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Rockwärts: Ein großer Kauz der Rockmusik

Mit seiner vom Blues inspirierten Musik hat Kevin Coyne an die 50 Alben gefüllt und ist in Deutschland vor allem durch einen Auftritt beim Rockpalast bekannt geworden. Ein umgänglicher Zeitgenosse war der 2004 verstorbene Musiker nicht.

Von Ralph bei der Kellen |
    "Oh, that’s so boring – don’t you know anything about me? Have you never read anything about me?"

    "Er war sehr ungeduldig, weil einfach soviel in ihm brodelte."

    "What a boring question."


    "Hinterher gingen die Gespräche immer wunderbar, aber die Leute, die das nicht wussten, die waren natürlich am Anfang schockiert, wenn da jemand kommt und sie, ja, so ... beleidigt und "stupid" Kommentare abgibt ... aber das war Kevin."

    27. März 1999. Erst seit kurzem weiß ich, dass der Musikjournalismus meine Berufung ist. Also fahre ich durch den Norden der Republik und beglücke Musiker mit meinen Fragen. An diesem Tag im März spielt einer meiner Helden in einem kleinen Club in der Nähe von Hannover: Kevin Coyne. Dort hatte ich angerufen und ein Interview vereinbart. Was dann passierte, traf mich völlig unvorbereitet:

    "Die meisten Leute, die mich interviewen, kennen mich gut genug, um solche Fragen zu vermeiden. Aber zu denen gehörst DU wohl nicht ... "

    Im Frühstücksraum einer kleinen, schäbigen Pension sitzt ein äußerst schlechtgelaunter kleiner, dicker, weißhaariger Mann, der meine Fragen dumm findet und mich 15 Minuten lang hemmungslos beschimpft. 29 Alben hat Kevin Coyne zu diesem Zeitpunkt veröffentlicht, von denen ich immerhin 16 besitze. Dummerweise kommt Coyne aber immer auf die Alben zu sprechen, die ich nicht kenne ...

    "Mir ist es ziemlich ernst damit, meine Zeit ist kostbar! An Halbwahrheiten bin ich nicht interessiert ... "

    Kevin Coyne ist ein Unikum der britischen Popmusik. 1944 in Derby geboren werden Bill Haley und Elvis zu seinen Idolen. Von 1961 bis 1965 studiert er an einer Kunstschule. Danach arbeitet er drei Jahre lang als Kunsttherapeut in einer psychiatrischen Anstalt.

    "
    "Natürlich hatten diese extremen Situationen, die ich dort erlebt habe, einen großen Einfluss auf mich. Dort begegnete ich der dunkleren Seite des Menschseins – und darüber versuchte ich zu schreiben."

    "Und er, glaube ich, hat immer gesehen, dass der normale, der gesunde Mensch nicht weit weg ist von dem, was er da in diesem Whittingham Hospital erlebt hat."

    Erinnert sich seine Witwe Helmi. Coyne gründet die Band Siren, veröffentlicht mit ihr drei Alben auf John Peels Underground-Label Dandelion. Nach dem Tod von Jim Morrison fragt ihn der Labelchef der Doors, ob er nicht der neue Sänger werden will. Aber Coyne ist nicht interessiert. Auch das neu gegründete Label Virgin wird auf ihn aufmerksam; 1973 veröffentlicht er dort sein Album "Majory Razorblade", das ihn in kürzester Zeit zum Kultkünstler erhebt.

    Und nicht nur sein Gesang ist seltsam, auch sein Gitarrenspiel:

    "Ich hatte einfach viel zu kleine Hände, um Gitarre zu spielen. Also suchte ich nach einem anderen Weg. Erst benutzte ich einen Metallstab, und dann meinen Daumen. Und so konnte ich ganz einfach ein Lied machen"

    1980 nimmt er ein Album mit dem Titel "Sanity Stomp" auf. Der Titel ist bittere Selbstironie. Coyne hatte kurz zuvor einen Nervenzusammenbruch.
    Um seiner kaputten Ehe zu entfliehen, reist er zu einem Freund nach München.

    "Er ist ja hier nur mit zwei T-Shirts angekommen und ist nie mehr zurückgekehrt."

    "Ja, in diesem Zustand bin ich ihm begegnet und konnte es kaum fassen. Er war wie ein verlorener Vogel, der ... am Ende war."

    Coyne hat Glück: In einer WG in Nürnberg trifft er auf die Schwester eines Mitbewohners, die sich um ihn kümmert. Im Lauf der Zeit entspinnt sich eine Romanze. Helmi wird seine neue Frau. Er kommt vom Alkohol los, er gibt das Rauchen auf. Und er macht jedes Jahr ein neues Album mit Musik, die noch immer sehr rau klingt:

    "Ich arbeite am liebsten sehr schnell und improvisiere gerne ... ich verlasse mich auf den Moment. Und wenn’s nicht klappt, dann eben nicht – so ist das Leben. Ausgefeilte oder "anspruchsvolle" Arrangements interessieren mich nicht."

    2004 stirbt Kevin Coyne an einer Lungenfibrose.

    ""Mit niemandem zu sprechen ist seltsam ... mit jemandem zu sprechen ist seltsamer ... "

    "Diese Liedzeile kennzeichnet aber auch wirklich sein Denken und sein Fühlen. Er war zur einen Seite ein ganz geselliger Mensch – wenn er mal den Punkt erreicht hatte, gesellig zu sein, aber tief im Herzen war er der absolute Robinson Crusoe, und er war am glücklichsten mit sich selbst ... und er hat eigentlich keinen Menschen gebraucht ... ""

    Und den Interviewpartner vom März 1999 brauchte er erst recht nicht. Dennoch: Nach einer Viertelstunde harter Arbeit kommt doch so etwas wie Gespräch zustande.

    "Es tut mir echt leid, dass ich vorhin ein bisschen ... naja, dass ich Dich so grob angefahren habe. Normalerweise bin ich nicht so besorgt darüber, was Leute in Interviews sagen. Aber in letzter Zeit sind mir einige einfach auf die Nerven gegangen. Aber Deine Fragen sind schon ok, viel besser als ... egal, mach einfach weiter."

    Nach dem Interview erklärt Sohn Robert hinter vorgehaltener Hand: Sorry, aber wenn sein Fußballclub gerade ein Spiel verloren habe, könne man seinen Vater einfach nicht interviewen. Das Konzert sehe ich mir nicht mehr an, da meine ganze Kraft in das Gespräch gegangen ist. Und so kam es, dass ich Kevin Coyne nie live erlebt habe.

    "Entschuldigung."

    Aber immerhin hat das Interview – das damals nicht veröffentlicht wurde – dazu geführt, dass 13 Jahre später dieser Beitrag entstanden ist.

    "Und das finde ich sehr schön von Ihnen und das würde ihn in seinem ‘Himmelsbungalow’, wie er’s mal beschrieben hat, sicherlich sehr freuen."

    " Haha!"