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Rocker unter Minnesängern

Vor 400 Jahren wurde der französische Dramatiker Pierre Corneille geboren. Sein Durchbruch gelang ihm 1632 mit der Tragödie "Der Cid". Der zeitlose Stoff brachte es im 20. Jahrhundert gar bis nach Hollywood, die Verfilmug mit Charlton Heston und Sophia Loren wurde ein Welterfolg.

Von Joachim Johannsen | 06.06.2006
    Im Jahre 1637 tobt in Paris eine heftige literarische Fehde um ein Theaterstück namens "Le Cid". Der Autor hat einen neuen Ton. Er wirkt am Theater wie ein Rocker unter Minnesängern. Ein Kritiker droht ihm mit Stockschlägen. Aber die begeisterten Anhänger sind in der Mehrheit. Pierre Corneille heißt ihr Idol. Größe, Ruhm und Heldentum sind seine Zauberwörter. Und die Liebe, vor allem die unmögliche, heftig skandierte, ist der Zaubertrank, der alle Schlachten ins Rollen bringt.

    Pierre Corneille führte kein spektakuläres Leben. Geboren am 6. Juni 1606 in Rouen, wurde er königlicher Advokat in der Provinz und nach Vorlage einiger Komödien von Kardinal Richelieu als Dramatiker finanziell gefördert. Sein Durchbruch in Paris gelang mit der Tragödie "Der Cid" 1632. Es folgten
    20 Jahre erfolgreiche Theaterarbeit, die Aufnahme in die Académie Française, die seine antikisierenden Stücke "Cinna" oder "Der Tod des Pompejus" zu Beginn noch wegen "Unwahrscheinlichkeit und fehlender Moral" kritisiert hatte. Über Corneilles Privatleben ist nichts überliefert. Belegt ist nur seine bis ins Alter andauernde heftige Vorliebe für Geld und junge Schauspielerinnen.
    Corneilles Meisterstück "Le Cid" behandelt - nach einer spanischen Vorlage - die Romeo-und-Julia-Problematik im 11. Jahrhundert. Die beiden jungen Liebenden geraten in den Strudel von Ehre, Rache und Liebe, deren eherne Gesetze einander ausschließen. Innerhalb eines Tages muss Rodrigue den Vater der Geliebten umbringen, den Krieg gegen die Mauren gewinnen; die Braut Chimène ist gehalten, ihren Liebhaber umzubringen, aber da greift die weise Staatsmacht ein in Gestalt des Königs, der ein salomonisches Urteil fällt: Rodrigue muss noch ein Jahr im Staatsauftrag brandschatzen und morden, um seine Ehrenschuld abzutragen, und darf danach seine Chimène heiraten, die dann aller Voraussicht nach auch besänftigt sein wird.

    Das 17. Jahrhundert stand unter dem Stern der Vernunft. Eingeführt vom Philosophen René Descartes, eroberte dieses Prinzip alle Lebensbereiche. Am Hofe schlug die Raison sich nieder in einer strengen Etikette, in geometrischen Gartenkonstruktionen. In dieser offenen Landschaft musste man sich zu benehmen wissen. In Richtung Zivilisation ging das Lebensschiff, der denkende Mensch erfand die Gabel. Das Theater wurde mit schriftlichen Kritiken bedacht, im Parkett bewarfen die Zuschauer der niederen Stände die Künstler nicht mehr mit Obst, sondern begannen zu pfeifen.

    Corneille orientierte sich an den Regeln der griechischen Antike, die Furcht und Mitleid erregen wollte. Das hinderte ihn aber nicht, den Forderungen des Hofes nachzukommen, der vor allem unterhalten sein wollte. Die Sprache war das Talent Corneilles. Er musste laut sein, denn die historische Realität hallte wider von Säbelrasseln und Pferdewiehern.

    Die Feindschaft gab den Rhythmus der Verse vor, und gereimt mussten sie sein. Sie beeinflussten sogar die Umgangssprache. "Schön wie der Cid" wurde ein geflügeltes Wort. Der "Cornélien" ist ein Fan des Autors, aber auch ein Mensch, der die Pflicht über alle Gefühle stellt. Auch heute noch steht "Le Cid" auf dem Programm der Comédie-Française. 2004 kam ein spanischer Trickfilm über den legendären Helden heraus.

    Die Aufführungspraxis ließ und lässt im deutschen Sprachraum durchaus zu wünschen übrig. Das liegt an den unübertragbaren Tiraden. Deutsche Bühnen heute werden eher die "Elementarteilchen" von Houellebecq aufführen als den "Cid". Der schaffte es leichter nach Hollywood als nach Berlin: Der Film "El Cid" mit Charlton Heston und Sophia Loren war 1964 ein Welterfolg.

    Pierre Corneille unterlag in der Publikumsgunst sehr bald dem Charme seines jüngeren Konkurrenten Jean Racine, bei dem es um die raffinierteren, dunkleren Verirrungen der Gefühle ging. Unbeachtet von der Welt, schrieb Corneille noch zehn Stücke und starb vergessen und verarmt 1684 in Paris.