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Ritter an der Ruhr

Das Ruhrgebiet war im Mittelalter ein Burgenland. Wo später Zechen und Fördertürme die Landschaft prägten, drängten sich über 400 Rittersitze, von der imposanten Bergfeste bis zur kleinen Holzburg. Eine Mittelalterausstellung im Museum für Archäologie in Herne präsentiert die Welt der Ritter an der Ruhr und räumt dabei mit manchen Klischees auf.

Von Peter Leusch | 04.03.2010
    Am 7. November 1225 gerät der Kölner Erzbischof Engelbert bei Gevelsberg im heutigen Ruhrgebiet in einen Hinterhalt. Graf Friedrich von Isenberg und seine Männer lauern dem Kirchenfürsten in einem Hohlweg auf. Die wenigen Gefolgsleute fliehen, Engelbert selber wird brutal niedergemetzelt.

    "Erzbischof Engelbert von Köln, einer der mächtigsten Männer überhaupt im mittelalterlichen Europa damals, war darauf aus, sein Erzbistum, das heißt seine Macht, weiter auszubreiten in Rheinland und Westfalen, und dabei geriet er mit anderen Potentaten zusammen, einer von diesen war sein Verwandter Friedrich von Isenberg. Mit ihm hat er gestritten, sie wollten das gleiche Objekt, nämlich das Stift Essen, beherrschen. Und da konnte man sich diplomatisch nicht einigen, sodass es zum Überfall am 7. November 1225 kam."

    Der Archäologe Stefan Leenen vom Museum für Archäologie in Herne schildert die Hintergründe des spektakulären Mordfalls. Der Leichnam Engelberts wurde, nachdem man die Gebeine vom Fleisch gelöst hatte, nach Nürnberg geschafft und dort zusammen mit den blutigen Kleidern König Heinrich VII. und der Hofgesellschaft auf die Festtafel gelegt, um Sühne zu fordern:

    Den ich im Leben pries, des Tod muss ich beklagen,
    Drum weh ihm, der den edlen Fürsten hat erschlagen
    Von Köln, dass ihn die Erde noch mag tragen.


    ... schrieb Walter von der Vogelweide.

    "Ich kann ihm seiner Schuld gemäß noch keine Marter finden.
    Ihm wäre zu gelind ein eichner Strang um seinen Kragen,
    Ich will ihn auch nicht brennen, vierteln oder schinden,
    Noch mit dem Rad zermalen, noch darüber binden:
    Ich hoff, er werde lebend noch den Weg zur Hölle finden."

    Friedrich von Isenberg, der Kopf der Verschwörer, wurde exkommuniziert und geächtet. Ein Jahr nach dem Anschlag geriet der Flüchtige in die Gewalt des neuen Kölner Erzbischofs und wurde nach dem Prozess grausam hingerichtet. Engelbert dagegen hat man zum Märtyrer erklärt und heilig gesprochen.

    1978 hat ein Kölner Gerichtsmediziner den Leichnam aus dem Engelbertschrein forensisch untersucht und die 47 Verletzungen weitgehend bestätigt.

    Denn schon die Zeitgenossen hegten Zweifel an der Beurteilung des Anschlags. Handelte es sich wirklich um einen geplanten Mord? Die meisten Historiker wie Peter Johanek vom Institut für Vergleichende Städtegeschichte in Münster teilen diese Bedenken:

    "Man wird davon ausgehen müssen, dass nicht ein Mord, nicht die Tötung geplant war, sondern wahrscheinlich nur eine Gefangennahme, wobei das Geschehen außer Kontrolle geriet. Aber die Tötung eines Bischofs ist schon ein skandalöses Ereignis und ist sofort verglichen worden mit einem anderen Fall dieser Art, mit dem Mord an Thomas Becket, einige Jahrzehnte vorher in Canterbury, durch König Heinrich II. von England."

