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"Ringer sind Kämpfer"

Mit einer Million Aktiven ist in den USA Ringen so etwas wie Volkssport - präsent im College und auch für Mädchen. Entsprechend verärgert und enttäuscht reagierte man dort über den geplanten Rauswurf des IOC.

Von Jürgen Kalwa | 17.02.2013
    Sie heißt Autumn, ist 16 Jahre alt und hat vor ein paar Jahren einen Sport entdeckt, der ihr eine Menge gibt. Erfolgsbewusstsein etwa. Und Stolz. Davon profitiert aber auch der Rest der Welt. Denn der erhält jedes Mal, wenn sie antritt, eine simple Antwort auf eine Frage, die hinten auf ihrem Trikot gedruckt steht: "Who says that girls can’t wrestle? " – "Wer sagt, dass Mädchen nicht ringen können?”

    Sie können. Trotzdem fiebert die Mutter jedes Mal mit.

    ""Auf geht’s, Autumn, halte ihn, halte ihn.”"

    Autumns Mutter Dorothy Potkay zeichnet fast jeden Kampf auf Video auf und lädt die Aufnahmen auf YouTube hoch. Tausende von Zuschauern haben die Bilder schon gesehen, die einen beachtlichen gesellschaftlichen Fortschritt dokumentieren. Weil es in ihrer Heimat im Bundesstaat North Carolina an weiblichen Gegnern fehlt, kämpft sie – im Fliegengewicht bis 48 Kilo – meistens gegen Jungs. Und was noch wichtiger ist: Sie gewinnt.

    Die Schreie der Mutter hört die Tochter meistens gar nicht, wie sie in einem Telefongespräch verriet. Dazu ist sie viel zu konzentriert.

    ""Sometimes I can hear her, sometimes I am more focused on the winning. It’s kind of like a blur.”"

    Es handelt sich bei diesen Ringkämpfen um Schulsport. Bestens organisierten Schulsport übrigens, der die breite Basis einer beachtlichen Leistungspyramide bildet. Darüber: Athleten zwischen 19 und 23 an den Universitäten überall im Land.

    Insgesamt eine Million Ringer zählt man in den USA. Darunter etwas mehr als 7000 Mädchen und Frauen. Im Vergleich dazu: Der Deutsche Ringerbund hat etwas mehr als 60.000 Mitglieder.

    Das starke Fundament existiert seit mehr als hundert Jahren und hat dafür gesorgt, dass die Vereinigten Staaten die erfolgreichste Ringer-Nation in der Welt sind. Mit mehr als 120 olympischen Medaillen. Und mit einem Fürsprecher wie John Irving. Der Schriftsteller hatte selbst einst im Internat auf der Matte gestanden. Und er war sogar in der Verfilmung seines Buchs "Garp und wie er die Welt sah” aufgetreten – als Kampfrichter. In seinen Romanen spielt die Sportart immer wieder eine Rolle. Und das wohl auch, weil er als Ringer viel gelernt hat, wie er gerne erzählt:
    "”Ich habe zur gleichen Zeit angefangen, mich mit Ringen und Schreiben zu beschäftigen. Mit 14. Ringen hat mir als Autor geholfen. Da musst du soviel revidieren und überarbeiten. Und die Ausdauer dafür und die Haltung dazu kommt aus meiner Trainingserfahrung als Sportler.”"

    70 Jahre ist er inzwischen, aber immer noch bereit, sich einzumischen, wenn es um sein Thema geht. So wie in der vergangenen Woche mit einem Gastkommentar in der New York Times, mit dem er die Entscheidung des IOC kritisierte, die Amerikas Ringer kalt erwischt hatte. Irvings stärkstes Argument gegen den Rauswurf aus dem olympischen Programm: der Vergleich mit dem Modernen Fünfkampf. "Letzten Sommer in London waren nur 26 Länder an der Kombination aus Schießen, Reiten Laufen, Schwimmen und Fechten beteiligt”, schrieb er. "Bei denselben Olympischen Spielen haben im Ringen Teilnehmer aus 29 Ländern Medaillen gewonnen.”

    Der Rauswurf hat überall in den USA heftige Reaktionen ausgelöst. So auch in Hochburgen wie der Blair Academy in New Jersey, einem Internat, deren Ringer bei den amerikanischen Prep-School-Meisterschaften am kommenden Wochenende in Lehigh in Pennsylvania zu den Favoriten in der Mannschaft und in den Einzelwettbewerben gehören. Chefcoach Charles Danhof:

    ""Natürlich war ich verärgert. Aber dann habe ich versucht, das Ganze mit mehr Abstand zu betrachten: Die Entscheidung kann auch wieder zurückgenommen werden. Ringer sind Kämpfer. Und sie werden kämpfen. Ich werde tun, was ich kann. So wie andere Leute, die bereits über Strategien nachdenken, wie man weiter vorgehen soll.”"

    Sein sehr viel prominenterer Kollege John Smith, Goldmedaillengewinner in Seoul 1988 und Barcelona 1992, heute Trainer an der Universität Oklahoma State, war nicht minder entsetzt. Auch wenn er sich keine Sorgen macht, dass sich die Entwicklung der Sportart in Amerika unter der IOC-Entscheidung leiden wird.

    ""Ringen auf dem Niveau der Olympischen Spiele und unsere High Schools und Colleges – das sind zwei unterschiedliche Welten. Im High School-Bereich ist die Zahl der Ringer in den letzten Jahren um 40.000 gestiegen. Zur gleichen Zeit wurde an 95 Colleges Ringen neu angeboten. Ringen in den Vereinigten Staaten ist sehr stark. Allerdings gibt Olympia ein paar jungen Männern mit zehn oder zwölf die Stabilität in ihrem Leben, die Disziplin und den Mut, einem Traum nachzujagen.”"

    Übrigens nicht nur jungen Männern. Auch Mädchen wie Autumn Potkay, für die Olympia etwas ganz Besonderes wäre, sagt sie.

    ""It would be nice. It would be cool.”"

    Es wäre schön und es wäre cool.

    ""Come on, Autumn.”"