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Ringen um den angemessenen Abstand

DDR-Begeisterte, DDR-Kritiker und Mitläufer - alle leben vereint unter einem Dach. Deshalb gab es dauernd Krach in der Familie von Maxim Leo. 20 Jahre nach dem Mauerfall gibt Leo den Chronisten - und kann sich nicht zwischen Erzählung und Dokumentation entscheiden.

Von Katja Lückert | 27.11.2009
    Die DDR  - eine Art Traumland?
    Die DDR - eine Art Traumland? (Deutschlandradio)
    In den Köpfen ist die DDR noch längst nicht vergangen und das ist vielleicht auch gut so. Einfach, weil so viele Geschichten über sie sonst unerzählt blieben. Manche allerdings hat man beinahe schon zu oft gehört. Wie die vom Udo Lindenberg-Lied über den Sonderzug nach Pankow, das in den 80er-Jahren natürlich auch in Maxims Schule verboten war. Der Stein des Anstoßes war, man glaubt es heute kaum mehr, die Lederjacke, die Erich Honecker zum Faschisten machte.

    Die Lehrerin zitierte eine Textpassage aus dem Song, in der Udo Lindenberg unserem Generalsekretär Erich Honecker unterstellt, manchmal eine Lederjacke anzuziehen und heimlich auf dem Klo Westradio zu hören. "Das ist eine eindeutige Anspielung auf die Ledermäntel der Gestapo und damit diffamiert dieser Lindenberg einen Mann, der im Nationalsozialismus jahrelang im Zuchthaus gesessen hat. Dieses Nazi-Lied wollen wir bei uns nicht hören. Ich wusste damals, dass diese Darstellung kompletter Schwachsinn ist. Aber ich habe mich auch nicht getraut, etwas zu sagen. Weil "Nazi-Lied" so gefährlich klingt.

    Überhaupt ist diese ganze DDR, wie Maxim Leo sie beschreibt, vor allem ein Abkehrprogramm. Die Bösen sind immer die Faschisten, die Alten und die Neuen. Deshalb gibt es auch dauernd Krach in der Familie Leo. Die wechselseitige Auflehnung gegen die politischen Überzeugungen der Eltern und der Ehepartner ist offenbar die Ressource, die das ganze Spannungsfeld unterhält. So formuliert Leo schon im Prolog, worauf es ihm ankommt:

    Die DDR ist schon lange tot, aber in meiner Familie ist sie noch ziemlich lebendig. Wie ein Geist, der keine Ruhe findet. Irgendwann, als alles vorbei war, wurde nicht mehr über die Kämpfe von damals gesprochen. Vielleicht haben wir gehofft, dass sich die Dinge von alleine regeln, dass die neue Zeit die alten Wunden heilt.

    Die Familie von Maxims Mutter stammt eigentlich aus dem Westen, aus Düsseldorf, von wo ihr Vater– ein ehemaliger jüdischer Résistance-Kämpfer, lange vor dem Mauerbau in den Osten flüchtet. Von der vermeintlich Besten aller Welten erhoffte er sich für seine Familie eine Chance auf ein neues Leben. Ganz anders Maxims Vater: Er hat die DDR hassen, wie seine Frau sie lieben gelernt hat und verkörpert die Figur des Künstlers, der immer irgendwie protestiert, sich die Haare färbt und Lederjacken trägt. Er rebelliert gegen den Staat zunächst nicht aus politischen Gründen, sondern weil er sich ungern etwas vorschreiben lässt. So schmiert er sich eines Tages bei der Volksarmee brennende Salbe ins Auge, um sich einem Arzt vorstellen, statt den Fahneneid schwören zu müssen. Schnell gewinnt er die Überzeugung, dass es in der DDR eigentlich immer nur um die Fassade ging und es genügte "ein bisschen mitzuspielen in diesem großen Theaterstück des "Sozialismus". Eine Einstellung, die sich auch sein Sohn schnell zu eigen macht.