    Nun hatten auch die deutschen Lande ihr spektakuläres Kapitalverbrechen. Wie auch immer die genauen Motive und Umstände des Anschlags zu beurteilen sind, in jedem Fall hatte er Auswirkungen auf die weitere Entwicklung der ganzen Region. Denn viele Adelige - manche wohl auch an der Verschwörung beteiligt - nutzten das Machtvakuum nach dem Tod des Kölner Erzbischofs, um ihre lokale Herrschaft weiter auszubauen und sich als Potentaten festzusetzen. So entstanden statt einer Zentralgewalt zahlreiche kleinere Machtzentren im Raum von Rhein und Ruhr, erklärt der Archäologe Michael Rind vom Museum in Herne.

    "Mit der Zerstörung der Isenburg und mit der Hinrichtung seines Konkurrenten Friedrich von Isenberg wird eigentlich eine Situation geschaffen, die zu einem Bauboom im 13. Jahrhundert führt. Es werden kleine Adelssitze neu gegründet, die ganze Region - man könnte fast sagen - zerfällt in kleine territoriale Einheiten; und das, was Engelbert eigentlich vorhatte, nämlich seinen Machtbereich auszudehnen über das ganze Westfalen, das hat nicht funktioniert und deswegen sind in dieser Zeit danach kleine Adelsitze entstanden und zwar über 400 Stück auf einem engen Gebiet, auf einer Länge von Ost-West vielleicht 60 Kilometern entlang der Ruhr."

    Das Ruhrgebiet war Burgenland. Dichter als in jedem anderen Teil Deutschlands drängten sich hier im 13. Jahrhundert die Burgen und Adelssitze, allein in Herne entdeckten die Forscher 16 Anlagen. Allerdings erfährt man in dieser Ausstellung auch: Das gängige Bild der trutzigen Ritterburg, die wie ein Adlerhorst, stolz, mächtig und aus Stein auf einer Felskuppe thront, stellt ein Klischee dar.

    "Das Klischee hat auch einen Grund. Es gab natürlich größere Burgen auch im Umkreis. Und die Isenburg, die wir hier in der Ausstellung in einem großen Modell auch zeigen, die belegt das eindeutig. Aber sie wurde eben zerstört und die gängige Form des Bauens für kleine Adelige im13. Jahrhundert war eben die sogenannte Motte. Das heißt, man hat einen Erdhügel aufgeschüttet, von etwa vier bis fünf Metern Höhe, einen Graben rundherum gezogen, man hat auf diesem Erdhügel ein hölzernes Bauwerk errichtet, das war bis zu 20 Metern hoch, und das war eigentlich die gängige Siedlungsform eines kleinen Adelssitzes, dort hat die Familie gelebt, und in einer Vorburg, die immer zwingend zu so einer Anlage dazugehört, war der Wirtschaftsbereich untergebracht."

    Die Motte war gleichsam die Billigburg der Ritterzeit, sie ließ sich schnell und kostengünstig aus Holz errichten. Den Zeitgenossen bot sich vermutlich ein ähnlicher Anblick wie heute bei den Geschlechtertürmen im toskanischen San Gimignano. Aber im Gegensatz zu den größeren Steinburgen ist von den hölzernen Motten keine erhalten. Und weil es auch keine schriftlichen Quellen gibt, stehen die Archäologen bei der exakten Rekonstruktion einer Turmhügelburg, wie sie nun für die Ausstellung neben dem Museum in Originalgröße bis Ende März nachgebaut wird, vor manch einem Rätsel. Michael Rind:

    "Es gibt ganz wenig bildliche Darstellungen, die uns zeigen, wie so ein Adelsitz, so eine Motte ausgesehen hat, zum Beispiel auf dem Teppich von Bayeux. Aber das sind natürlich Strichzeichnungen und die geben die Details nicht wieder. Wenn man nun versucht, so ein Bauwerk nachzubauen, wird man sehr schnell and die Grenzen stoßen, die Fragen, wie hat man dort gelebt, wo ist man hineingegangen in so eine Motte, im Erdgeschoss oder erst im ersten Stock, wie sahen die Treppen im Inneren aus? Das können wir nur durch bautechnische Details erfahren, die wir aus vielen, vielen unterschiedlichen Orten in ganz Europa mühsam zusammensuchen müssen, ob es an anderen Stellen ähnliche Befunde gegeben hat, die uns zeigen können, wie so etwas rekonstruiert werden könnte."

