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Richtiger Weg oder falscher Aktionimus?

Der Tennis-Weltverband ITF will im Kampf gegen Doping neue Wege gehen und eine Datenbank für alle Athleten anlegen. Das kostet viel Zeit und Geld und gleicht eher einer Alibi-Veranstaltung, sagt Amerikas Anti-Doping-Experte Don Catlin.

Von Heiko Oldörp |
    Im Tennis, so hieß es über viele Jahre, würde Doping nichts bringen. Don Catlin musste schon immer lachen, wenn er diesen Satz gehört hat. Er ist seit langem einer der führenden Anti-Doping-Experten der USA, hatte 1982 in Kalifornien das erste Anti-Doping-Labor Amerikas gegründet. Für Catlin ist klar – Tennis und Doping, das passt, vor allem, wie er gegenüber dem Deutschlandfunk betont, um nach langen Spielen schneller zu regenerieren oder die Ausdauer zu verbessern.

    "Einige Matches gehen über Stunden, deshalb würde ich beunruhigt sein, ob da EPO genommen wird, das die Ausdauerleistung steigert. Tennis ist genauso anfällig für Doping wie andere Sportarten."

    Wolfgang Stockhausen stimmt Catlin zu. Der Anti-Doping-Beauftragte des Deutschen

    "Tennis ist derartig athletisch geworden, dass es doch vollkommen auf der Hand liegt, dass Dopingmittel da einen gewissen Vorteil bringen."

    Ein Paradebeispiel für die Athletik lieferten Novak Djokovic und Rafael Nadal 2012 im Finale der Australian Open. Das Endspiel war eine regelrechte Schlacht. Djokovic gewann nach 5:53 Stunden in fünf Sätzen das längste Grand-Slam-Finale der Tennisgeschichte. Der TV-Kommentator sprach von einem "unvergesslichen" und "unvergleichlichen" Spiel – und davon, dass die Redewendung "sich zum Titel zu quälen" neu definiert wurde.
    "A new definition of suffering for a title."

    Als es in diesem Jahr in Australien wieder um den ersten Grand-Slam-Titel des Jahres ging, legte zur selben Zeit in den USA Lance Armstrong ein Doping-Geständnis ab. Anschließend wurden viele Sportarten ernsthaft hinterfragt, so auch Tennis. "Wie sauber ist der weiße Sport?", hatte beispielsweise das "Tennis-Magazin" getitelt und eine Bestandsaufnahme gemacht.
    Einen großen Doping-Skandal hat es im Tennis bislang nicht gegeben. Unter anderem, da Andre Agassi erst in seiner 2009 erschienenen Biographie zugab, 1997 regelmäßig die Aufputsch-Droge Chrystal Meth genommen zu haben und die Spielervereinigung ATP einen positiven Doping-Tests des Superstars geheim hielt.
    Ein Name, der oft fällt, wenn es um Doping geht, ist der von Sara Errani. Die kleine Italierin war Ende 2011 noch die Nummer 45 der Welt, ein Jahr später stand sie überraschend auf Platz sechs. Im vergangenen Sommer wurde bekannt, dass sie viele Jahre mit dem einstigen Armstrong-Arzt, Luis Garcia del Moral, zusammengearbeitet hat. Klare Dopingbeweise gibt es jedoch nicht.
    Im Zeitraum von 1995 bis 2011 wurden laut offizieller Statistik des Welt-Tennis-Verbandes ITF 63 Dopingsanktionen vermerkt, sagt Wolfgang Stockhausen.

    "Wenn man die aufarbeitet, sind unter den Mitteln ganz vorne die Stimulanzien, dann Canabis und solche Geschichten und dann taucht aber irgendwo auch schon Nandrolon auf. Und was man auch feststellen muss, Markierungsmittel fallen auf, also Diuretika. Und wer so etwas nimmt, der zeigt damit ja auch, dass das ganze Doping bereits eine gewisse Struktur hat, also dass man nicht nur etwas nimmt, sondern sich auch Gedanken macht, wie vertusche ich das denn."

    63 Dopingfälle über einen Zeitraum von 16 Jahren – das mag zunächst einmal wenig sein. Klar ist jedoch, dass die ITF viel zu wenig Dopingkontrollen durchführt, vor allem außerhalb der Wettkämpfe.
    Seit 2008 lag der Prozentsatz der "Out of Competition"-Tests zwischen fünf und elf Prozent – und so klar hinter den Werten von Leichtathletik, Schwimmen oder Radsport. Eine Serena Williams wurde laut "Tennis-Magazin” in den vergangenen fünf Jahren einmal im Training kontrolliert. Ein Unding, sagt der Leiter des Instituts für Biochemie an der Deutschen Sporthochschule Köln und Anti-Doping-Experte, Professor Doktor Wilhelm Schänzer.

    "Also ich denke mal, wenn man glaubwürdig gegen Doping ist, dann muss man auch sagen, unsere Spitzenathleten werden mindestens zehnmal im Jahr außerhalb des Wettkampfes kontrolliert, so wie das in anderen Sportarten auch der Fall ist. Und ich würde auch als Athlet darauf bestehen, dass ich regelmäßig kontrolliert werde."

    An Letzterem mangelt es nicht. Viele Spieler haben sich nach dem Fall Armstrong klar für mehr Dopingkontrollen ausgesprochen. So auch Olympiasieger und US Open-Champion Andy Murray.

    "Es wäre ideal, wenn man uns alle zwei Wochen testen würde – aber das kostet natürlich. Ich bin seit sieben, acht Jahren auf der Tour und weiß nicht, warum es bislang nur so wenig Kontrollen gab – vielleicht war's aus Gleichgültigkeit, vielleicht aus Kostengründen. Aber wir müssen uns jetzt fragen, was wir tun können, damit Tennis so sauber wird wie möglich."

    Die ITF will noch in diesem Jahr den biologischen Pass einführen, wie es ihn bereits in der Leichtathletik oder im Radsport gibt. Das hört sich zunächst einmal viel versprechend an. Den Spielern soll regelmäßig Blut abgenommen und so für jeden Einzelnen ein individuelles Blutbild erstellt werden. Auffälligkeiten wären schnell erkennbar.
    Don Catlin hegt jedoch Bedenken, denn man brauche reichlich Personal, eine dementsprechende Infrastruktur, der finanzielle Aufwand sei beträchtlich und es dauere eben mehrere Jahre, bis man eine zuverlässige Datenbasis habe, so der Experte. Er bezeichnet das Vorhaben der ITF als falschen Aktionismus und rät vorerst zu einem anderen Weg.
    "Ich würde die Anzahl der Kontrollen erhöhen, mindestens um das Dreifache. Das würde am meisten bringen und den Dopingmissbrauch einschränken. Zudem sollte die ITF endlich anfangen, auf Wachstumshormone und EPO zu testen – das machen sie nämlich nicht."

    Catlin würde der ITF gerne mit seinem Rat behilflich sein, glaubt aber nicht, dass sich jemand bei ihm meldet. Falls doch, würde er als Erstes sagen, dass die Aufstockung des Jahresbudgets für Dopingkontrollen von zwei auf 3,5 Millionen Dollar zwar wunderbar sei – zum Aufbau ein effizienten Testprogramms jedoch ein Vielfaches dieser Summe nötig ist.