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Richtlinien für tiergerechte Haltung

Ob Legehennen- oder Schweinehaltung - beides sind Reizwörter, die für viel Streit in Ministerien, bei Landwirten und Tierschützern geführt haben. Um eine angemessene Tierhaltung zu garantieren, entwickeln derzeit Forscher an der Universität Göttingen Richtlinien für einen tiergerechten Stall.

Von Carolin Hoffrogge |
    Die 30 Burenziegen fühlen sich in den Stallanlagen der Universität Göttingen ausgesprochen wohl. Die langohrigen weißbraunen Ziegen und Böcke können sich in dem geräumigen Holzstall aufhalten oder draußen rumlaufen. Als Professor für Tierhaltung untersucht Matthias Gauly das Verhalten dieser Fleischziegen:

    "Das ist zum Beispiel so ein Haltungssystem wie man es sich vorstellen kann. Offenstallhaltung, eingestreute warme Liegefläche, große Tränkevorrichtung, große Futtervorrichtung. Dem Umweltreiz ausgesetzt, das sind gesunde Tierchen. Ein Tüv hätte jetzt die Aufgabe die Einzelelemente zu prüfen. Ob das eine Tränke ist, die auch bei kalten Temperaturen funktioniert, die Bodenbeschaffenheit zu prüfen. Als Einzelelemente aber auch in der Gesamtheit, das ist die große Herausforderung. "

    Bekommt das Tier genügend Futter und Wasser? Kann es gut laufen, kann es sich jederzeit hinlegen? Das wären einige der Kriterien, nach denen der Tierschutz-TÜV in der Ziegenhaltung gucken würde. Der Begriff des TÜVs ist für Professor Gauly falsch gewählt, weckt er doch sofort die Assoziation des Auto-TÜV:

    "Es ist etwas aufwendiger als der Auto-TÜV, deswegen ist die Bezeichnung auch unglücklich. Weil der Auto-TÜV nur die Technik prüft. Ein Prüfverfahren für Stalleinrichtungen auf Tiergerechtheit muss mehr können. Es geht nicht nur um den Gebrauchswert, sondern auch darum, ob ein Tier sein Verhalten ausleben kann. Deswegen ist es kein rein technischer Tüv, der da kommen soll, sondern es ist mehr als das. "

    Huhn, Schwein, Rind, Pferd? Der Tierschutz-TÜV wird bei jeder Tierart nach anderen Kriterien entworfen. Matthias Gauly erwähnt die Fußböden in Schweineställen, hier hat die Deutsche Landwirtschaftsgesellschaft, kurz DLG einen freiwilligen Prüfkatalog eingerichtet:

    "Nach Gebrauchswert, aber auch nach Klauengesundheit, und da zeigt sich, das die Böden am Markt eine Chance haben, die geprüft sind und hier weit vorne liegen. "

    Ein anderes Beispiel für die Prüfkriterien des Tierschutz-TÜV kommt aus der Hühnerwelt: die Sterblichkeit bei Küken. Diese kontrolliert Matthias Gauly mit Hilfe einer Videokamera. Rund um die Uhr werden 100 handgroße, gelbe Küken beobachtet. Sie leben in einem 20 Quadratmeter großen Raum, der knöcheltief mit lockerem Stroh eingestreut ist. Dabei haben es die heranwachsenden Legehennen sehr warm:

    "Das Problem bei der Bodenhaltung ist der Kannibalismus, also das die Tiere sich gegenseitig anfangen zu fressen, obwohl sie eigentlich alles haben, was wir uns so vorstellen. Sie haben Einstreu, sie können sich beschäftigen, sie haben jede Menge Platz, sie haben Sozialpartner. Nun haben wir die letzten 15 Jahre ausschließlich Hennen in Käfigen gehabt, mit sehr kleinen Einheiten, mit vier bis fünf Tieren und dort ist dieses Phänomen nicht aufgetreten. Dementsprechend ist es auch züchterisch nicht bearbeitet. Jetzt haben wir diese Genotypen plötzlich wieder in der Boden-/Freilandhaltung und wir stellen fest, dass dieses Phänomen in sehr starkem Maße auftritt. Das ist ein schönes Beispiel, das eine Verhaltensstörung nicht dazu führen kann, dass wir sagen, die Hühner dürfen nur noch einzeln gehalten werden, das wäre ein grober Fehlschluss. "

    Wird der Tierschutz-TÜV bald eingeführt, müssten alle Landwirte, egal ob ökologisch oder konventionell Wirtschaftende diesen Stall-TÜV durchmachen, betont Professor Gauly. Dabei ist nicht ausschlaggebend ob 100 Hühner oder 10.000 Hühner im Stall laufen. Matthias Gauly setzt sich dafür ein, dass der Tierschutz-TÜV EU- weit eingeführt wird.

    "Wenn wir europäisch prüfen würden, bedeutet das auch zugleich, dass wir auch Systeme aus anderen Ländern anerkennen. Das heißt einmalige Prüfung in Holland beispielsweise würde zu einer Zulassung hier auch führen. Das würde erheblich Prüfkosten sparen. Die Kosten sind doch eher niedrig, auch wenn die häufig als Argument dafür genommen werden, das ein solches System hier nicht funktioniert. "

    Neue Prüfungen kosten immer Geld, meint Landwirtin Ilse Wentrodt aus Gelliehausen im Landkreis Göttingen. Sie sträubt sich gegen einen Tierschutz Tüv. Ihre 200 Milchkühe und 500 Schweine fühlen sich jetzt schon in den Ställen sehr wohl, auch ohne Tüv- Abnahme. Ilse Wentrodt:

    Wir haben das Gefühl, wir halten unsere Tiere tiergerecht. Und sehen alle Reglementarien, die noch auf uns zu kommen, als erstens mehr Belastung und zweitens mehr Kosten an. Und ich glaube auch nicht, dass wir dadurch einen Liter Milch teurer verkaufen oder ein Schwein teuer verkaufen. Wir als Landwirte halten unsere Tiere tiergerecht, einen Tüv empfinden wir als noch mehr Reglement.