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Rock in Trümmern

Bruce Springsteen sagt, was er denkt. Auch, wenn es wehtut. Bestes Beispiel: Sein 17. Studioalbum "Wrecking Ball", auf dem sich "The Boss" so richtig Luft verschafft, zum musikalischen Rundumschlag ausholt und den Mächtigen aus Politik und Wirtschaft den Kopf wäscht.

Von Marcel Anders | 02.03.2012
    "Rock'n'Roll ist einfach ein gutes Medium, um seiner Wut Luft zu machen. Und ich denke, gerade die erste Hälfte des Albums ist sehr wütend. Es geht um die Finanzkrise, die wir 2008 in den USA hatten und für die sich niemand verantwortlich gefühlt hat. Die Leute haben ihre Häuser verloren - auch Menschen aus meinem Freundeskreis. Doch dafür ist niemand ins Gefängnis gewandert. Und keiner hat sich getraut zu sagen, wie abscheulich ein solcher Diebstahl ist, der die gesamte amerikanische Idee mitten ins Herz getroffen hat. Es war eine komplette Missachtung unserer Geschichte und Gemeinschaft. Es ging nur darum, Gier auszuleben."

    Klare Worte eines Mannes, der mit 120 Millionen verkaufter Alben zu den Topverdienern des Musikgeschäfts zählt, aber nie seine Bodenständigkeit und Nähe zur Arbeiterklasse verloren hat. Und dessen Mission auch 2012 darin besteht, den USA den Spiegel vorzuhalten und Missstände aufzuzeigen.

    "Meine Arbeit bestand immer darin, die Distanz zwischen der amerikanischen Wirklichkeit und dem amerikanischen Traum zu bewerten. Selbst bei meinen frühen Alben aus den 70ern ging es immer darum, wie nah oder wie fern wir ihm sind. Und der Song 'We Take Care Of Our Own' stellt die zentrale Frage, die die Songs zu beantworten versuchen. Nämlich: Kümmern wir uns wirklich genug umeinander? Ich denke, das ist oft nicht der Fall. Wir geben längst nicht allen Bürgern dieselben Chancen."

    "Amerika liegt in Trümmern"
    Springsteens Botschaft ist überdeutlich: Amerika, das "Land der unbegrenzten Möglichkeiten", liegt in Trümmern. Ist abgewirtschaftet von Menschen, die sich auf Kosten der Allgemeinheit bereichert haben, und bedarf eines dringenden Richtungswechsels. Wie der aussehen und wie jeder Einzelne dazu beitragen könnte, skizziert Springsteen in einem Elf-Song-Parcours aus bombastischem Stadionrock und knarzig, kantigen Folksongs. Und weil Protest für ihn zur obersten Bürgerpflicht gehört, sympathisiert der Familienvater aus New Jersey natürlich auch mit der Occupy-Bewegung.

    "Es gibt keinen Zweifel, dass die Occupy-Wall-Street-Bewegung die öffentliche Diskussion verändert hat, die jahrzehntelang primär von rechts bestimmt war. Etwa von der Tea-Party-Bewegung, die eine Zeit lang alles überlagert hat, auch die Präsidentschaft von Obama. Aber in der Minute, da Occupy Wall Street aufgetaucht ist, haben die Leute von sozialer Ungerechtigkeit gesprochen. Was 20 Jahre lang niemanden zu interessieren schien. Doch plötzlich bezeichnet Newt Gingrich Mitt Romney als kapitalistischen Geier. Was unglaublich ist. Ohne Occupy Wall Street wäre das in zehn Millionen Jahren nicht passiert."

    Doch obwohl Springsteen den mentalen Brandbeschleuniger gibt: Er selbst, das betont er, habe keine Ambitionen, in die Politik zu gehen. Dafür sei er nicht kompromissbereit und geduldig genug. Und könne sich musikalisch ohnehin viel besser ausdrücken als verbal. Was "Wrecking Ball", eines der stärksten Alben seiner Karriere, eindrucksvoll unterstreicht. Und schließlich, so der "Boss", sei Obama, den er 2008 im Wahlkampf unterstützt hat, ja gar nicht so schlecht. Auch, wenn er sich bei dessen nächster Kandidatur deutlich zurückhalten will.

    "Er hat General Motors am Leben gehalten, was ungeheuer wichtig für Detroit und Michigan war. Er hat das Gesetz zum Gesundheitswesen durchgebracht. Und Osama bin Laden getötet, was meiner Meinung nach extrem wichtig war. Insofern unterstütze ich den Präsidenten noch immer. Auch, wenn ich mir gewünscht hätte, dass Guantanamo längst geschlossen wäre."