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Ritterspektakel und Märchenspiel

Ein "großes historisches Ritterschauspiel" nannte Heinrich von Kleist sein "Käthchen von Heilbronn", das am 17. März 1810 im Theater an der Wien uraufgeführt wurde. Das "Käthchen" wurde zu Kleists erfolgreichstem Bühnenstück, denn es bediente die Lust am Schauerdrama ebenso wie an gewaltigen Ritterspektakeln und Märchenspielen.

Von Eva Pfister | 17.03.2010
    Das Käthchen von Heilbronn folgt dem Grafen Wetter vom Strahl auf dem Fuß. Wie ein Hund, so spotten die Leute. Aber die 15-Jährige lässt sich in ihrer Liebe nicht beirren:

    "Käthchen, sprich, was soll draus werden?"

    "Was draus soll werden?"

    "Ja?"

    "Zu Ostern übers Jahr wirst du mich heuern!"

    "So heuern? In der Tat, das wusste ich nicht!"

    Sogar im Schlaf kann Katharina dem Adligen noch erklären, warum sie sich ihrer Sache so sicher ist; hier in Jürgen Flimms Verfilmung des Stoffes:

    "Katharina, schau! Wer hat dir das gesagt?"

    "Das hat die Mariane mir gesagt. Die sah's im Blei, das sie geheimnisvoll in der Silvesternacht mir zugegossen."

    "In der Silvesternacht?"

    "Ja. Ein großer, schöner Ritter würd' mich heuern."

    Prophezeiungen und Träume, eine böse Rivalin und ein Engel, der Käthchen aus einer brennenden Burg rettet, ein Bürgermädchen, das sich plötzlich als Kaisertochter entpuppt: Heinrich von Kleist ließ in seinem "großen historischen Ritterschauspiel" nichts aus, was den damaligen Publikumsgeschmack erfreuen konnte. Dennoch kam das Stück, das Kleist im Sommer 1808 in Dresden fertig geschrieben hatte, mit Verzögerung auf die Bühne - und in einer zensierten Fassung.

    Als "Das Käthchen von Heilbronn oder Die Feuerprobe" am 17. März 1810 im Theater an der Wien uraufgeführt wurde, war aus dem Kaiser ein Herzog von Schwaben geworden, denn einen obersten Herrscher, der sich plötzlich an einen Fehltritt in Heilbronn zu erinnern geruht, konnte man nicht zeigen - zumal die Uraufführung im Rahmen der Vermählungsfeierlichkeiten des siegreichen Kaisers Napoleon mit Marie Luise von Österreich stattfand.

    Kleist, der schon als 14-Jähriger in der preußischen Armee gegen die Franzosen gekämpft hatte, blieb dem Ereignis fern. Noch drei Jahre zuvor hatte er wegen angeblicher Spionage in französischer Festungshaft gesessen und dort an seiner Tragödie über die Amazonenkönigin Penthesilea gearbeitet.

    Für den Dichter hingen diese beiden Frauengestalten zusammen, wie er seiner Cousine Marie von Kleist schrieb:

    "Jetzt bin ich nur neugierig, was Sie zu dem Käthchen von Heilbronn sagen werden, denn das ist die Kehrseite der Penthesilea, ihr anderer Pol, ein Wesen, das ebenso mächtig ist durch gänzliche Hingebung als jene durch Handeln."

    Im Unterschied zu "Penthesilea" wurde "Das Käthchen von Heilbronn" im 19. Jahrhundert zu einem Bühnenhit, denn das Stück bediente die romantische Mittelaltersehnsucht nach Rittertugenden, wohlmeinenden höheren Mächten - ob Engel oder Kaiser - und hingebungsvollen Frauen.

    1905 inszenierte Max Reinhardt das Stück zur Eröffnung des Deutschen Theaters in Berlin - mit der Bühnenmusik von Hans Pfitzner.

    Nach 1945 blickte man mit Misstrauen auf die mystisch unterfütterte Liebesgeschichte. Auch in der DDR wurde Kleists "Käthchen von Heilbronn" selten gespielt. An die Gründe erinnert sich der Regisseur Thomas Langhoff:

    "Ein Stück eines Junkers, der die Frau eigentlich als Hündin gezeichnet hat, ein Menschenbild, das wir nicht wollen, eine Haltung, die uns fremd war - wenn man es nicht richtig liest."

    In seiner Inszenierung am Deutschen Theater ging Thomas Langhoff 1991 von der inneren Zerrissenheit Kleists, von dessen vergeblicher Identitätssuche aus. Die Lesart des Regisseurs war dabei auch geprägt von der aktuellen Situation, vom Untergang der DDR, wie in seiner Sicht auf den Grafen deutlich wird:

    "Dieser Wetter vom Strahl steht da vor einer neuen Zeit. Seine alten Ritter bedeuten nichts mehr. Nur die Ideale hat er noch, und er merkt, er kommt in dieser Welt nicht mehr damit weiter, muss sich neu orientieren."

    In den letzten Jahren interessierten sich Regisseure wie Hans Neuenfels, Jürgen Gosch oder Andrea Breth für dieses Käthchen, das mit schlafwandlerischer Sicherheit seinem Gefühl vertraut. Der Glaube an den Traum, der sich gegen alle Hindernisse der Wirklichkeit durchsetzen kann, bleibt ein Faszinosum. Heinrich von Kleist sah in seinem Käthchen eine Seelenverwandte. Am 19. November 1811, zwei Tage, bevor er sich das Leben nahm, schrieb er im Abschiedsbrief an Marie von Kleist:

    "Sich aufzuopfern, ganz für das, was man liebt, in Grund und Boden zu gehen: das Seligste, was sich auf Erden erdenken lässt, ja, worin der Himmel bestehen muss, wenn es wahr ist, dass man darin vergnügt und glücklich ist. Adieu!"