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Rodeo auf dem Pazifik

Ozeanologie. - Der Schlüssel zu Tsunamis liegt in seismischen Aktivitäten tief unter dem Meer. Um kommende Flutwellen besser vorherzusagen, sind Geologen und Ozeanologen vor allem auf exakte Daten zum Meeresgrund angewiesen. Das deutsche Forschungsschiff "Meteor" ging dazu auf Erkundungstour vor Südamerika.

Von Jens Wellhöner |
    An Bord der Meteor im Ost-Pazifik, vor der Küste von Nicaragua: Forscher vom Kieler Leibniz-Institut für Meereswissenschaften packen ihre Container aus. Erdbebenmessgeräte kommen zum Vorschein, so genannte Seismometer. Sie sollen Daten sammeln auf dem Meeresgrund, in der Tiefsee des Ost-Pazifik. Die Ozean-Boden-Seismometer, abgekürzt OBS, stecken in druckdichten Zylindern aus Titan. Einen Meter sind sie lang und bleiben stabil bis in eine Tiefe von 6.000 Metern. Damit die Geräte vom Meeresboden wieder aufsteigen können, sind sie an Auftriebskörpern befestigt, die so aussehen wie Bojen. Geophysiker Martin Thorwart:

    "Man nimmt diesen Auftriebskörper und befestigt daran einen schweren Anker - das sind Eisenbahnschienen. Das Gerät ist dann so schwer, dass es auf den Meeresboden sinkt und sich dort absetzt. Und nachher kann man ihnen ein akustisches Signal geben. Der Auftriebskörper löst sich dann vom Anker, der Anker bleibt auf dem Meeresboden und man kriegt dann das Gerät wieder..."

    ....und damit auch die Messdaten. Die OBS zeichnen kleine Erdbeben auf. Sie entstehen im Tiefseegraben vor Nicaragua. Denn hier taucht die pazifische Erdplatte unter die Kontinentalplatte Mittelamerikas. Und dabei kommt es immer wieder zu Erdbeben am Seeboden. Schon im vergangenen Sommer hat eine andere Expedition im Tiefseegraben Seismometer ausgesetzt. Die wollen die Geophysiker jetzt bergen. Dafür wird ein Hydrophon ins Wasser getaucht. Ein durchdringendes Geräusch, das noch in 5.000 Metern Tiefe von den OBS empfangen wird. Daraufhin löst das Seismometer die Verbindung zu seinem Ankergewicht. Und steigt auf. Zumindest in der Theorie. Martin Thorwart:

    "Manchmal ist man nicht zu dem Zeitpunkt, wo die hochkommen, vor Ort und dann schwimmen die halt durchs Meer. Und man hofft, dass dann irgendwelche Fischer die einsammeln. Und sehen dann hier: "500 US-Dollar Belohnung!" – Und dann denken die, die holen wir uns. Und das ist dann die Hoffnung, dass man dann die Geräte wieder bekommt."

    Der Finderlohn steht in großen Lettern auf den OBS geschrieben. Es ist mittlerweile Nacht geworden. Angestrengt blicken Forscher und Schiffsmannschaft in die Dunkelheit über dem Pazifik. Auf einem OBS ist ein Blinklicht montiert. Nach diesem weißen Aufblitzen halten alle Ausschau. Endlich erscheint es am Horizont.
    Unten an Deck nehmen ein Matrose und ein Forscher jeweils ein Lasso zu Hand. Das Einfangen beginnt. Und Schiffsneuling Yvonne Dzierma staunt:

    "Ja, das war mir vorher nicht klar. Dass Geophysiker auch Lasso werfen können müssen. Aber um die OBS reinzuholen, sehe ich immer, dass das gemacht werden muss."

    Der Matrose macht den ersten Versuch: Er lässt das Seilende mit einem Haken durch die Luft fliegen. Treffer. Das High-Tech-Gerät ist eingefangen, ganz nach Cowboyart. Ein Kran hievt es schließlich an Bord. Gleich danach öffnen die Forscher das Gerät und beginnen, die Messdaten am Computer auszuwerten. Danach verschließen sie die Seismometer wieder und setzen sie wieder aus. Dutzende von Geräten bilden so ein regelrechtes Netzwerk vor der Küste Mittelamerikas. Geophysiker Ingo Grevemeyer:

    "Zum Beispiel ist Nicaragua bekannt, dass es 1992 ein großes Tsunami-auslösendes Erdbeben hatte, was nicht so groß war wie in Indonesien, aber immerhin so groß war, dass es zwei bis drei Meter große Wellen und große Schäden verursacht hat. Und diese Prozesse sollen jetzt durch dieses Netzwerk besser verstanden werden und die Größe dieser Störungszone besser charakterisiert werden. "

    Die Seismometer haben eine Fülle von Mini-Erdbeben registriert, im und rund um den Tiefseegraben, auf einer Strecke von über 200 Kilometern. Am Computer zählen die Forscher die vielen kleinen Erdbeben zusammen und schauen, wo sie stattfanden. So können sie Erdbebenherde entdecken - Stellen, an denen sich der Meeresgrund immer wieder bewegt. Aber diese Computerarbeit dauert Monate und wird die Geophysiker noch lange beschäftigen - bis weit nach ihrer Rückkehr aus Mittelamerika.