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Rieger: Von Multitasking versprechen sich Individuen Vorteile

Die Leute glauben, sich selber optimieren zu müssen, um effizienter zu sein, sagt Essayist Stefan Rieger. Dabei spiele Multitasking eine große Rolle, bringe aber nicht die erwünschten Vorteile, ergänzt der Autor.

Stefan Rieger im Gespräch mit Manfred Götzke |
    Manfred Götzke: Vielleicht kennen Sie ja das auch aus Ihrem Büroalltag: Es ruft jemand an, dessen Anliegen Sie nur so halb interessiert, deshalb checken Sie dabei noch mal kurz die Mails und nippen dreimal am Chai Latte. Multitasking ist wohl das Phänomen des digitalisierten Büroalltags. Mancher Kulturpessimist oder Hirnforscher attestiert uns sogar schon digitale Demenz, weil wir uns gar nicht mehr tief greifend auf eine Sache konzentrieren können, ohne uns gleichzeitig mit anderem Kram zu beschäftigen. Für den Medienhistoriker Stefan Rieger Grund, das Phänomen Multitasking mal kulturhistorisch, also aus allen möglichen Perspektiven zu beleuchten. Er hat jetzt sein Essay "Multitasking zur Ökonomie der Spaltung" veröffentlicht. Herr Rieger, Sie schreiben, "im Multitasking karikiert sich die Moderne selbst". Das ist einigermaßen erklärungsbedürftig.

    Stefan Rieger: Finden Sie wirklich? Also wenn ich mir so die Leute angucke - ob das im Fitnessstudio ist oder ob ich die Leute in den Selbstdarstellungen im Internet angucke -, da gibt es doch diesen zunehmenden Drang, mehrere Dinge wirklich gleichzeitig zu verrichten, also Auto zu fahren, Musik zu hören, gleichzeitig noch irgendwelche technischen Gerätschaften zu bedienen und so weiter. Also wenn Sie sich wirklich mal den Spaß machen wollen, den Begriff Multitasking zu googeln und dabei einfach die Bildfunktion anmachen, dann kriegen Sie ein ganzes Sammelsurium von Typen. Die haben alle mehrere Gliedmaßen, haben in diesen Gliedmaßen mehrere Dinge in der Hand, sie können kochen, Kinder betreuen, Schreibmaschine schreiben und, und, und. Und das ist irgendwo ein Typ, von dem ich glaube, dass er sehr, sehr allgegenwärtig und präsent ist in unserer Zeit.

    Götzke: Ja, Sie sagen es, zumindest derjenige, der beim Autofahren telefoniert, ist aber keine Karikatur seiner selbst, sondern ein ganz normaler Alltagsmensch?

    Rieger: Ich stelle mir die Frage, woher das kommt, dass Leute glauben, sich dieser Parallelverarbeitung, dieser Mehrfachverarbeitung aussetzen zu müssen. Und da kommt eben dann der Moment der Karikatur rein, weil die Wissenschaften - ob das jetzt Arbeitspsychologen sind, Kognitionswissenschaftler, und wie die alle heißen, die sind zunehmend auf die Idee gekommen, dass das Multitasking diese Vorteile, die sich die Individuen davon versprechen, nicht bringt.

    Götzke: Warum ist es denn trotzdem so beliebt?

    Rieger: Ich glaube, dass eine Figur sich durchhält, die was zu tun hat mit diesem Prinzip der Selbststeigerung. Also die Leute glauben, sich selber optimieren zu müssen, sie unterstellen sich selber einer unablässigen Arbeit an sich, um eben produktiver, effizienter, effektiver und so weiter zu sein, und in dem Zusammenhang spielt eben das Multitasking eine große Rolle.

    Götzke: Welches Gesellschaftsbild verbindet sich mit diesem Imperativ der Selbstoptimierung?

    Rieger: Ich würde sagen, das ist das Gesellschaftsbild einer neoliberalen Ökonomie.

    Götzke: Wobei der Neoliberalismus ja mittlerweile wieder out ist.

    Rieger: Ich weiß nicht, ob die Wirkung solcher Figuren und solcher Faszinationsfiguren, kann man ja fast schon sagen, ob die sich wirklich hält an die Taktung politischer Bewegungen. Ich habe eher den Eindruck, dass da eine Figur am Start ist, die eine ungebrochene Wirkmacht hat, die man übrigens auch in die Vergangenheit zurückprojizieren kann. Also diese Frage, kann ich mich selber auf eine Weise zerlegen, dass ich mehrere Einheiten bilde und diese Einheiten unabhängig voneinander angeblich mehrere Tasks, mehrere Tätigkeiten gleichzeitig ausführen können. Diese Figur ist alt.

    Götzke: Sie schildern das ja sehr eindrücklich in Ihrem Buch, wann war denn die große Blütezeit oder die erste große Blütezeit des Phänomens Multitasking.

    Rieger: Eine der medialen Blütezeiten war in den 1910er-, 1920er-Jahren. Da gab es einen Herrn, ein Amerikaner, der ist als Multimind- und Multitask-Talent regelrecht über die Bühnen getingelt. Also der hat Schaustellungen auf Varietébühnen in kleinen Theatern gegeben, wo er auftrat, zum Beispiel mit der Fähigkeit, auf dem Kopf stehend mit mehreren Gliedmaßen zu schreiben, rückwärts zu rechnen und gleichzeitig noch Konversation mit seinem Publikum zu haben. Aber Sie sehen, Fähigkeiten, die man vielleicht nicht wirklich vermisst oder wo man sich auch ein bisschen die Frage stellen darf, braucht's das wirklich im Alltagsbetrieb. Aber er gilt deswegen auch in der Historiografie, in der Geschichtsschreibung dieser Disziplin gilt er als der Proto-Multitasker. Er wäre so der Erste gewesen, mit einer entsprechenden auch medialen Aufmerksamkeit.

    Götzke: Und das als Mann.

    Rieger: Ja, gut, der Genderaspekt ist eine Sache, da wird man immer wieder gern drauf angesprochen - ich kann dazu nichts sagen. Es ist irgendwo so eine Volksweisheit oder die Leute tun so. Dass das vielleicht einfach was mit der Sozialisation von Frauen zu tun hat, die einfach immer schon vielleicht mehr machen mussten als Männer, sei mal dahingestellt.

    Götzke: Wann und wie multitasken Sie?

    Rieger: Ich gebe mir Mühe, das überhaupt nicht zu tun. Sie können sich dem Phänomen ja überhaupt nicht entziehen, weil unsere mediale Umwelt völlig auf Parallelverarbeitung setzt. Also wenn Sie sich mal angucken, wie heute ein Arbeitsplatz aussieht, wie die Desktops gestaltet sind, mit mehreren offenen Menüs und so weiter, ist das ein Beleg dafür, dass das einfach eine Kulturtechnik ist, der man sich nicht verweigern kann. Das wäre ja naiv zu glauben sozusagen, so, ich mach jetzt da nicht mit. Nur ich achte zum Beispiel schon darauf, dass ich zu bestimmten Zeiten, also wenn ich morgens zum Beispiel schreiben will, dass da zum Beispiel Unterbrechungsrhythmen, also zum Beispiel durch E-Mail-Verkehr oder so, dass man die ausstellt.

    Götzke: Sagt Stefan Rieger. Bei Suhrkamp ist jetzt sein Essay "Multitasking zur Ökonomie der Spaltung" erschienen. Danke!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.