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Richtig essen mit dem Chef

In den Personlabteilungen der deutschen Unternehmen achtet man immer mehr auf gutes Aussehen und Auftreten. Die Mitarbeiter sind das Aushängeschild für die Firma. Deshalb werden Etikette-Seminare immer öfter gebucht. Sowohl von Privatpersonen als auch von Firmen.

Von Annegret Faber |
    "Ja, meine Damen und Herren, dann herzlich willkommen zu unserem Nachmittag: Etikette und moderne Umgangsformen."

    Jörg Kracht ist um die 60 Jahre alt. Er trägt Nadelstreifenanzug und Goldarandbrille. Um ihn versammeln sich drei Männer und elf Frauen - von der Jeans bis zum Anzug ist alles vertreten.

    "Ich durfte mal einen Empfang gastronomisch leiten, für das Internationale Olympische Komitee. Und da gab es einen Martini-Cocktail mit einer Olive mit Kern. Ein deutsches IOC-Mitglied steckte den Olivenkern in die Westentasche."

    Erleichterung in der Runde, denn mit dieser Episode wird klar: Selbst routinierte Geschäftsleute wissen nicht immer, wie sie sich richtig verhalten sollen. Tino Albrecht, 35 Jahre, Angestellter in der Pharmaindustrie, ist öfter zu Geschäftsessen geladen. Er möchte peinliche Situationen dieser Art vermeiden und besucht deshalb das Seminar:

    "Da ist das Gegenübertreten, Respekt zeugen durch gutes Benehmen das man auch den Respekt wieder bekommt. Wir fahren ja auch viel ins Ausland, da gutes Benehmen zeigen, auch geschäftlich natürlich."

    Was er hier lernt, kann er zwar auch im Knigge nachlesen, aber hier macht es einfach mehr Spaß. Außerdem gehört der Seminarleiter zu den Knigge-Experten und ist immer auf dem aktuellen Stand. Auch hochrangigen Politikern bringt er bei, wo es lang geht.

    "Sie sollten sogar darauf achten, wenn Sie gestreifte Krawatten tragen, dass die dann wenn man vor Ihnen steht, nach rechts oben gehen, nicht nach rechts unten. Also, so ist es richtig."

    Ein Teilnehmer ist im Anzug erschienen. Der Magdeburger Helge Hennig. Er sitzt am Ende der Tafel, an der die Teilnehmer mittlerweile Platz genommen haben. Kracht steht neben einem Beamer der die wichtigsten Fakten zum nachlesen an die Wand projiziert.
    "Aber meine Herren. Nicht die einfachen schwarzen Socken, sondern schwarze Kniestrümpfe müssen es sein. Schwarze Kniestrümpfe!"

    Langsam entspannt sich die Stimmung. Auch Helge Hennig sitzt nun auffallend lässig auf seinem Stuhl. Der schlaksige 35-Jährige kommt aus der Hotelbranche und zählt schon beinahe zu den Etikette-Profis. Er ist hier um sein Wissen zu überprüfen.
    "Also jetzt im Großen und Ganzen wüsste ich jetzt nicht, wo ich sagen würde, das ist ganz neu. Das einzige ist mit dem Smoking, dass man den nur im Dunkeln anzieht."

    Unterdessen redet sich der Etikette-Trainer in Rage. Während des fünfstündigen Vortrages wird er immer munterer. Die Gäste ebenso.

    "Dann hat man das Bestreben die Krawatte zu lockern und den Kragenknopf zu öffnen, meine Herren: nicht erlaubt! Auf jeden Fall nicht als Erster. Sondern das Signal zu dieser Marscherleichterung gibt der Gastgeber. Aber nur mit Genehmigung der Gastgeberin und die Gastgeberin wird diese Genehmigung auch erst frühestens zum Kaffee nach dem Dessert geben, wenn der offizielle Teil vorbei ist."

    Während Kracht über die Kleiderordnung spricht, wird der Hummer serviert. Eine feinmotorische Herausforderung!
    "Doch das kriegen sie mit der Gabel raus gezogen. Immer weiter immer weiter, fassen sie richtig kräftig zu. Und in dem kleinen Teil ist das beste Fleisch von dem ganzen Hummer."

    Teilnehmer: Ich hab jetzt ein bisschen Hummer im Zahn, muss ich da jetzt Pause machen oder kann ich das am Tisch machen?

    Den Zahnstocher niemals am Tisch verwenden, mahnt Kracht mit erhobenen Zeigefinger. Die Teilnehmer danken es ihm. Denn das wichtigste Anliegen der Zuhörer ist: in der Öffentlichkeit sicher aufzutreten.

    Teilnehmerin: "Es gibt immer wieder Situationen, wo ich unsicher bin, wie zum Beispiel den Hummer auseinanderknacken. Also oftmals guckte ich dann, wie machen die anderen das oder mache ich das jetzt richtig oder falsch?"

    Dem Geschäftspartner beim Essen auf den Teller gucken ist ganz falsch, erläutert Kracht. Im Ernstfall könne das den Job kosten. Denn:

    "Das merkt der Gastgeber sehr wohl und dann ordnet der ihre fachliche Kompetenz auch einen Level tiefer ein. Sie müssen fachlich noch kein Wort gesprochen haben. Aber dieses Sehen, dass man eine Speise nicht richtig beherrscht, kann fatale Folgen haben."

    Hier ist es unproblematisch. Die Tafel wurde in Hufeisenform zusammengestellt. So können sich die Teilnehmer besser austauschen. Dem anderen auf den Teller gucken. Das Seminar als geschützter Raum.

    Teilnehmer: "Ich bin davon überzeugt, dass das ein Schlüssel zum Erfolg ist, wenn man mit guten Kenntnissen agieren kann."

    80 Euro kostet das Seminar. Eine relativ geringe Summe. Andere Deutsche Etiketteschulen nehmen das Vier-, Fünf- oder Sechsfache. Die Gäste sind zufrieden und um einiges schlauer:

    "Ich habe viel gelernt, es war sehr schön."

    "Ach, noch eins habe ich gelernt: Dass man die Kartoffel mit dem Messer schneiden darf."