    Wie haben die Ritter auf ihren großen und kleinen Burgen gelebt? Waren sie eigentlich die Helden und Lichtgestalten des sogenannten finsteren Mittelalters? Ein Ritter soll die Schwachen, die Witwen und Waisen schützen, täglich eine Messe hören und das Christentum verteidigen. Edel und tapfer soll er sein, treu zu seinem Lehnsherrn, zu Kaiser und Kirche stehen. So lautet das hehre Tugendideal.

    Und der Knappe lernt in seiner Ausbildung zum Ritter nicht nur Reiten und Kampftechnik, sondern auch, wie man sich am Hofe und gegenüber Standesgenossen geziemend benimmt. Aber später, in der Wirklichkeit draußen, geht er oft ganz andere Wege, erklärt Stefan Leenen, der Projektleiter der Ausstellung.

    "Man darf nicht wirklich glauben, dass sie immer so tugendhaft waren, sondern - wenn ein Ritter in den Krieg gezogen ist, eine Fehde mit seinem Nachbarn hatte, dann hat er auch die Dörfer des Nachbarn verbrannt, um dessen Wirtschaftsgrundlage zu zerstören. Die Leidtragenden waren die Bauern. Auch in der zeitgenössischen Literatur gibt es viele Kritiker dieser Diskrepanz zwischen Ideal und der Wirklichkeit. Und man kann aus der Literatur der damaligen Zeit sehen, wie groß zum Beispiel die Verachtung der niederen Stände, gerade des Bauern durch die Ritter ist: überhaupt nichts, was wir heute unter Ritterlichkeit sehen würden, was damals dort geschehen ist und wie sich der Ritter dann verhalten hat."

    Die mittelalterliche Gesellschaft war streng hierarchisch nach Ständen geordnet: Adel und hoher Klerus grenzten sich ab gegen das gemeine Volk. Und die Burg bildete einen sozialen Organismus, der diese Ständestruktur im Kleinen widerspiegelte. Neben den Bauern im Umkreis wohnten in der Vorburg meist auch allerlei Handwerker: Zimmerleute, Steinmetze und Schmiede. Aber der Zutritt ins Innere der Burg blieb ihnen normalerweise verwehrt, Hier begann ein Repräsentationsbereich, den der Burgherr nur sich, seinen Gästen und adligen Verwandten vorbehielt. So lebte man auf der Burg, auch wenn die Stände einander brauchten, mehr neben- als miteinander.

    "Es wird keine allzu großen Überschneidungen im Lebensalltag gegeben haben, weil der Adel gewisse Vorrechte hatte und Arbeit grundsätzlich dem Standesgedanken widersprach. Da gibt etwas wie Freizeit, was sich der normale Mensch des Mittelalters eher weniger vorstellen konnte. Der Adel hatte viel freie Zeit, und die musste standesgemäß gestaltet werden, das heißt: mit Jagd, mit Besuchen bei anderen Adligen, mit Waffenspielen, mit Unterhaltung allgemein, sei es durch fahrende Sänger, durch Unterhalter. Das konnte sich letztlich nur der Adel leisten, und das ist ein ganz anderes Leben, als das, was die bäuerliche Bevölkerung oder auch die Handwerker auf der Burg geführt haben."

    Aus der höfischen Literatur des Hochmittelalters sind viele Gedichte und Lieder des sogenannten Minnesangs überliefert: Ein Ritter verehrt seine Herzensdame, die aber für ihn unerreichbar bleibt, da sie bereits verheiratet ist oder einem höheren Stand angehört. Bei Turnieren kämpft er für sie, widmet ihr seine Taten, obwohl er weiß, dass er niemals mit ihr zusammen sein kann.

