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Rivalen liebt man nicht

Heinrich von Kleist war ein unzeitgemäßer Autor und sein Stück "Penthesilea" ein unzeitgemäßer Text: dramatisch-antik, nicht klassisch-human. Schmerz und Glanz der Seele, das umschreibt die extreme Gefühlslage der Amazonen-Königin. Karin Henkel hat das Stück in Stuttgart beinah im Blut ertränkt.

Von Cornelie Ueding | 20.04.2008
    Blut. Überall Blut. Auf den Körpern, in den Gesichtern, die hinter einer Blutmaske verschwinden. Der tote Achill steckt in einer blutüberströmten Jacke mit herausquellenden Organen. Blut fließt an den Wänden runter, tropft von der Decke, wird aufgewischt, von Lappen aufgesogen oder in Schüsselchen aufgefangen, in denen Penthesilea ihre Zigarette ausdrückt. Das meiste Blut aber wird in das bühnenbreite Wasserbecken an der Rampe gespült, Stiefel, Rüstungsteile, Kleidungsstücke, Abfälle, mit Heftigkeit geworfen, fliegen hinterher, dass es hoch aufspitzt.

    Den Zuschauern in der ersten Reihe wurden präventiv Plastikregenschutzhüllen zur Verfügung gestellt. Irgendwie muss man ja von dem emotionalen Ausnahmezustand der Figuren berührt werden. Der Haken nur an der Sache: Dieses von Anfang an präsente Bluttraufenszenario lässt sich nicht mehr steigern. Man stellt sich auf die übliche Blutflut ein und bekommt sie auch. Einmal mehr. Gewöhnt sich in den nächsten anderthalb Stunden an die, wie ich finde, allenfalls unappetitliche, Gewalt-Show. Blutstürze an den Wänden, geschickt kanalisierter Nachschub sozusagen, damit das Wasserbecken rechtzeitig zum Endkampf auch wirklich zum Bluttrog werden kann - das wirkt nur noch komisch. Das Publikum gluckst vernehmlich. Einmal mehr ist damit die Chance vertan, Kleists Penthesilea wirklich zu entdecken.

    Nur in wenigen Augenblicken gelingt es der Regisseurin Karin Henkel, knappe Ausdrucksformen für die extreme Gefühlslage der Figuren zu finden und Kleists Sprache lebendig werden zu lassen.

    Doch meist wird Erregung einfach rausgeknallt, im Wechsel mit Geschnatter und, ach: rein deklamatorischen Sequenzen. Allzu oft begnügt sich die Regie damit, Wahnsinn und Verwirrung in den Köpfen der Protagonisten in wahnsinnige Verwüstungen auf der Bühne umzusetzen. Damit aber zerspielt sie das emotionale und auch das ganz aktuelle politische Potenzial dieses Meisterwerks der Extreme. Es geht hier ja nicht einfach um eine Psychopathin, die sich im Urwald der Triebe verirrt, den geliebten Feind Achill mit Hunden jagt und ihn sich schließlich in bewusstloser, kannibalischer Lust einverleiben möchte. Es geht um die mörderischen Folgen einer systemimmanenten Gehirnwäsche. Kleists Stück ist eine frappierend aktuelle Studie über das Entstehen von Wahnsinn aus dem Geist einer als vernünftig, sinnvoll und notwendig ausgegebenen Erziehung. Denn die Amazonen, deren Verhalten keiner aus dem Griechenlager zu deuten versteht, sind alles andere als wilde Tropentiere. In ihrem Staat ist sogar die Reproduktion nach Quote technokratisch durchrationalisiert. Und Penthesilea ist keine Außenseiterin, sondern Schülerin und Repräsentantin eines durch Priesterinnen und Funktionsträger straff organisierten Systems. Alles so perfekt und perfide, dass kaum mehr einer den Wahnwitz dieses Vernunftterrorismus erkennt, der darin besteht, bewusstlose Klone zu erzeugen. Individuelle Gefühle dagegen werden als Sünde betrachtet, Liebe als ein Kapitalverbrechen. Staatsgefährdend. Und ausgerechnet die Königin "liebt" keine anonyme Nummer x nach dem Zufallsprinzip - sondern sie liebt einen einzigen, einmaligen Mann. Achill. Und nur den. Und hier beginnen jene anrührenden, letztlich ganz all-täglichen und uns allen wohlbekannten Ausweich-, Trotz- und Selbsttäuschungsmanöver, die Penthesilea in den Drehschwindel treiben, der ihr die Orientierung rauben muss und sie zu dem "tragischen Fall" werden lässt, den das Kollektiv dann scheinheilig betrauern kann.

    Für diese vom Text geforderte Genauigkeit der Situationen, für die Zwischentöne, die Denk- und Gefühlsschwankungen und Entwicklungen müsste man sich schon ein wenig Zeit gönnen. Stattdessen Kommandostimmen und Geröhre, Waten und Baden in Blutbrühe und Kampfrausch im roten Einheitsszenarium. Den Text dazu müssen alle Figuren rasant abspulen, wie etwas, das sie in Rekordzeit hinter sich bringen sollen. Und einer schleift die Schwerter, damit man sie markig in den Boden rammen kann.