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Rimini Protokoll
Über das Verhältnis zu Hitlers Kampfschrift

Die Theatergruppe Rimini Protokoll hat beim Kunstfest Weimar einen schwer zu verdauenden Stoff auf die Bühne gebracht: "Adolf Hitler: Mein Kampf, Band 1 & 2". Sechs Personen erzählen in diesem Stück von ihrem Verhältnis zu Hitlers Schrift - eine Art Materialsammlung über die unterschiedlichsten Möglichkeiten mit der Kampfschrift umzugehen.

Von Hartmut Krug | 04.09.2015
    Die Schauspieler des Berliner Theaterkollektivs Rimini Protokoll stehen und sitzen im E-Werk in Weimar zu dem Theaterstück "Adolf Hitler: Mein Kampf, Band 1 & 2" auf der Bühne.
    Die Schauspieler des Berliner Theaterkollektivs Rimini Protokoll brachten in Weimar Adolf Hitlers "Mein Kampf" auf die Bühne. (dpa/ picture-alliance/ Sebastian Kahnert)
    Vor neun Jahren ließ die Theatergruppe "Rimini Protokoll" acht Personen, die vor und in einem Bücherregal agierten, über "Das Kapital" von Marx erzählen lassen. Wie immer bei Rimini Protokoll waren es "Experten des Alltags" genannte Laien, die sich da über das Geld, über Marx und über Gewinn und Verlust austauschten.
    In Weimar stehen nun vor der Rückwand dieses Bücherregals sechs Menschen und reden über ihr Wissen von und ihr Verhältnis zu Adolf Hitlers Buch "Mein Kampf". Hitler liebte die Stadt Weimar. Hier hatten die Nazis im Juli 1926 im Deutschen Nationaltheater ihren ersten Reichsparteitag abgehalten, und die Stadt wurde zur Hochburg der NSDAP.
    Diese Regalrückwand ist vieles: Videowand, Aufbewahrungsort für viele Bände von "Mein Kampf" und zu- und aufklappbares Bewegungselement für ein eher assoziatives statisches Suchspiel. Wobei Rimini Protokoll es diesmal deutlich schwer hat, all das Zitieren, Erinnern, Nachdenken und Recherchieren in eine spielerische Form zu bringen. Da wird eine Art "Reise nach Jerusalem" mit "Mein Kampf"-Bänden gespielt, oder jemand sagt "Stopp!", während das Alphabet läuft, und erzählt zum Beispiel etwas zum Begriff "Volksverhetzung", wenn beim Buchstaben V gestoppt wurde.
    Sechs Personen erzählen von ihrem Verhältnis zu Hitlers Kampfschrift. Wobei sie das nicht sofort in der Ich-Form tun, sondern erst nach einer Aufforderung durch einen Stichwort gebenden Mitspieler wie "Du hast doch das gemacht". Was eine Distanz zu Hitlers Text verdeutlichen soll, klingt hier allerdings wie hölzernes Aufsagen. Sibylle Flügge, Professorin der Rechtswissenschaft, wird darauf angesprochen, dass sie nach der sorgfältigen Lektüre von "Mein Kampf" einen Hefter mit einer komprimierten Fassung des Werkes hergestellt und ihrer Mutter zu Weihnachten 1965 geschenkt hat.
    Auch unfreiwillige Komik des Textes
    Worauf der türkische Hip-Hop-Musiker Volkan T Error ein elektronisch verzerrtes "Stille Nacht, Heilige Nacht" beisteuert und Sibylle Flügge erklärt, dass Hitler im ersten Band vor allem Kindheitserfahrungen als Motiv seiner politischen Haltung beschreibt. Aber sie verdeutlicht auch die manchmal unfreiwillige Komik des Textes:
    "Die Propagandatechnik faszinierte mich.
    Die Masse des Volkes hat den Charakter einer Frau, die verführt werden muss, kann man da lesen.
    Da habe ich ein anderes Frauenbild.
    Na, zum Glück."
    Vor allem aber werden Fakten vermittelt. Dass man "Mein Kampf" besitzen und lesen, das Buch aber nicht weiter verbreiten darf, wird spielerisch von der Rechtsanwältin Anna Gilsbach verdeutlicht. Man erfährt von der Unmenge fremdsprachiger Ausgaben des Werks, so gibt es allein in Indien über 30, auch eine Manga-Version existiert.
    Wo sind all die Exemplare geblieben?
    Es wird darüber nachgedacht, wo all die Millionen deutsche Bände eigentlich nach dem Kriege geblieben sind, und darüber, wie viel Tantiemen Hitler mit seinem Buch einstrich. Aron Kraus aus Tel Aviv, dessen Großeltern knapp dem Holocaust entkamen, hat das Buch seit seinem Studium oft gelesen. Er berichtet, dass ihn "Mein Kampf", weil es darin um Durchsetzungsfähigkeit geht, zur Leistung angespornt habe aber auch, dass er mit Hilfe dieses Buches deutsche Mädchen angebaggert habe. In einer Art Reenactment wird eine Knessetdebatte nachgesprochen, in der es um die Möglichkeit einer israelischen Ausgabe von "Mein Kampf" geht. So erzählt dieser Abend, der vor allem eine Materialsammlung ist, die unterschiedlichsten Möglichkeiten, mit Hitlers Buch umzugehen.
    Es ist ein verdienstvoller Abend, aber kein großes Theater. Die zweistündige Aufführung besitzt allzu viele Längen und etliche Spannungslöcher, und neben manchen Lehrstellen auch Leerstellen.