Die Geburtenstation des Universitätskrankenhauses in Delhi. Hier warten werdende oder gewordene Mütter und Väter auf den Gängen. Frauen sitzen auf den Betten der Eben-erst-Geborenen, wickeln sie in ihre Saris ein, drücken sie an sich.
Hier schauen Ärzte in die strahlenden Gesichter stolzer Eltern, aber auch in Gesichter, die von der Ungewissheit gezeichnet sind, die um das Leben ihrer Kleinen bangen müssen. Bangen musste zuletzt auch die Klinik selbst - um ihren exzellenten Ruf. 49 Babys nämlich, so die Zeitungsschlagzeilen, hätten ihr Leben gelassen, weil an ihnen Medikamente ausprobiert worden seien. Was die Klinik und ihr Sprecher Dr. Yogesh Gupta abstreiten:
"Das ist nicht wahr. Die Todesfälle, die aufgetreten sind während verschiedener Testreihen in den Jahren 2006 bis 2008, haben damit nichts zu tun. Diese Kinder hatten schwere Krankheiten. Keines der Babys starb wegen der Medikamente."
49 Babys, so viel ist sicher, sind im All India Institute for Medical Sciences gestorben. Viele erlebten nie ihren ersten Geburtstag. Gestorben sind sie, WÄHREND in der Klinik mit Medikamenten experimentiert wurde. Die empörten Eltern sagen: WEIL mit Medikamenten experimentiert wurde. Was allerdings äußerst schwer zu beweisen ist, wie der Arzt und Journalist Dr. Chandra Gulhati zu bedenken gibt, der in der Sache lange recherchiert hat:
"Wenn ein Patient stirbt - wer weist dann nach, ob er wegen einer Versuchsreihe oder wegen der Krankheit gestorben ist. Das ist genauso, als würde ich Ihnen sagen: Ich habe Kopfschmerzen. Und Sie entgegnen: Das glaube ich nicht. Ich kann Ihnen nicht beweisen, dass ich wirklich Kopfschmerzen habe und Sie mir auch nicht, dass ich keine habe!"
Der Vorwurf, den die Eltern dem so hoch angesehenen Krankenhaus machen, lässt sich in den schwerwiegenden Satz gießen: "Ihr habt unsere Kinder getötet." Beweisen lassen wird sich dieser Satz wohl nie. Chandra Gulhati hat sich auch mit der Frage befasst, ob die Eltern wohl darüber informiert wurden, dass ihre Kinder überhaupt mit nicht marktreifen Medikamenten behandelt wurden. Auch Sicht der Klinik ist die Sache klar:
"Es gibt zwei Grundsätze in der Forschung: Die Zustimmung muss immer eingeholt werden. Die wurde in diesem Fall auch von den Eltern eingeholt. Auch mit Unterschrift. Nachdem ihnen genau erklärt worden war, welche Vorteile oder Risiken sie möglicherweise davon haben."
Gulhatis Nachforschungen kommen zu einem anderen Ergebnis. Er weist darauf hin, dass man nie vergessen dürfe: Der Fall spiele in einem Land wie Indien, nicht in den USA oder Westeuropa. Man rede hier von einer Analphabetenquote von 50 Prozent:
"Ich glaube nicht, dass irgendjemand von den Eltern die blasseste Ahnung hatte, was da los war. Der ganze Zustimmungsprozess läuft hier in Indien sehr oberflächlich ab: Erstens werden Blanko-Formulare unterschrieben, wenn Sie im Krankenhaus aufgenommen werden. Wenn Sie mitten in der Nacht aufgenommen werden etwa, heißt es in vielen Kliniken: Unterschreiben Sie hier, sonst können wir Sie nicht behandeln."
Gegen schwere Vorwürfe musste sich eines der größten Krankenhäuser Indiens auf einmal zur Wehr setzen, dazu ein Krankenhaus, das für seine menschliche Fürsorge bekannt ist, das den Ruf hat, auch Menschen zu behandeln, die sich so etwas gar nicht leisten können. Vorwürfe waren das, die Klinik würde Menschen, Babys nicht versorgen, sondern missbrauchen. Bewirkt hat das zumindest eins: Das Thema Medikamententests ist auf einmal auf der Tagesordnung.
Indien ist ein Land, wo über eine Milliarde Menschern leben. Drei Viertel der Bevölkerung lebt einer Untersuchung zufolge auf Subsistenzlevel, das heißt, sie kann sich gerade so am Leben halten. Die Hälfte der Menschen kann nicht lesen und schreiben. Demnach ist es sehr einfach, Patienten zu finden, an denen klinische Tests durchgeführt werden können. Es ist auch deshalb ein ernstes Thema, weil diese Tests hier für die Firmen so billig sind. Sie kosten nur etwa 20 Prozent dessen, was sie in Deutschland kosten.
