Robert Schumann - Sinfonien Nr. 1 & 4
Aus der Welt der auf kleinen Silberscheiben festgehaltenen Sinfonik gilt es zu berichten, dass der Dirigent Christian Thielemann bei der Deutschen Grammophon seinen Zyklus der Schumann-Sinfonien abgeschlossen hat. Nach der Zweiten, die schon 1997 erschien, und der Dritten, die 1999 auf den Markt kam und mit einem Echo-Klassik-Preis ausgezeichnet wurde, musste man zwei weitere Jahre auf Schumanns erste und vierte Sinfonie warten. Jetzt im Herbst war es soweit: Die DGG veröffentlicht auf ihrem renommierten Gelb-Label, was das englische Philharmonia Orchestra und der deutsche Dirigent im Februar dieses Jahres in der Londoner All Hallows Kirche produziert haben. * Musikbeispiel: Robert Schumann - Scherzo aus: Sinfonie Nr. 1 (Ausschnitt) Der Dirigent dieser neuen Schumann-Aufnahme ist der heute 42jährige Christian Thielemann. Nach ersten Anstellungen als Korrepetitor in seiner Heimatstadt Berlin, in Gelsenkirchen, Karlsruhe und Hannover wurde er Assistent von Herbert von Karajan in Berlin und bei den Salzburger Festspielen. 1985 erhielt er einen Ruf als erster Kapellmeister an die Deutsche Oper am Rhein in Düsseldorf. Drei Jahre später wechselte er als Generalmusikdirektor an die Nürnberger Oper. Dort bekam er später Schwierigkeiten mit seinem Arbeitgeber, weil die beginnende internationale Karriere ihn nach Meinung der Stadtväter allzu oft von Nürnberg weg führte: viel nach Italien, nach England, später dann auch regelmäßig zu den großen Opernhäusern und Orchestern in die USA. Ab der Spielzeit 1997/98 wirkte Thielemann als Generalmusikdirektor der Deutschen Oper Berlin, verwickelte sich aber dort bald in Kompetenzstreitigkeiten mit Intendant Götz Friedrich und seinem Nachfolger Udo Zimmermann. In einem Interview beantwortete er damals die Frage, ob er sich vorstellen könne, jemals wieder zumindest als Gastdirigent an die Deutsche Oper zurückzukommen, mit den Worten "Da unterschätzen Sie meine Konsequenz. Wenn mich jemand einmal so behandelt hat, ist der Bart ab. Gewisse Leute können auf den Knien 100 Meter vor mir rumrutschen - es ist aus." Ob nun rumgerutscht wurde oder nicht: Im Februar dieses Jahres jedenfalls traten Zimmermann und Thielemann vor die Presse und verkündeten, alle künstlerischen und administrativen Fragen seien zwischen ihnen geklärt und Thielemann habe seinen Vertrag bis 2007 verlängert. Thielemanns Repertoire-Schwerpunkte liegen nach wie vor allem bei Richard Strauss und Richard Wagner. Die Kritik feierte ihn als herausragenden deutschen Dirigenten mit einer außerordentlichen Begabung für das deutsche Opern- und Orchesterrepertoire, kritisierte aber andererseits seine Spielplanpolitik als zu konservativ und nahm ihm seine Leidenschaft für den Komponisten Hans Pfitzner übel. Inzwischen hat Thielemann aber auch beeindruckende Aufführungen großer Werke von Schönberg, Janacek, Beethoven, Mozart und anderen gezeigt; in Zukunft will er sich verstärkt auch mit Bruckner, Haydn, Bartok oder Strawinsky beschäftigen. Dies dürfte ihm gut tun, denn kapellmeisterliche Tugenden, die z.B. gerade bei Haydn unabdingbar sind, scheinen bei der vorliegenden Schumann-Aufnahme bisweilen ein wenig in den Hintergrund getreten zu sein. In der klein besetzten Romanze jedenfalls wissen die beteiligten Musiker des Philharmonia Orchestras offensichtlich nicht immer so ganz genau, wann es weitergehen soll... * Musikbeispiel: Robert Schumann - "Romanze" aus: Sinfonie Nr. 4 (Ausschnitt) Schumanns erste und vierte Sinfonie gemeinsam auf einer CD zu veröffentlichen, macht nicht nur deshalb Sinn, weil beide Sinfonien zusammen die CD-Ideal-Länge von 70 Minuten ergeben. Wichtiger ist, dass beide Kompositionen weitgehend auf das selbe Entstehungsjahr zurückgehen, nämlich 1841. Doch während die erste, die so genannte "Frühlingssinfonie", auf Anhieb gelang, war Schumann mit der anderen Sinfonie nicht so zufrieden und arbeitete sie zehn Jahre später um, so dass sie in neuer Gestalt und in der Zählung dann als 4. Sinfonie erst 1853 uraufgeführt wurde. Mit der Vierten hat es darüber hinaus eine weitere Bewandnis: Schumann unternahm