    Das Liebesideal der hohen Minne scheint ebenso wie das Tugendethos eine gesellschaftliche Strategie, um das Gewaltpotenzial der Kriegerkaste, denn das waren das die Ritter, zu zügeln und zu kultivieren. Die idealisierte Minne trennte man aber klar, so Peter Johanek, von der Institution der Ehe.

    "Die Ehe ist in dieser Zeit ganz eindeutig ein Instrument der Politik. Wir würden heute vielleicht von Zwangsehen reden, aber selbstverständlich wurden hier Leute zusammengebracht in der Ehe, von deren Verbindung man sich politische Optionen für die Zukunft versprach, Optionen, das heißt einmal Erbfälle, aber auch das Aufbauen von Netzwerken mit anderen Familien, die einflussreich sind."

    Im Grunde praktiziert der Hochadel heute noch diese Art von Heiratspolitik. Während das Bürgertum seit der Romantik der Utopie folgt, Ehe und Liebe, Beständigkeit und Leidenschaft zu vereinen, hat dies der Adel stets getrennt.

    Aber dass es am mittelalterlichen Hof nicht nur die platonische Minne auf der einen und die vernunftorientierte Ehe auf der anderen Seite gab, auch dafür bietet die Ausstellung Zeugnisse.

    "Es war keine asexuelle Zeit, wir haben Darstellungen, zum Beispiel einen sehr schönen Messergriff in der Ausstellung, wo ein Pärchen beim Liebesakt dargestellt ist. Es gab auch in hochqualitativer Ausführung solche Darstellungen, das heißt, so etwas wird an einer sozial höher gestellten Tafel benutzt worden sein, solch ein Besteck. Es schließt sich also nicht aus: Das hohe Ideal, aber eben auch das Menschliche ist im Mittelalter vertreten."

    Schon in der Blütezeit des Rittertums, im Hochmittelalter, lebten viele Ritter gar nicht mehr in Burgen. So komfortabel war das Wohnen dort nicht. Außerdem erhielten sie besondere Aufgaben in den vielen neugegründeten Städten dieser Zeit.

    Die mittelalterliche Geschichte verlagert ihr Zentrum: weg von der Burg hin zu den Städten. Dort blühen Handel, Gewerbe und Geldwirtschaft auf, dort bieten sich neue Wohnformen für die rasch wachsende Bevölkerung. Die Städte sichern sich mit gewaltigen Mauern. Damit wird die Stadt selber zu einer Art Burg, zur Festung.

    Für das Rittertum beginnt ein allmählicher Niedergang: Mancher Adlige verlässt das Kriegshandwerk und wandelt sich zum Feudalherrn mit großem Landebesitz, nachdem das Lehen zu seinem Eigentum geworden ist. Andere wie Götz von Berlichingen werden zum Raubritter. Sie befehden ihre adligen Nachbarn, um ihnen ihren Besitz abzunehmen. Und sie überfallen auch Kaufleute.

    Unter den verschiedenen Gründen für den Niedergang des Rittertums rangiert der militärische an erster Stelle: Der Ritter unterliegt künftig dort, wo er immer am stärksten war - auf dem Schlachtfeld.

    "Der Elitekrieger zu Pferde ist nicht mehr der Beherrscher des Schlachtfeldes, sondern es kommen andere Kampfarten auf, gerade im süddeutschen Bereich sehr früh schon die Bürger- oder Bauernheere - mit langen Spießen, die die Ritter gut abwehren können. Es wird immer mehr auf Fernwaffen gesetzt, zum Beispiel die Armbrust, die leicht zu bedienen ist und auch einen gepanzerten Ritter niederstrecken kann, und natürlich durch die Feuerwaffen. Später wird die Befestigung des Ritters entwertet, die Burg ist nicht mehr der absolut sichere Rückzugsort, man braucht immer größere, aufwendigere Festungsbauten, und die kann sich der Ritter, der gleichzeitig wirtschaftliche Probleme bekommt, nicht mehr leisten."