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Rockband Kirchner Hochtief
Indierock mit Businessplan

Erst drei Konzerte gespielt, aber schon groß auftrumpfen? Kirchner Hochtief ist nicht nur eine Rockband, sondern ein selbsterklärter Konzern, ein Global Player mit Mode- und Kosmetik Label, TV-Kanal und eigenem Streamingdienst. Durchaus ernst gemeint, wenn es nach Mastermind David Julian Kirchner geht.

Von Peter Backof | 18.05.2019
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Eine Album-Veröffentlichung als Kunst. Entwarnung für alle, die dabei an eher glatte Musik und Kunst vom Reißbrett gedacht haben. (Deutsche Lichtbild / Gordon Friedrich)
"Wir sind in Mannheim-Jungbusch, mittlerweile das hippste Viertel." On the road mit David Julian Kirchner. Seit zehn Jahren wohnt er im Jungbusch, ein Viertel mit verruchtem Image und eigenen urbanen Mythen, Mafia-Allüren, früher. In den letzten Jahren haben sich digitale Brands und Kreativwirtschaft angesiedelt, zum Beispiel die Popakademie Baden-Württemberg.
Blick auf das Gebäude der Popakademie, aufgenommen am 26.02.2015 in Mannheim (Baden-Württemberg). Foto: Uwe Anspach, dpa
Popakademie Baden-Württemberg, Mannheim (picture alliance / dpa / Uwe Anspach)
David Julian Kirchner: "Ich habe ja da studiert: 'Popmusikdesign', ein spannender Begriff wie ich finde. Kontextwechsel ist ja das, was mich interessiert: zwischen Pop, Kunst und Marktwirtschaft."
Vor zwei Jahren hat es dann Zoom gemacht. Oder Click: "Ich habe eine ganz lange Karriere, habe bestimmt 15 Jahre versucht, dieses Spiel auf eine konventionelle Art zu spielen, in Bands zu spielen, Erfolg zu planen. Und eigentlich mit dem Scheitern meiner letzten Band – man hat es wieder nicht geschafft, man ist wieder der Verlierer - da gab es für mich den Moment: Ich muss mein eigenes Imperium aufbauen und nicht nach den Regeln eines anderen Imperiums spielen."
Kirchner Hochtief ist eine Rockband, konventionell mit fünf Mitgliedern, musikalisch zwischen Indie und Singing-Songwriting aufgestellt. Aber die Band ist nur Aggregatzustand und Teil eines übergeordneten Konzepts, eines globalen Konzerns, wie David Julian Kirchner seine Vision beschreibt: "'Kirchner Hochtief' ist selbst das Frontline-Produkt eines größeren Unternehmens, 'Kirchner Total', mit - unter anderem - einem Modelabel, einer Schuhfirma, einer Duftlinie, einem Nachtclub und so weiter. Also sehr viele - 28 - Brands und Services!"
Bis hin zum Streamingdienst "Hochtiefy". Die "Kirchner Total" bespielt alle Kanäle und Medien. Zu sehen als Ausstellung in der Galerie "Port 25". Alle Produkte, vom T-Shirt bis zum Parfumflakon, gibt es wirklich und zum Anfassen, zumindest als Einzelanfertigung.
Portfolio von Größenwahn?
Zwei Jahre war David Julian Kirchner zusammen mit befreundeten Designern und Handwerkern zu Gange, um das Sortiment zu produzieren. Und Dutzende Male begegnet er einem in der Ausstellung auf Fotos in Riesenformaten, inszeniert als Model, City Boy, Erfolgsmensch. Ein Tempel fürs Ich, ein Portfolio des Größenwahns?
"Wenn ich mich da so angucke, kriege ich auch selbst fast schon Angst. Das ist für mich auch ein Experiment: Ist es Kunst, wird es als Kunst akzeptiert? Grundsätzlich ist die Idee ein begehbares Album, also eine Album-Veröffentlichung als Ausstellung. Pop als ein Konglomerat aus verschiedenen Disziplinen, naturgemäß aus Covers, Fotografien, aus Videos, aus Emotionen, Frisuren, Skandalen et cetera."
Entwarnung für alle, die dabei an eher glatte Musik und Kunst vom Reißbrett gedacht haben. Die Songs des Albums "Evakuiert das Ich-Gebäude" nimmt man auf dem Kopfhörer mit durch die Ausstellung. Und die ist durchzogen von punkiger Fotokopierer-Ästhetik, rau, wild und wie im Song "Frau Trümmer" verliebt ins Kaputte.
Die Parfümlinie von "Kirchner Total" heißt entsprechend "D-Generation". Über eine Halde ausgedienter Röhrenfernseher flimmert eine analoge Demontage von Selfies. Andere Songs des Konzeptalbums sind kleine Universen, episch wie Beatles-Songs.
Und originell ins Visuelle übersetzt, in Form von "Cinematogrammen", teilweise animierte Fotos. Eine Szene in einer Designerküche: Von der Wand tropfen noch Spuren des Ausrasters, der dort ganz offenbar stattgefunden hat. Der "Extremismus der Mitte", ein Slogan, den David Julian Kirchner geprägt hat.
Ein Akt der Rebellion gegen das gestreamte Einerlei
Am Ende ist das alles, musikalisch wie künstlerisch, ein Akt der Rebellion. Gegen Komfortzonen und das gestreamte Einerlei. So erklärt sich am Ende auch dieser aberwitzige Businessplan "Kirchner Total AG". Und der geht auch auf. Plastisch, tief und widerborstig, diese Kirchner-Aktie.
"Die steht gefühlt gut, emotional ist es eine hochwertige Aktie. Nein, es ist natürlich auch so, dass ich ganz klar sage: Jedes große Unternehmen funktioniert so wie ich. Letzten Endes würde ich zusammenfassend sagen: Selbstentfremdung, so eine Distanz zu dieser Selbstdarstellung, der wir ständig ausgesetzt sind, uns selber aussetzen. Dass man da eben durchaus sagen kann: Raus da, ja?!"