hier das Experiment, die traditionell aus mehreren in sich abgeschlossenen Sätzen bestehende sinfonische Form aufzulösen zu Gunsten eines einzigen durchgehenden Stückes. Dabei lassen sich die klassischen 4 Sinfonie-Teile auch hier durchaus noch verfolgen: rascher Sonatenhauptsatz mit langsamer Einleitung als Beginn und Finale, der zweite Satz insgesamt langsam, hier als Romanze angelegt, an dritter Stelle ein lebhaftes, fünfteiliges Scherzo. Doch die Formerwartungen werden nicht immer erfüllt, oft drängt es einfach weiter, Reprisen fallen weg, Schlusswendungen und Tonartbestätigungen unterbleiben, Wiederholungen werden nur angedeutet oder sind in Wirklichkeit bereits Übergänge zum nächsten Abschnitt. Damit das Werk bei all dieser Offenheit nicht zerfällt, hat Schumann ein ausgeklügeltes Beziehungssystem melodisch-thematischer Art quer durch das ganze Werk gelegt: was auf den ersten Blick vielleicht nur wie romantisches Schwelgen in einer Vielzahl von Einfällen und unterschiedlichen Gedanken erscheinen mag, stellt sich bei genauerem Hinhören und beim Studium der Partitur als ein Netz von Themenverwandtschaften heraus, wo eine ständige Weiterentwicklung stattfindet, wo aus zunächst nur beiläufig Geäußertem nach und nach ein Hauptgedanke wird. * Musikbeispiel: Robert Schumann - 1. Satz aus: Sinfonie Nr. 4 (Ausschnitt) Klanglich wie interpretatorisch bleiben diese Aufnahmen der Schubert-Sinfonien 1 und 4 leider nur im Mittelfeld. Die Balance geht eindeutig zu Gunsten der Streicher aus; selbst wenn sich Wesentliches für den Fortgang der Musik in den Bläsern abspielt, scheinen die wie hinter einem Vorhang versteckt. Doch auch die vordergründig agierenden Streicher klingen seltsam spröde und matt, dabei an vielen Stellen erstaunlicherweise weder im Tempo noch in der Intonation hundertprozentig zusammen. Überhaupt das Tempo: es ist durchweg deutlich langsamer als bei fast allen anderen Dirigenten, oft wird noch zusätzlich gebremst, entstehen eher willkürliche Riterdandi; Tempowechsel bleiben vielfach unklar, manchmal droht die Gefahr des Auseinanderfallens, fehlt der größere Atem für den Zusammenhalt. Anders als der Strauss'schen Alpensinfonie, die Thielemann in diesem Jahr ebenfalls bei der Deutschen Grammophon, allerdings mit den Wiener Philharmonikern herausbrachte, fehlt diesen Schumann-Sinfonien der Glanz. Die dort kraftvoll zupackende Art, mit höchster Emotionalität und doch klugem Augenmaß alle Möglichkeiten des großen Apparates auszuschöpfen, ist hier einer eher blassen, noch etwas vorsichtig tastenden Herangehensweise gewichen, die weder dem überschäumenden romantischen Temperament noch der tragisch-depressiven Seite Schumanns gerecht wird. Hören Sie die gleiche Stelle wie vorhin hier einmal zum Vergleich in einer Aufnahme, die Michael Schönwandt im letzten Jahr mit dem Dänischen Nationalen Radio Sinfonieorchester herausgebracht hat und wo man trotz deutlich größerem Hall-Anteil jede Instrumentengruppe ungleich deutlicher wahrnimmt... * Musikbeispiel: Robert Schumann - 1. Satz aus: Sinfonie Nr. 4 (Ausschnitt) Soweit ein Ausschnitt aus Schumanns vierter Sinfonie, wie sie das Dänische Nationale Radio Sinfonieorchester im letzten Jahr auf den Markt gebracht hat: mit quasi natürlichen Tempoübergängen, überzeugender Klangbalance und großem romantischen Gefühl. Im Vergleich zu dieser und anderen älteren Aufnahmen schneidet die neue CD des Philharmonia Orchestras unter der Leitung von Christian Thielemann nicht allzu gut ab. Wo bleiben hier der große Überblick, die Gestaltung aus einem Guss, die tiefen Gefühle - alles Tugenden, die man dem Dirigenten sonst zu Recht nachsagt? Wo die Klangkultur der englischen Streicher? Wo die hohe aufnahmetechnische Kompetenz, mit der die meisten Aufnahmen der Deutschen Grammophon sich sonst aus dem Alltäglichen hervorheben? * Musikbeispiel: Robert Schumann - 4. Satz aus: Sinfonie Nr. 4 (Ausschnitt) Die Neue Platte - heute mit einer nach Meinung des Rezensenten eher weniger geglückten Einspielung der beiden Schumann-Sinfonien 1 und 4 durch das Philharmonia Orchestra unter der Leitung von Christian Thielemann.