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Riskante Mehrlingsschwangerschaften

Zwei bis drei Prozent aller in Deutschland geborener Kinder sind Zwillinge. Die Hälfte davon dank der neuen Möglichkeiten der Reproduktionsmedizin. Aber Mehrlingsschwangerschaften sind auch riskant: sie enden oft schon in den ersten Wochen der Schwangerschaft mit dem Tod eines oder aller Föten. Doch es gibt auch hier neue Behandlungsmöglichkeiten. Experten aus ganz Deutschland trafen sich in Berlin zum Symposium "Kontroversen in der Geburtshilfe".

Von William Vorsatz |
    Lola und Baffi sind wohlauf. Erst letzte Nacht sind die beiden Zwillinge zur Welt gekommen. Ihre Mutter Claudia Sommer dagegen wird wahrscheinlich noch einige Zeit brauchen, bis sie wieder voll da ist:
    Es war furchtbar. Hätte ich als erstes Zwillinge bekommen, hätte ich vielleicht ja nie wieder schwanger sein wollen. Es war also eine ganz, ganz andere Erfahrung.

    Denn irgendwie wollten die beiden gar nicht aus dem Bauch. So haben die Helfer am Universitätsklinikum Benjamin Franklin in Berlin die Geburt künstlich eingeleitet. Anders als bei den meisten Mehrlingen: denn die kommen eher zu früh. Die Rate an Zwillings- und Mehrlingsgeburten ist seit den 80er Jahren sprunghaft gestiegen. Durch die gezielte medizinischen Hilfen bei Zeugungsproblemen beispielsweise. Dr. Rainer Bald vom Uniklinikum in Köln:

    Wir müssen mit einer höheren Rate an Mehrlingsschwangerschaften rechnen, einerseits dadurch, dass viele Frauen medikamentös behandelt werden, und damit mehr Zwillings- oder Drillingsschwangerschaften entstehen, Zwillingsschwangerschaften sind etwa um den Faktor 20 häufiger, als wenn die Frau ohne Medikamente schwanger geworden wäre, und wir müssen mit höheren Raten an Mehrlingsschwangerschaften rechnen, weil die Frauen heut zu tage immer älter werden für ihre Schwangerschaft, und eine enge Beziehung besteht zwischen höherem mütterlichen Alter und Entstehen von Mehrlings-schwangerschaften.

    Besonders eineinige Zwillingsschwangerschaften sind riskant. Denn in zwei von drei Fällen teilen sich die Feten einen Mutterkuchen und sind so auf Gedeih und Verderb miteinander verbunden. Zwölf Prozent sterben schon vor der 24. Schwangerschaftswoche. Häufigste Ursache ist das so genannte Zwillingstransmissionssyndrom. Professor Kurt Hecher vom Universitätsklinikum Hamburg hat sich darauf spezialisiert:

    Das ist ein Syndrom, oder einen Komplikation, wo es auf Grund dieser Blutgefäßverbindungen am Mutterkuchen dazu kommt, dass ein Kind Blut an das andere verliert, also abgibt. Das sind zwar nur ganz kleine Mengen, aber über Tage und Wochen kann sich das eben so aufschaukeln, dass ein Kind dann, das ist der Spender, viel zu wenig Blutvolumen hat, und das andere Kind, der Empfänger, viel zu viel Blutvolumen.

    Der empfangende Fötus muss durch die vermehrte Blutzufuhr immer mehr Flüssigkeit aufnehmen und in die Fruchtblase ausscheiden, die dadurch unaufhörlich wächst. Damit steigt das Risiko einer extremen Frühgeburt. Die Fruchtblase des Spenders dagegen trocknet regelrecht aus und umschließt den unterversorgten Fötus immer enger, fast wie bei einer Vakuumverpackung. Der Fötus stirbt. Während früher nur regelmäßig literweise Fruchtwasser aus der zu großen Blase abgezapft wurde, setzt das EU-geförderte Eurofetus Consortium jetzt auf Laserbehandlungen. Professor Hecher:

    Wir können durch einen minimalinvasiven Eingriff, den wir in lokaler Betäubung durchführen können, mit einem Fetuskop, das ist ein kleines Endoskop, eingehen, also ist ein optisches System, mit dem man in die Fruchthöhle eingehen kann, man kann mit einer Lichtquelle die Plazenta ausleuchten und kann die Blutgefäße verfolgen. Zwischen den beiden Nabelschnuransätzen. Man kann dann die Blutgefäßverbindungen entdecken und hat die Möglichkeit, durch eine Laserfaser, die man einfügt, diese Blutgefäße zu verschließen.
    Damit bekommen die Feten wieder gleich viel Blut, ihre Fruchtblasen können sich normal entwickeln. Die neue Methode senkt aber nicht nur die Sterblichkeitsrate. Bei einer herkömmlichen Behandlung behalten 20 Prozent der überlebenden Kinder gravierende Hirnschäden zurück. Nach dem minimalinvasinen Lasereingriff sind es dagegen nur noch sieben Prozent.

    Wenn bei einer werdenden Mutter nun nach der ersten Ultraschalluntersuchung Zwillinge oder mehr prognostiziert werden, ist auf alle Fälle eine spezielle Betreuung notwendig. Dies gilt um so mehr, wenn es sich um Zwillinge mit einer gemeinsamen Plazenta handelt. Wenigstens alle zwei Wochen ist dann ein weiterer Ultraschall nötig. Ein Alarmsignal ist aber auch ein zu starker Bauchumfang. Dahinter könnte eine vergrößerte Fruchtblase stecken, die ebenfalls auf ein Transmissionssyndrom deutet.
    Trotz aller notwendigen Wachsamkeit rät die stolze Zwillingsmutter Sommer jedoch auch zu einer gewissen Gelassenheit:
    Man muss sich die Ruhe gönnen. Ganz einfach. Die Ruhe muss man sich gönnen, man darf sich nicht verrückt machen, aber es geht auch gar nicht anders. Also die Zwillinge die nehmen sich ihr Recht. Also so war's bei mir hm hm.