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Riemenschneider rechtslastig?

Zunächst einmal brachte es der Komponist Casimir von Pászthory zu einer Randnotiz in der Rilke-Literatur. Denn 1914 schrieb der junge Musiker aus Budapest, Sohn der einst berühmten Liszt-Schülerin Gisela von Pászthory, das Melodram Die Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke. Der Dichter Rainer Maria Rilke hat es streng getadelt, als es seine "Benvenuta" – die ihm entgleitende Geliebte Magda von Hattingberg – anlässlich von Konzerten in Leipzig und Wien zur Aufführung brachte. Rilke beanstandete das "Doppelte und Zwittrige des Melodramatischen" und fand die "fortwährende Concurrenz von Musik und Wort" dilettantisch. Sprach da nicht ein eifersüchtiger verlassener Liebhaber, dem der Gedanke der "fortwährenden Konkurrenz" so schmerzhaft war wie das "Zwittrige" ein Ekel?

Von Frieder Reininghaus |
    Wie auch immer – nach dem Cornet-Melodram fertigte Pászthory Opern und Ballette: 1914 für Linz Die gerechten Kammacher (nach Gotthilf Keller), 1932 für Graz Die Prinzessin und der Schweinehirt (nach Hans-Christian Andersen), verschiedene Tanzmusiken für Karlsruhe, Dresden und Weimar sowie Anfang der 40er Jahre – mit Frau Dora als Librettistin – den jetzt zur Diskussion stehenden Tilman Riemenschneider. Dabei handelt es sich um eine streng am damaligen Forschungsstand orientierte Dramatisierung der Künstler-Biographie; auch geht es um Fragen der Kunstfreiheit, der Tyrannei, der exterritorialen Erotik und der Humanität.

    Die Pászthorys fügten der realen Historie die Figur einer Maria hinzu. Sie ist das Mündel des Meisters, bietet sich ihm als Modell an, als dieser den Auftrag erhielt, ein Kirchenportal mit Adam und Eva zu rahmen. Weil die Statue der hübschen Jungfer allzu genau glich, zerrissen sich die Würzburger(innen) wohl die Mäuler und nahm die Rivalität zwischen Til und dem geilen Dompfaffen Konrad, nachmals Bischof, ihren Ausgang.

    Casimir von Pászthory stattete das recht holzschnittartige Historien-Stück mit einer Melange aus Pfitzner-Nachfolge und Wagner-Zitaten aus, lehnte sich an Richard Strauss und Franz Schreker an.
    Solches musikalisches Mittelgut begleitet halbwegs plausibel die Marien-Geschichte. Mit dem Näherrücken des Bauernaufstandes und dem wachsenden Engagement des Künstlers für die Nöte des Volkes erweisen sie sich als allzu einfach gestrickt: Das Florian-Geyer-Lied und andere kernige Gesänge aus jenen historischen Zonen bestreiten die Szene der dramatischen Kulmination, als wäre noch Singspielzeit des Vormärz.

    Der junge Kapellmeister Evan Christ animiert nun zum eintausenddreihundertsten Geburtstag Würzburgs am Mainfrankentheater eine musikalisch ansprechende Produktion; allerdings kann sie die Schwachstellen der Komposition (und die Unsäglichkeiten des Librettos) nicht überspielen. Die Inszenierung erscheint der Sache angemessen: In einem durch Projektionen modifizierten Guckkasten erhält die Folge von acht Szenen historisches und Lokalkolorit; auch die Kostüme und Mützen spielen auf das frühe 16. Jahrhundert an.

    Das Würzburger Theater, periodisch von der Abwicklung bedroht, sucht feste Bodenhaftung beim Publikum, das auf Avancierteres in der Regel nicht allzu freudig anspricht. Da mag die Besinnlichkeit der Riemenschneider-Rückschau sich angeboten haben – diese Oper, die erst zehn Jahre nach ihrer Entstehung in Salzburg konzertant gegeben, 1957 in Basel ein einziges Mal auf die Bühne gebracht und dann eingemottet wurde. Freilich dürfte sie, trotz des neuerlichen Achtungserfolgs, bald wieder in der tiefen Truhe verschwinden: aus ästhetischen Gründen.

    Irritierend sind weder das Werk noch sein Aufführung oder gar der seit vier Jahrzehnten auf einem Salzburger Friedhof frierende Komponist. Beunruhigend ist die im Namen eines offensichtlich einträglichen "Antifaschismus" betriebene Verdächtigung im Vorfeld der Würzburger Premiere, deren Betreiber sich nicht sachkundig machten. Aber so ist das eben im neoliberalen Feuilleton: da kommt es nicht mehr auf Tatsachen und ästhetische Differenz an, sondern auf Event und Radau.