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Rock als Religion

Seit fast 40 Jahren gibt es die kanadische Band Rush. Das Trio gehört zu den erfolgreichsten Liveacts in Nordamerika. Obwohl sie in Deutschland kaum im Radio gespielt werden, feierten die Fans beim Konzert in Köln die komplexe, aber eingängige Musik der drei Männer ausgiebig.

Von Tim Hannes Schauen | 05.06.2013
    "When the fuck did Rush become cool?"

    Gute Frage, Mister Grohl! Warum bloß sind diese drei Endfünfziger, die wie leitende Angestellte aussehen, kürzlich in die Rock and Roll Hall of Fame aufgenommen worden? Vielleicht, weil sie Millionen Alben verkauft haben, obwohl sie jahrelang von Mainstream- und Trendmedien ignoriert wurden. Vielleicht auch wegen eines Merkmals, über das sich die Band Pavement mal folgendermaßen lustig machte:

    "What about the voice of Geddy Lee?
    How did it get so high?
    I wonder if he speaks like an ordinary guy?
    (I know him and he does!)"

    Neben der gewöhnungsbedürftig hohen Stimme von Sänger Geddy Lee setzen Rush von Beginn an auf vertrackte Rhythmen und vor allem komplexe Songs in Überlänge. Schöne Popmusik jedenfalls macht es sich einfacher.

    Richtig, da sind ja auch noch diese seltsamen Songtitel und Texte, die sämtlich von Schlagzeuger Neil Peart stammen.

    "In schwerem Wasser kann man nicht schwimmen, im sauren Regen nicht tanzen – Alarmstufe Rot! Alarmstufe rot."

    Ähhh. Ja. Trotz seiner Texte, die durchsetzt sind von ScienceFiction-Motiven und verkopften Metaphern, genießt Peart in Fach- wie Fankreisen höchste Anerkennung. Das muss irgendwie doch mit seinem Schlagzeug-Schaffen zu tun haben.

    Diesen Fähigkeiten stehen seine beiden Kollegen nicht nach: Während Geddy Lee mit seiner Helium-Stimme singt, spielt er zugleich so arabeske Basslinien, dass man meinen könnte: Der Mann muss zwei Gehirnhälften haben. Und Alex Lifeson ist ein ganzes Gitarrenorchester.

    Für diesen Klang brauchen andere Bands in der Tat gleich zwei Musiker mehr. Was Rush technisch beherrschten, ließen sie immer bald hinter sich. Ihre Musik ist unverkennbar – und doch geprägt von Metamorphosen, Häutungen, steter Veränderung, über 20 Studio- und zehn Live-Alben hinweg. Hardrock, Kunstrock, Synthierock. Oder doch Heavy Pop?

    Vor allem glänzt das Trio bis heute durch die schiere Beharrlichkeit einer unermüdlichen Live-Band. Sie sind Gute-Laune-Live-Dienstleister par excellence und ihre Konzerte sind wie auch das gestern in Köln, opulent zelebrierte Messen: Fast 30 Lieder aus dem Rush-Katalog waren zu hören, jedes in donnernder Lautstärke mit darauf abgestimmten Trickfilmen oder Videos inszeniert. Jedes dankbar entgegengenommen von überwiegend männlichen Fans, die sogar bei Instrumentals mitsingen. Rush ist ihre Religion. Rush-Konzerte sind ihr Gottesdienst. Sie feiern die komplexe, aber doch eingängige Musik dreier Männer, die wohl so sind wie sie selbst: Vorstadtjungs, mit denen früher keiner spielen wollte. Und die sich – das zeigen schon die obskuren Bühnendekos – selbst nicht so ernst nehmen. Und deshalb konstatierte Dave Grohl bei der Aufnahme der Band in die Rock and Roll Halle of Fame :

    "They have always been cool!"