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Richtig sauer ist bei Holtorf wohl nur das Sauerkraut

Bei Holtdorfs stehen große Blecheimer mit Hülsenfrüchten, Würste hängen von den Haken und Käse liegt hinter der Glastheke. Ganz traditionell wie vor 100 Jahren sieht es in diesem Kolonialwarenladen aus. Und man darf sogar noch mit D-Mark zahlen.

Von Claudia Kalusky |
    Das Ostertor Viertel in Bremen kann einige, zum Teil prächtige Häuser aus dem 19. Jahrhundert vorweisen; hier reiht sich ein Straßencafé an das andere, es gibt Szenekneipen Restaurants, Boutiquen und mitten im Getümmel, durch das die Straßenbahn rauscht, befindet sich der Kolonialwarenladen.

    Der rote Holtorf-Schriftzug aus alten Zeiten auf dem Schaufenster ist unübersehbar. Beim Eintreten in den rund 60 Quadratmeter großen Verkaufsraum fühlt man sich sofort in Zeit der Jahrhundertwende zurück versetzt.

    Fast das gesamte, in dunklem Holz gehaltene Interieur stammt aus dem Jahre 1903. Der Blick nach oben richtet sich auf hohe, weiße Stuckdecken; nur die Lampen sind im Krieg zerstört worden, adäquat ersetzt hat sie ein von der Familie Schwiering beauftragter Antiquitätenhändler.

    Der ebenfalls original erhaltene erdfarbene Mosaikboden, besteht aus sogenannten Mettlacher Kacheln. Die werden traditionell mit brauner Seife von der Chefin Irmtraud Schwiering persönlich geschrubbt und sehen noch immer tipp topp aus:

    "Die Einrichtung ist aus Eiche und wir haben hier unsere Theke, wo wir verkaufen und diese Theke ist ungefähr zehn Meter lang und aus einem Stück."

    Hinter der Theke: eine Wand aus zahlreichen Holzschubladen. Insgesamt sind es 164 Stück: alle unbeschriftet!

    Hierin finden sich unter anderem all die geheimnisvollen losen Gewürze: Das Finden gelingt aber nur den Eingeweihten.

    "Ein Bereich von 20 Schubladen, wo nur Trockenfrüchte drin sind. Wie bei Memory, sich irgendwo merken, eine Schublade und davon geht's von links nach rechts mit den Dingen."

    Und wenn sich die langjährige Mitarbeiterin Hannelore Hespe mal vertut, was durchaus passieren kann? Gibt's dann Saures von der Chefin, die übrigens durchaus auch manchmal, wenn auch selten, in die falsche Schublade greift?

    "Nein, nein, nein!"

    Richtig sauer ist bei Holtorf wohl nur das Sauerkraut. Das kommt von einer Firma, die das Kraut traditionell in speziellen Erdfässern lagert.

    Die meisten ihrer Gewürze bezieht Irmtraud Schwiering aus einer Gewürzmühle in Süddeutschland: eine der letzten ihrer Art.

    Neben außergewöhnlichen Gewürzen ist das Müsli nach Art des Hauses oder zum selber mischen der Renner in dem Bremer Tante Emma Laden.
    Gegenüber der Theke ist eine Holzleiter an den über vier Meter hohen, offenen Sortimentsregalen angebracht. Sie erinnert an eine Bibliotheksleiter, nur das sie keine Rollen hat, sondern eingehakt werden muss. Eine steile Angelegenheit; schwindelfrei sollte man in jedem Fall sein.

    Duft von frisch gemahlenem Kaffe erfüllt den Raum. Der stammt aus der letzten Kaffeerösterei Bremens, die sich im Familienbetrieb befindet. Zum Originalinventar des Kolonialwarenladens zählen zudem ein Regenschirmständer aus der Jahrhundertwende und zwei mechanische Waagen; die aus den 1930-er-Jahren stammen und dem Laien ziemlich kompliziert erscheinen, was deren Bedienung betrifft.

    "Manche gucken auf die Waage, wenn sie ein Kilo haben wollen und wir stellen ein halbes Kilo auf die Gewichtsseite. Dann guckt man nur oben bis 500 Gramm und dann sagen die Kunden: Ich wollte aber ein Kilo."