Es ist nur ein kleiner Trupp Demonstrierender, der sich im dichten Verkehr Delhis vor dem Bürogebäude von Indiens Gesundheitsminister eingefunden hat. Aber ein Trupp, der mit Symbolen zu spielen weiß: Die Erwachsenen haben ihre Kinder mitgebracht. Die tragen OP-Masken, wie sie sonst Chirurgen umbinden und recken Plakate in die Höhe, auf denen geschrieben steht: "Wir sind schon krank und arm und Analphabeten, bitte macht uns nicht zu Versuchskaninchen":
"Unser Anliegen ist dieses: Es gibt derzeit bei uns kein Gesetz, das Medikamentenversuche in Krankenhäusern verbietet. Es gibt einen Gesetzesvorschlag, der seit 2007 unbearbeitet vorliegt. Aber der ist noch nicht verabschiedet. Unser Hauptanliegen ist im Moment, dass dieses Gesetz endlich durchkommt."
Das fordert Rahul Verma. Er ist Vorsitzender einer Hilfsorganisation, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, das Thema nicht nur aufzuarbeiten, sondern auch publik zu machen. Aus seiner Sicht wird das auch Zeit. Denn
mittlerweile hat es sich in der Welt herumgesprochen, dass Indien exzellente Experimentierbedingungen auch für westliche Pharmafirmen bietet - diesen Spitzenplatz als Land mit den meisten Testreihen hat Indien China bereits abgenommen.
Im Jahr 2007 sollen in Indien der Regierung zufolge 139 Reihen dieser Art durchgeführt worden sein. Immerhin hat es durch den Fall in Delhi jetzt einen kleinen Aufschrei - nicht so laut wie der aus einer Babykehle, aber doch hörbar - in Presse und Fernsehen gegeben. So vernehmbar immerhin, dass die Regierung eine Untersuchung der Vorgänge angeordnet hat:
"Ich hoffe, dass dadurch mehr und mehr Menschen von den klinischen Tests erfahren. Dieses Bewusstsein verbreitet sich langsam, aber sicher."
Dr. Chandra Gulhati weiß von Geschichten zu berichten, die nicht nur Menschen, die den hippokratischen Eid geschworen haben, die Haare zu Berge stehen lassen. Geschichten von Schlepperbanden, die aufs Land fahren, verarmten Menschen ein paar hundert Rupien oder auch nur ein Zugticket nach Delhi versprechen, wenn sie ein paar Tage eine bestimmte Medizin schlucken. Es sei ja so einfach, und auch so kostengünstig, in Indien Leute zu finden, die sich auch willentlich zu Versuchsmenschen umfunktionieren lassen.
Auch das ist offenbar ein Stück Globalisierung: Wenn Firmen im Westen die Gewinne einstreichen - aber in Asien Menschen die Arbeit machen lassen, die sie bei sich zu Hause noch nicht mal mit übergestreiften Schutzhand-schuhen ausführen würden.
Hier schauen Ärzte in die strahlenden Gesichter stolzer Eltern, aber auch in Gesichter, die von der Ungewissheit gezeichnet sind, die um das Leben ihrer Kleinen bangen müssen. Bangen musste zuletzt auch die Klinik selbst - um ihren exzellenten Ruf. 49 Babys nämlich, so die Zeitungsschlagzeilen, hätten ihr Leben gelassen, weil an ihnen Medikamente ausprobiert worden seien. Was die Klinik und ihr Sprecher Dr. Yogesh Gupta abstreiten:
"Das ist nicht wahr. Die Todesfälle, die aufgetreten sind während verschiedener Testreihen in den Jahren 2006 bis 2008, haben damit nichts zu tun. Diese Kinder hatten schwere Krankheiten. Keines der Babys starb wegen der Medikamente."
49 Babys, so viel ist sicher, sind im All India Institute for Medical Sciences gestorben. Viele erlebten nie ihren ersten Geburtstag. Gestorben sind sie, WÄHREND in der Klinik mit Medikamenten experimentiert wurde. Die empörten Eltern sagen: WEIL mit Medikamenten experimentiert wurde. Was allerdings äußerst schwer zu beweisen ist, wie der Arzt und Journalist Dr. Chandra Gulhati zu bedenken gibt, der in der Sache lange recherchiert hat:
"Wenn ein Patient stirbt - wer weist dann nach, ob er wegen einer Versuchsreihe oder wegen der Krankheit gestorben ist. Das ist genauso, als würde ich Ihnen sagen: Ich habe Kopfschmerzen. Und Sie entgegnen: Das glaube ich nicht. Ich kann Ihnen nicht beweisen, dass ich wirklich Kopfschmerzen habe und Sie mir auch nicht, dass ich keine habe!"
Der Vorwurf, den die Eltern dem so hoch angesehenen Krankenhaus machen, lässt sich in den schwerwiegenden Satz gießen: "Ihr habt unsere Kinder getötet." Beweisen lassen wird sich dieser Satz wohl nie. Chandra Gulhati hat sich auch mit der Frage befasst, ob die Eltern wohl darüber informiert wurden, dass ihre Kinder überhaupt mit nicht marktreifen Medikamenten behandelt wurden. Auch Sicht der Klinik ist die Sache klar:
"Es gibt zwei Grundsätze in der Forschung: Die Zustimmung muss immer eingeholt werden. Die wurde in diesem Fall auch von den Eltern eingeholt. Auch mit Unterschrift. Nachdem ihnen genau erklärt worden war, welche Vorteile oder Risiken sie möglicherweise davon haben."
