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Richter und ihre Seilschaften in der Kritik

Die EU-Kommission warnt erneut: Rumänien und Bulgarien müssen den Reformprozess forcieren, wenn sie wirklich bis 2007 der Europäischen Union beitreten wollen. Besonders heikel: Die Themenfelder Korruption und Justiz. In Rumänien kommt beides oft zusammen - dort sind viele Richter bestechlich. Annett Müller berichtet.

25.10.2005
    Manuela Ionescu hatte bis zuletzt nicht geglaubt, dass sie aus ihrer schönen Wohnung in der Bukarester Innenstadt ausziehen muss. Sie hatte das herrschaftliche Appartement Mitte der 90er Jahre von der Stadt gekauft und war stolze Besitzerin, bis sich eines Tages ein zweiter Eigentümer meldete. Der Fall kam vor ein Bukarester Gericht und Manuela Ionescu gewann. Kein Grund für die Gegenpartei aufzugeben, sie ließ einen zweiten Prozess aufrollen, bei dem es ganz und gar nicht mit rechten Dingen zuging. Es gab neue Beweise, aber keine Zeugen und es gab vor allem einen bestechlichen Richter. Manuela Ionescu ließ ihm 3000 Euro zukommen. Auch deshalb will die 50-jährige Frau, die perfekt Deutsch spricht, ihren richtigen Namen und Wohnort nicht nennen:

    "Wir wissen, dass das nicht funktioniert, wenn man nicht auch Geld gibt. Es war viel zu wichtig für uns. Wir konnten nicht riskieren, zu sagen, doch wir werden gewinnen, wir geben kein Geld. Wenn so eine große Konkurrenz ist, ist es gut, dass Du da noch jemanden hast, entweder der Druck ausübt oder, dass Du Geld geschoben hast, und wahrscheinlich haben wir nicht genügend Geld gegeben."

    Gebracht hat es ihr nichts, Manuela Ionescu verlor trotz Bestechung; vermutlich hatte die Gegenseite noch mehr gezahlt. Wie stark die richterlichen Instanzen von Korruption durchdrungen sind, lässt sich schwer messen. Doch bringen bereits Einzelfälle die gesamte Branche in Misskredit. Denn wer vertraut schon einer Justiz, die die Gesetze bricht, über die sie wachen soll? Für die landesweit bekannte Politikexpertin Alina Mungiu-Pippidi sind die Bestechungsfälle jedoch das weitaus kleinere Problem. Viel einflussreicher sei der Parteienfilz, dem sich die Juristen verpflichtet fühlen und mit dem sie Karriere machen können:

    "Diese mächtigen Seilschaften sind 1990 entstanden, als alle wichtigen Stellen der höheren Gerichtsinstanzen neu besetzt worden; natürlich mit Personen, die ein gewisses Alter haben. Das sind Richter mit kommunistischer Vergangenheit und aus dieser Zeit stammen auch ihre politischen Kontakte. Sie wollen am liebsten heute noch kontrollieren, wer von den jungen Nachwuchsrichtern am besten in ihr System passt und wer nicht. Und das zu ändern, ist ein schwieriger Kampf."

    Längst hat die Bukarester Regierung den Justizbereich zu einem Top-Thema erklärt, auch weil die EU-Kommission in Brüssel auf strukturelle Veränderungen drängt. Bewirkt hat das einiges. So werden die Prozesse an die Richter neuerdings nicht mehr von ihren Chefs vergeben, sondern als Zufallstreffer per Computer ermittelt. Dass soll politischen Seilschaften die Wirkung nehmen. Auch dreht sich das Personalkarussell. So tauschte das Justizministerium im Sommer die Staatsanwälte der Nationalen Antikorruptionsbehörde aus.

    Über die alte Mannschaft hieß es, sie habe zu selten stichhaltige Beweise geliefert. Der Delegationschef der EU-Kommission in Bukarest, Jonathan Scheele, weiß den Reformwillen der rumänischen Regierung zu schätzen. Doch konkrete Ergebnisse im Kampf gegen die Korruption wären ihm lieber:

    "Es ist sehr schwer, von der breiten Bevölkerung zu erwarten, dass sie von der alltäglichen Bestechung ablässt, wenn sie immer nur sieht, dass korrupte Führungskräfte in Wirtschaft und Politik irgendwie davonkommen. Es kann nicht sein, dass die Ermittlungen immer ins Leere laufen, ein paar Leute zwar befragt werden, aber sie dennoch nicht gestellt werden. Das ist nicht nur für die EU wichtig, sondern vor allem für die Rumänen."

    Für Manuela Ionescu ist das kein Trost. Zu enttäuscht ist sie, dass sie ihre Wohnung abgeben musste. Sie fragt sich, was gut formulierte Gesetze nützen, die die Europäische Union zwar beeindrucken, an die sich im Land aber kaum einer hält:

    "Einer der großen Advokaten, die uns beraten haben, hat uns gesagt, wissen sie, hier in Rumänien ist, wer mehr Geld hat, der gewinnt. Das wird nicht weggehen, so schnell, vielleicht in den nächsten Generationen."

    Manuela Ionescu will die neue Zeit nicht einfach abwarten, sondern beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte den Fall noch einmal prüfen lassen. Vielleicht wird sie ihn erneut verlieren, aber sie wird bei dem Straßburger Urteil wissen, dass diesmal wirklich Recht gesprochen wurde.