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Ringschmiede in Paris

Günter Krämer inszeniert mit neuem Ausstattungsteam an der Seine die vertrackte Geschichte vom Niedergang der germanischen Götter um Wotan. Der zweite Teil des wagnerischen Endspiels, "Die Walküre", hatte am Montagabend an der Bastille-Oper Premiere - von Philippe Jordan vortrefflich intoniert.

Von Frieder Reininghaus |
    Der Blick aufs Ende der Geschichte ist mitzubedenken bei der Darstellung der Weise von Liebe und Tod der Elterngeneration Siegfrieds, des größten Helden der nordischen Kombination: Siegmund und Sieglinde, das von Wotan bei einer seiner Eskapaden gezeugte, dann aber früh gewaltsam getrennte Zwillingspaar, findet sich in größter Not wieder. Sie, zwangsverheiratet mit dem Schlächter Hunding und unerfüllt, er auf der Flucht vor der Meute dieses Warlords und waffenlos, erkennen sich unter schäbigen äußeren Bedingungen. Die beiden steigern sich in eine Stunde zunehmend brünstigen Gesangs. Robert Dean Smith und Ricarda Marbeth tun dies alles nicht ohne erhebliche stimmliche Anstrengung. Sie stemmen sich in der Riesenhalle der Opéra Bastille glaubhaft gegen die ihnen auferlegte historische Last und ziehen mit gemeinsamer Anstrengung Nothung aus dem Bild einer alten Esche, in dem Allvater Wotan dieses Schwert als Vermächtnis hinterließ. Zum inzestuösen Liebesakt dürfen sie sich in den hintergründigen Kirschgarten zurückziehen, über dem der Mond aufgeht und es ist, als hätt' er im Blütenschimmer die Erde voll geküsst.

    Günter Krämer hat den Blick auf die deutsche Wotanwelt seit seinem Hamburger "Rheingold" weiterentwickelt. Zwar bleibt sie fürderhin in kühler moderner Geschäftsarchitektur angesiedelt (die vielen Widdergeweihe an der glatten Wand erscheinen ausgesprochen neckisch). Doch ist sie in ihrer abstrakten Unbestimmtheit geeignet, jeweils in Kombination mit zusätzlich eingeblendeten Bild-Elementen die heterogenen Handlungsfäden zu bündeln.

    Da gibt es zunächst zur Sturm- und Drangmusik des Orchesters den Pulk Zivilisten, den Hundings Mannen niedermetzeln (diese Pantomime erhellt sich aus einer Erzählung Siegmunds, deren Bedeutung in der Regel überhört wird). Wie schon im "Rheingold" werden die altdeutschen Buchstaben des Wortes Germania über eine breite Treppe unterm riesigen Spiegel empor nach Walhall getragen. Aber Wotan stößt das G, das E und das R in einem seiner cholerischen Anfälle zurück in den Abgrund – und übrig bleibt: M-A-N-I-A. Das also war des Wortes Kern, das in dieser buchstäblichen Aufbereitung den Verdacht deutscher Kritiker auf sich gezogen hatte, der Regisseur wolle sich lediglich und billig "an den Hals seines französischen Publikums" werfen.

    Die Manie ist es, die Thomas Johannes Mayer gut gegen das Geschäftsmäßige und die damit verwickelte Liebe und Selbstverliebtheit des Vaters Wotan austariert. Er stellt Brünnhilde zur Rede wegen ihres gehorsamen Ungehorsams (sie hatte in der Schlacht Siegmund begünstigt, den Wotan auf Druck seiner Frau Fricka doch zu opfern bereit war): Katarina Dalayman stellt sich dieser Aussprache mit frischer Kraft (bei der aber auch Anstrengung hörbar bleibt).

    Seinen Wotan lässt der Regisseur zur großen Zwiesprache (die mit einem Wutausbruch beginnt und in melancholischer Trauer über den Verlust der Lieblingstochter endet) den toten Siegmund mitbringen – da wird sichtbar: Der Chef muss sich jetzt um die Betreuung der toten Helden selbst kümmern! Er legt Brünnhilde, der er die Attribute der Göttlichkeit entzieht und sie einschläfert, um sie frisch zu halten, nicht in einen isländischen Feuerkreis, sondern prosaisch neben die Leiche auf den Tisch.

    Im Hintergrund wird es gleißend rötlich hell und es zeigt sich dann ein Wald, wie er einige Zeit nach schweren Kriegshandlungen, Sturm und Brand oder vielleicht auch nach Vulkaneinwirkung aussieht. Brünnhilde verkriecht sich zum langen Schlaf unter den Tisch. Was soll eine auch anders machen, die hundemüde ist nach den übermenschlichen Strapazen der Mitwirkung an Gemetzeln und anschließender Rechtfertigung vor dem obersten Kriegsherrn.

    Die "Ringflation" zwischen Hamburg und Aix-en-Provence ist schon häufiger beklagt worden: Alle wollen im neuen Jahrtausend mit diesem Hauptwerk des 19. Jahrhunderts punkten. Die Musiker, für die die große Partitur Richard Wagners noch vor einer Generation eine riesige Anforderung bedeutete, scheinen sie zunehmend wie selbstverständlich zu bewältigen. Dies gilt auch für Paris, wo mit Philippe Jordan eine zügige, makellose Musikstrecke absolviert wird.