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Riesen-Reagenzglas im Ozean

Meeresforschung. - Dem Ökosystem Ozean droht Gefahr auch aus der Luft. Denn alle Schadstoffe in der Luft gelangen irgendwann auch ins Wasser. Meersforscher in Kiel wollen jetzt feststellen, wie Flora und Fauna im Ozean auf den wachsenden Gehalt an Treibhausgasen im Wasser reagieren. Ihr wichtigstes Werkzeug: das größte Reagenzglas der Welt.

Von Jens Wellhöner | 12.07.2006
    " Wenn sie sich das ansehen, ist das ja wirklich vergleichbar einem Reagenzglas. Das einen Wasserkörper von bis zu 30 Metern Tiefe und einem Durchmesser von bis zu zwei Metern einschließt, inklusive all dem, was darin lebt."

    Biologe Gerd Schriewer ist zufrieden. Seine Firma Oktopus in Kiel hat das so genannte größte Reagenzglas der Welt entwickelt. Dabei ist es eigentlich gar kein Glas, sondern ein Kunststoffsack. Aufgehängt an einem Gehäuse aus Aluminium. Das ähnelt eher einer kleinen Bohrinsel. fünf Meter hoch, auf fünf Beinen. Und zwischen den Beinen hängt der Kunststoffsack mit der Öffnung nach unten, erklärt Meeresbiochemiker Ulf Riebesell vom Kieler IFM-GEOMAR-Institut:

    " Der, wenn er runtergelassen wird, eine Zwei-Meter-Durchmesser-Säule aus dem Ozean herausschneidet, die da eingeschlossen bleibt und dann vermessen werden kann."

    Von einem Forschungsschiff wird das Aluminiumgehäuse mit dem Kunststoffsack ins Meer abgelassen. Der Sack ist nach unten hin offen. Langsam strömt so Wasser hinein, schließlich hat er sich voll entfaltet. Dabei sieht er so aus wie ein 30 Meter langer Schlauch. Er sinkt nicht auf den Grund, weil das Aluminium-Gehäuse innen hohl ist und die Konstruktion an der Oberfläche hält. Schließlich befinden sich im Inneren des Sacks mehrere Tausend Liter Wasser und die darin lebenden Tiere und Wasserpflanzen. Mit ihnen können die Forscher dann ihre Versuche machen. Der Sack bleibt dabei im Wasser, wie ein Labor mitten im Ozean. Die Kieler Wissenschaftler wollen vor allem testen, wie Meereslebewesen auf das Treibhausgas CO2, also Kohlendioxid, reagieren. Dafür werden sie das Wasser im Kunststoffsack mit dem Gas vermischen, so Riebesell:

    " Wir werden den Ozean der Zukunft und zwar den Hoch-CO2-Ozean der Zukunft herstellen. Das heißt, wir werden die CO2-Konzentration anlegen, die wir erwarten, wenn wir Menschen weiterhin so viel CO2 freisetzen wie bisher. Dann erwarten wir eine doppelt so hohe CO2-Konzentration in der Atmosphäre wie heute. Der Ozean nimmt einen großen Teil davon auf."

    Und genau das wollen die Forscher im nächsten Jahr mit ihrem neuen Gerät simulieren, im Rahmen einer bundesweiten Studie. Bei der ersten Erprobung ihres Ozeanlabors ging es zunächst in die Gotlandsee, zwischen Schweden und dem Baltikum. Ulf Riebesell:

    " Die Gotlandsee ist unser Zielgebiet, weil wir dort jene Algenblüten finden, die wir als erstes studieren möchten. Und zwar sind das Blaualgenblüten, die dort sehr regelmäßig, sehr vorhersagbar jeden Sommer auftreten. Das ist ein Ereignis, das wir studieren möchten."

    Wie die Blaualgen auf einen höheren CO2-Anteil im Wasser reagieren, das wollen die Kieler Forscher dann herausfinden. An Land können sie das nicht, denn Blaualgen konnten in Laboren bisher noch nicht nachgezüchtet und untersucht werden.

    " Das heißt, wir sind darauf angewiesen, wirklich raus zu gehen. Darum dieser immense Aufwand. Man könnte ja sagen, holt es euch ins Labor und studiert es da. Viele Ereignisse, die im Ozean stattfinden, kann man nicht ins Labor holen und dort simulieren."

    Bei der Probefahrt traten beim neuen Gerät der Kieler Forscher aber noch ein paar Kinderkrankheiten auf. So war zum Beispiel der Kunststoffsack nicht reißfest genug. Ulf Riebesell:

    " Aber ich bin zuversichtlich. Wir haben ja noch ein Jahr Zeit, von jetzt bis nächsten Sommer. Und wir werden die Zeit intensiv nutzen, um das Gerät richtig gut vorzubereiten. Ich bin zuversichtlich, dass wir das im nächsten Sommer erfolgreich im Einsatz haben werden."