    Für aufmerksame Kunden gibt es bei Holtorf aber noch viel mehr zu entdecken: Große Blecheimer sind mit weißen Bohnen oder Linsen gefüllt, daneben steht ein Sack Walnüsse; geräucherte Würste hängen an Haken: zum Reinbeißen verlockend.
    Weinflaschen, Tee; selbst die Konserven, die liebevoll in den meterhohen Regalen angeordnet sind, sehen appetitlich aus. Der Gouda in der kleinen Glasvitrine wird bis zu 3 Jahre gelagert und per Draht geschnitten.

    Im Verborgenen, im Keller des Ladens, der gleichzeitig als Kühlraum dient, steht eine alte, aber funktionstüchtige Mohnpresse.

    "Es ist so, dass der Mohn gequetscht wird, wie früher vor 100 Jahren gequetscht. Das Gerät ist nicht groß, so 50 Zentimeter hoch mit einem Schwungrad, was wieder einen Keilriemen hat und mit einem Motor angeworfen wird."

    Die Kundschaft kommt aus allen Schichten und Altersklassen.
    Unter ihnen sind viele Stammkunden; manche bereits seit Jahrzehnten.

    "Regelmäßig, wenn ich Rezepte ausprobiere, wo ich so was brauche wie Koriandersaat, ich weiß nicht mal, wie das aussieht. Ich wüsste keinen Laden sonst, wo es so was gäbe. Es ist ein Kommunikationszentrum. Sie werden bedient, sie werden beraten, es wird ihnen nix aufgeschwatzt. Wenn Sie Wein kaufen, ist das nur der Wein, den die Familie selber getrunken hat. Dieses Wir-Gefühl, das isses! Man weiß um einander. Es ist nicht anonym. Es ist Tradition, aber es ist nicht altmodisch. Es ist nicht verstaubt, es ist heute."

    Kundschaft und Mitarbeiterinnen halten den neuesten Vierteltratsch, es wird über Politik und Kindererziehung diskutiert und manchmal werden Rezepte ausgetauscht.

    Kaum zu glauben, aber bei Holtorf darf noch mit D-Mark bezahlt werden; ein am Eingang angebrachtes Schild weist ausdrücklich darauf hin.

    "In Bremen haben wir ja noch diese Landeszentralbank, dann nehm ich diese D-Mark mit und tausch die eben um."

    Auf die Frage, nach der für solch ein Geschäft ja eigentlich typischen Türglocke wehrt Irmtraud Schwiering mit temperamentvollen Armbewegungen ab und meint, das ständige Gebimmel nicht ertragen zu können. Außerdem steht die Eingangstür sowieso meistens auf. Das mag ein Grund sein, warum viele neugierige Menschen den Laden in regelmäßigen Abständen betreten, Menschen, die sich nur mal eben umsehen wollen und nur selten etwas kaufen.

    Kein Problem an und für sich, schließlich ist die Chefin auch stolz auf ihr Geschäft. Doch manchmal muss sie tief durchatmen, unter anderem dann, wenn bestimmte Touristen, ohne vorher zu fragen, ihre Kamera zücken und die Jugendstileinrichtung im Blitzlichtgewitter erleuchten lassen.

    "Wir gehen da an sich höflich damit um, so an manchen Tagen reitet einen ja der Teufel, dass man einfach sagt, sie schleichen hier rein, ohne was zu sagen, also manchmal kommen wir uns hier vor, wie in so einem Zoo und dann machen sie die Runde hier am Tresen vorbei und wenn es heftig wir und die gehen wieder raus sagen wir Auf Wiedersehen, aber ganz betont freundlich. Also das man wirklich merkt, was wir meinen."

    Hanseatisch zurückhaltend, aber nicht ohne! Ansonsten gilt natürlich stets, das von den beiden Damen Frau Schwiering und Frau Hespe ernst genommene und gern gelebte Motto: Der Kunde ist König im vielleicht schönsten Tante Emma Laden Deutschlands.