Gulhatis Nachforschungen kommen zu einem anderen Ergebnis. Er weist darauf hin, dass man nie vergessen dürfe: Der Fall spiele in einem Land wie Indien, nicht in den USA oder Westeuropa. Man rede hier von einer Analphabetenquote von 50 Prozent:
"Ich glaube nicht, dass irgendjemand von den Eltern die blasseste Ahnung hatte, was da los war. Der ganze Zustimmungsprozess läuft hier in Indien sehr oberflächlich ab: Erstens werden Blanko-Formulare unterschrieben, wenn Sie im Krankenhaus aufgenommen werden. Wenn Sie mitten in der Nacht aufgenommen werden etwa, heißt es in vielen Kliniken: Unterschreiben Sie hier, sonst können wir Sie nicht behandeln."
Gegen schwere Vorwürfe musste sich eines der größten Krankenhäuser Indiens auf einmal zur Wehr setzen, dazu ein Krankenhaus, das für seine menschliche Fürsorge bekannt ist, das den Ruf hat, auch Menschen zu behandeln, die sich so etwas gar nicht leisten können. Vorwürfe waren das, die Klinik würde Menschen, Babys nicht versorgen, sondern missbrauchen. Bewirkt hat das zumindest eins: Das Thema Medikamententests ist auf einmal auf der Tagesordnung.
Indien ist ein Land, wo über eine Milliarde Menschern leben. Drei Viertel der Bevölkerung lebt einer Untersuchung zufolge auf Subsistenzlevel, das heißt, sie kann sich gerade so am Leben halten. Die Hälfte der Menschen kann nicht lesen und schreiben. Demnach ist es sehr einfach, Patienten zu finden, an denen klinische Tests durchgeführt werden können. Es ist auch deshalb ein ernstes Thema, weil diese Tests hier für die Firmen so billig sind. Sie kosten nur etwa 20 Prozent dessen, was sie in Deutschland kosten.
Es ist nur ein kleiner Trupp Demonstrierender, der sich im dichten Verkehr Delhis vor dem Bürogebäude von Indiens Gesundheitsminister eingefunden hat. Aber ein Trupp, der mit Symbolen zu spielen weiß: Die Erwachsenen haben ihre Kinder mitgebracht. Die tragen OP-Masken, wie sie sonst Chirurgen umbinden und recken Plakate in die Höhe, auf denen geschrieben steht: "Wir sind schon krank und arm und Analphabeten, bitte macht uns nicht zu Versuchskaninchen":
"Unser Anliegen ist dieses: Es gibt derzeit bei uns kein Gesetz, das Medikamentenversuche in Krankenhäusern verbietet. Es gibt einen Gesetzesvorschlag, der seit 2007 unbearbeitet vorliegt. Aber der ist noch nicht verabschiedet. Unser Hauptanliegen ist im Moment, dass dieses Gesetz endlich durchkommt."
Das fordert Rahul Verma. Er ist Vorsitzender einer Hilfsorganisation, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, das Thema nicht nur aufzuarbeiten, sondern auch publik zu machen. Aus seiner Sicht wird das auch Zeit. Denn
mittlerweile hat es sich in der Welt herumgesprochen, dass Indien exzellente Experimentierbedingungen auch für westliche Pharmafirmen bietet - diesen Spitzenplatz als Land mit den meisten Testreihen hat Indien China bereits abgenommen.
Im Jahr 2007 sollen in Indien der Regierung zufolge 139 Reihen dieser Art durchgeführt worden sein. Immerhin hat es durch den Fall in Delhi jetzt einen kleinen Aufschrei - nicht so laut wie der aus einer Babykehle, aber doch hörbar - in Presse und Fernsehen gegeben. So vernehmbar immerhin, dass die Regierung eine Untersuchung der Vorgänge angeordnet hat:
"Ich hoffe, dass dadurch mehr und mehr Menschen von den klinischen Tests erfahren. Dieses Bewusstsein verbreitet sich langsam, aber sicher."
Dr. Chandra Gulhati weiß von Geschichten zu berichten, die nicht nur Menschen, die den hippokratischen Eid geschworen haben, die Haare zu Berge stehen lassen. Geschichten von Schlepperbanden, die aufs Land fahren, verarmten Menschen ein paar hundert Rupien oder auch nur ein Zugticket nach Delhi versprechen, wenn sie ein paar Tage eine bestimmte Medizin schlucken. Es sei ja so einfach, und auch so kostengünstig, in Indien Leute zu finden, die sich auch willentlich zu Versuchsmenschen umfunktionieren lassen.
Auch das ist offenbar ein Stück Globalisierung: Wenn Firmen im Westen die Gewinne einstreichen - aber in Asien Menschen die Arbeit machen lassen, die sie bei sich zu Hause noch nicht mal mit übergestreiften Schutzhand-schuhen ausführen würden.