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Risiko Nanopartikel
Einfluss sogar über Generationen hinweg

Umwelt. - Nanopartikel sind in einer Reihe von Produkten enthalten, etwa in Sonnencremes, Zahnpasten oder Wandfarben. Ihre Wirkungen auf die Organismen sind zurzeit nur in Ansätzen bekannt. An der Universität Koblenz-Landau haben Biologen entdeckt, dass Nanoteilchen aus Titandioxid Wasserflöhe und Bachflohkrebse überraschend stark beeinflussen.

Von Volker Mrasek | 20.03.2014
    Schon heute setzt die Industrie Nanomaterialien ein. Zu den bekanntesten zählt sicher Titandioxid. Es steckt zum Beispiel in Sonnenschutzcremes, als Strahlenfänger. Oder in vielen Kosmetika, als Weißpigment. Deshalb führten auch die Umweltwissenschaftler der Universität Koblenz-Landau ihre Laborversuche mit Titandioxid durch – eben weil es bereits so häufig verwendet wird ...
    "... und insofern auch die Wahrscheinlichkeit am höchsten ist, dass es in Gewässern vorkommt."
    Ralf Schulz ist Professor für Umweltwissenschaften an der Landauer Hochschule. Seine Arbeitsgruppe mischte die feinen Titandioxid-Partikel mit Wasser, füllte das Ganze in Bechergläser und setzte Dutzende Wasserflöhe hinein. Und zwar eine Art, die in unseren Seen vorkommt und Nahrung für viele Fische ist.
    "Da ist gar nichts passiert über 48 Stunden, wie man das normalerweise macht. Und dann haben wir uns überlegt, dass wir diese Experimente vielleicht mal verlängern sollten, und haben sie auf die doppelte Zeit, 96 Stunden, verlängert und plötzlich gesehen, dass es doch ganz extreme Effekte bei relativ geringen Konzentrationen von Nanomaterialien gibt."
    Mit der Zeit lagerten sich immer mehr der winzigen Teilchen an der Außenhaut der Daphnien an, wie Wasserflöhe im Fachjargon heißen.
    "Und dadurch waren dann die Daphnien in Nanopartikel eingekleidet. Und das hat die Daphnien sehr, sehr stark negativ beeinflusst: Daß sie nicht mehr gut schwimmen konnten und daß sie sich vor allem nicht mehr gehäutet haben. Die wachsen nämlich eigentlich dadurch, daß sie Häute abwerfen und dann größer werden. Und wenn sie das nicht mehr können, leiden sie darunter. Also, 90 Prozent sind dann innerhalb von 96 Stunden gestorben."
    Eigentlich gilt Titandioxid nicht als besonders giftig. Jedenfalls nicht im klassischen Sinne einer chemisch-biologischen Wechselwirkung. Auf die Wasserflöhe wirkten die Nanopartikel auf andere Weise schädlich: rein mechanisch. Weil sie sich an die Panzer der Tiere hefteten und sie quasi immer mehr verklumpten. Die Biologen überraschte auch noch ein anderes Ergebnis der Laborexperimente:
    "Da haben wir Elterntiere von diesen Wasserflöhen Nanopartikeln ausgesetzt. Und dann die Jungtiere, die geboren wurden, genommen und dann geschaut: Wie empfindlich sind diese Jungtiere gegenüber Nanopartikeln? Und da hat sich gezeigt, daß die plötzlich sehr viel empfindlicher waren. Daß also im Endeffekt von den Eltern auf die Jungtiere irgendetwas übergegangen sein muss, was deren Empfindlichkeit erhöht hat."
    Als Ralf Schulz und seine Mitarbeiter die jungen Daphnien Titandioxid aussetzten, wurden viel mehr von ihnen schwimmunfähig als in einer Kontrollgruppe, bei denen die Elterntiere keinen Kontakt mit dem Nanomaterial hatten.
    "Was es ist, können wir wirklich noch nicht sagen. Die Wissenschaft befindet sich da schon noch inmitten des Prozesses, die Wirkung der Nanopartikel aufzuklären."
    Zuletzt arbeiteten die Landauer Umweltwissenschaftler auch noch mit Bachflohkrebsen. Sie leben in unseren Fließgewässern. Wenn es darum geht, Laub zu zersetzen, das in Bäche und Flüsse fällt, spielen sie eine wichtige Rolle, …
    "... weil ganz viele Fließgewässer dadurch ihre Energie bekommen, dass Laub, Falllaub von Bäumen, aus der Umgebung eingetragen wird. Sonst wären die im Prinzip biologisch tot."
    Auch für die Bachflohkrebse erwies sich Titandioxid im Laborexperiment als schädlich – doch wiederum auf andere Weise: in Kombination mit ultraviolettem Licht, wie es in Gewässer fällt, wenn die Sonne scheint ...
    "... weil diese UV-Strahlung das Titandioxid so aktiviert, dass oxidative Sauerstoff-Radikale gebildet werden, die zellschädigend sind und die dann bei den Bachflohkrebsen auch entsprechende negative Wirkungen haben."
    Man muss aber auch sagen: Die schädlichen Konzentrationen waren 100 bis 1000 Mal höher als das, was sich heute an Titandioxid in Gewässern befinden dürfte. Genau weiß man das aber nicht. Freilandmessungen von Nanoteilchen sind schwierig, die Forscher müssen sich da mit Computermodellen behelfen. Dennoch seien die Partikel ein Fall für nähere Risikobetrachtungen, sagt Ralf Schulz. Zumal ihre Anwendungen sicher noch zunehmen - und damit auch ihre Konzentration in der Umwelt. Zunächst braucht man aber neue toxikologische Test-Standards. Sonst läßt sich zum Beispiel die geschilderte Verklumpung von Organismen durch Titandioxid gar nicht erfassen.
    Schulz: "Diese mechanische Toxizität, die man im Prinzip bisher nicht kannte und die hier eine ganz, ganz starke Rolle spielt - aufgrund der Kleinheit der Partikel. Das ist also wirklich eine Nano-Eigenschaft."
    Das alles geht aber nicht von heute auf morgen. Bis Fachbehörden und Industrie über spezielle Nano-Tests verfügen, werden nach Einschätzung des Landauer Biologen noch einige Jahre vergehen.