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Robotische Wirbeltiere

Um etwas über die Entstehung der Arten zu erfahren, untersuchen Biologen normalerweise Tiere oder Fossilien. Roboter hingegen gehören eher weniger in ein Bio-Labor. Doch anhand der künstlichen Wesen lässt sich eine ganze Menge über Evolution herausfinden.

Von Thomas Reintjes | 13.11.2012
    Er möge Fisch, sagt John Long. Und zwar als Sushi, aber auch unter Wasser, wo er sie beim Tauchen leidenschaftlich gerne beobachtet. Aber sein Interesse als Biologe, der Frage nachzugehen, wie Wirbeltiere entstanden sind, dabei konnten ihm die Beobachtungen an heute lebenden Tieren oder einzelne Fossilien nicht weiterhelfen. Er brauchte ein agiles Modell und entschied sich für schwimmende Roboter. John Long versuchte, in etwa das erste Wirbeltier der Geschichte nachzubauen:

    "Nüchtern gesagt, sind unsere robotischen Fische schwimmende Tupperdosen. Wir haben hinten einen Motor drangehängt, der den Schwanz dieser Kerle schlagen lässt, als Antrieb. In den Dosen stecken Computer. Diese Fische schwimmen dann an der Oberfläche des Wassers."

    In einem Wasserbecken im Labor am Vassar College, US-Bundesstaat New York, suchen die Roboter dann nach Futter. Um das zu simulieren haben die Forscher sie mit Lichtsensoren ausgestattet – denn wo Licht ist, ist Leben und somit Futter, argumentiert John Long. Die Roboter steuern also auf eine Lichtquelle zu – es sei denn, ein Raub-Roboter kommt ihnen in die Quere:

    "Der Räuber versucht, die Beute-Roboter zu erwischen. Aber die Beute-Roboter können den Räuber wahrnehmen und flüchten. Und das ist dann das, was ich das Spiel des Lebens nenne. Dieses Wechselspiel von Individuen mit konkurrierenden Interessen."

    Das Spiel der Roboter im Wasserbecken wird von oben von einer Videokamera aufgezeichnet. Die Wissenschaftler beobachten das Verhalten der leicht unterschiedlich konstruierten Beute-Bots und vergeben wie eine Jury Punkte. Denn, ganz nach Darwins "survival of the fittest", kommen nur die besten in die nächste Runde. Und die heißt Reproduktion. Dabei spielt auch etwas eine Rolle, das Darwin noch fremd war: Gene.

    "Wir haben also einen Gold-, einen Silber- und einen Bronzemedaillen-Gewinner. Die Gene dieser drei besten Individuen werden dann in einer Computersimulation zum Genom von Nachwuchs-Robotern mutiert und neu kombiniert."

    John Long und sein Team haben die Gene der Roboter im Computer simuliert. Darin sind einige ihrer Eigenschaften codiert. Etwa, wie sensibel sie für Räuber sind. Das entspricht in etwa der Ausbildung des Seitenlinienorgans bei Fischen. Aber auch die Steifigkeit des Körpers – in Analogie zur Zahl der Wirbel – und die Form des Schwanzes als Antrieb sind veränderlich. Die schwimmenden Roboter werden dadurch unterschiedlich schnell und unterschiedlich wendig. Der Gen-Algorithmus im Computer der Forscher wirft dann praktisch die Bauanleitung für die nächste Generation von Robotern aus – etwa mit einem zusätzlichen Wirbel in der Wirbelsäule.

    "Wir haben festgestellt, dass Selektion nach fortgeschrittenem Fress- und Fluchtverhalten die Evolution der Wirbelsäule vorantreiben kann. Das ist also eine mögliche Antwort auf die Frage, worin der evolutionäre Druck bestanden hat, der für die Entwicklung der Wirbeltiere verantwortlich war."

    Doch mit diesem Ergebnis ist die Forschung mit den Evolutions-Robotern nicht abgeschlossen. Im Gegenteil: sie hat gerade erst begonnen. John Long würde beispielsweise gerne Hirnforscher dabei unterstützen, Intelligenz zu erforschen. Unser Körper, sagt er, diktiert wie intelligent wir uns verhalten können. Als die Wissenschaftler die Körper der Roboter weiterentwickelten, wurde ihr Verhalten intelligenter, ohne dass sie an der Software, am Gehirn, etwas geändert hätten.

    "Ist das nicht cool, ist das nicht interessant, dass wir den Körper verändern und das Ergebnis intelligenteres Verhalten ist? Also dass sie besser Räubern entkommen und besser an Futter kommen. Genauso belohnen wir ja Intelligenz bei Menschen: Sie gibt dir einen besseren Job und mehr zu essen. Aber wenn wir von Intelligenz sprechen, konzentrieren wir uns so sehr auf das Gehirn, dass wir vergessen, dass das Gehirn in einem Körper sitzt. Ich möchte gerne weiter die Aspekte des Körpers erforschen, die Intelligenz hervorbringen."