Sinne Nietzsches werden und sich so von der Enge und den Zwängen des Christentums befreien zu können. Angesichts der Großartigkeit der Natur jedoch, die sich dem Wanderer auf dem Gipfel in voller Pracht bietet, erklingt in der Alpensinfonie schließlich doch kein übermütiger Gipfelrausch, sondern die "Anbetung der ewigen, herrlichen Natur". * Musikbeispiel: Richard Strauss - 'Vision' aus: "Eine Alpensinfonie" Der Abstieg vom Berg wird in einem Zug geschildert, schneller und dramatischer als der in Szenen unterteilte Aufstieg, denn die Natur ist schließlich doch stärker als der Mensch. Ein Gewitter, komponiert als chaotische Katastrophe, jagt ihn vom Gipfel. Auch der "Übermensch" des jungen 20. Jahrhunderts ist trotz aller Erfindungen und Erfolge schwächer als die Natur, die nicht mehr als Idyll, sondern als potenzielle Gewalt begriffen wird. Strauss komponierte zwei Tondichtungen, die sich mit Nietzsches Philosophie beschäftigen: "Zarathustra" und "Eine Alpensinfonie". In der einen steigt der Philosoph vom Berg zu den Menschen hinab, in der anderen versuchen die Menschen, den Gipfel zu erklimmen, der im übertragenen Sinne auch für geistige Höhenflüge, Leichtigkeit des Denkens, Abgehobensein über die Niederungen des Menschlichen verstanden werden kann. Doch die Bergwanderer werden aus der Höhe in die Tiefe getrieben, der Elan und die Höhenflüge der Gründerjahre zerbrechen an den verheerenden Material- und Menschenschlachten des 1. Weltkriegs. * Musikbeispiel: Richard Strauss - 'Gewitter, Sturm, Abstieg' aus: "Eine Alpensinfonie" Die vorliegende Einspielung der Alpensinfonie von Richard Strauss dokumentiert Christian Thielemanns Debüt im Wiener Musikverein, das die "Neue Kronen-Zeitung" zu dem Ausruf "Ein neuer Stern am philharmonischen Dirigentenhimmel" hinriss. Selbstbewusst, von kräftiger Statur und immer ein wenig von unten fotografiert posiert der langjährige Generalmusikdirektor der Deutschen Oper Berlin vor Wiener Jugendstil-Ornamentik. Sein Herangehen an die Alpensinfonie ist von großer Begeisterung für diese Partitur gekennzeichnet, kraftvoll und zupackend, ohne Scheu vor dem Auskosten sämtlicher Möglichkeiten des großen Apparates, durchdacht und dennoch höchst emotional.. Thielemann hat ein "Händchen" gerade für diese große Musik, da besteht keinerlei Zweifel - und auch die mitgelieferte "Rosenkavalier-Suite" zeigt großes Format. Ihr Schluss-Walzer soll den Ausklang dieser Sendung bilden. * Musikbeispiel: Richard Strauss - aus: "Rosenkavalier-Suite"