    Auch ich hatte immer das Gefühl, mir eigentlich treu zu sein und wusste gleichzeitig, was ich tun musste, um keine Probleme zu bekommen. Diese Kombination aus frechen Gedanken und bravem Handeln, aus kleinen Lügen und der großen Wahrheit, ist schnell zu lernen und nur schwer wieder abzulegen. Es ist eine Überlebensstrategie, ein Schutzmechanismus für die, die sich nicht entscheiden können.

    Heute, zwanzig Jahre nach der Wende fühlt sich Maxim, der mit seinen sauberen Hemden und seinem ordentlichen Beruf als Redakteur bei der Berliner Zeitung als Spießer in der Familie gilt, bemüßigt, den Chronisten zu machen. In 23 Kapiteln und von Schwarz-Weiß-Fotos garniert, plaudert er im lockeren Tonfall aus dem Familiennähkästchen und man fühlt sich zuweilen an den Film: "Good bye Lenin" erinnert - leider abzüglich der humoristischen Szenen. Als Kind von 68er-Eltern, nennt er seinen Vater "Wolf" und seine Mutter "Anne"; beide sind durchaus unkonventionelle Persönlichkeiten, die mit verschiedenen DDR-Berühmtheiten wie dem Schriftsteller Thomas Brasch und der Liedermacherin Bettina Wegener bekannt waren. Leo erzählt, wie er seine Familienmitglieder befragt und dokumentiert – und das nimmt den größten Teil des Buchs ein - gewissenhaft besonders die Kriegserlebnisse seiner beiden Großväter. Permanent ringt er dabei um den angemessenen Abstand. Irgendwie spürt man, dass er seine Familie für exemplarisch hält und als solche vorzeigen will. Und es stimmt ja auch, DDR-Begeisterte und -kritiker, aber eben auch Mitläufer, sie alle vereint diese Familie. Manchmal allerdings scheint der Spagat zwischen Dokumentation und Erzählung fast zu groß, zum Beispiel, wenn der Enkel über seinen gerade aus französischer Kriegsgefangenschaft heimgekehrten Großvater schreibt:

    Es ist leicht ihn heute zu verurteilen, ihn als rabiaten Vater und schlechten Ehemann vorzuführen. Es kann aber sein, dass Werner gar nicht anders konnte, dass ihn die Jahre in der Fremde stumpf gemacht hatten. Wenn einer ständig in Gefahr ist, wenn es immer nur darum geht, die eigene Haut zu retten, wenn man monatelang im Dreck liegt und die Kameraden sterben sieht, kann man dann gleich wieder normal sein? Kann man dann je wieder normal sein?

    Neuen Glaube gegen altes Leid zu tauschen – das sei gewissermaßen der 'Gründungsdeal' der DDR gewesen, so glaubt der Enkel Maxim heute die tiefe Staatstreue seiner beiden Großväter – so unterschiedlich sie auch in ihren politischen Einstellungen waren – zu verstehen.

    Ich glaube, die DDR war für meine beiden Großväter eine Art Traumland, in dem sie all das Bedrückende vergessen konnten, was bis dahin geschehen war. Es war ein Neuanfang, eine Chance, noch einmal ganz von vorn zu beginnen. Die Verfolgung, der Krieg, die Gefangenschaft, all die fruchtbaren Dinge, die Gerhard und Werner erlebt haben, konnten unter dem riesigen Haufen der Vergangenheit begraben werden. Von nun an zählte nur noch die Zukunft. Und aus dem Trauma wurde der Traum.

    Für die Enkelgeneration ist von diesem Traum nicht mehr übriggeblieben als kleingeistige Verbote, peinliche Prinzipien und Jeanshosen, die aussahen wie ein verlängertes FDJ-Hemd, so Leo und - möchte man hinzufügen - der Wunsch, doch noch alles zu verstehen und sich ein letztes Mal zu rechtfertigen.


    Maxim Leo: "Haltet eurer Herz bereit". Blessing Verlag