Also wir haben in unserer Klinik doch sehr viele Fälle, wo wir langstreckige Nervendefekte überwinden müssen. Erst in der vergangenen Woche hatten wir einen Fall, wo wir einen acht Zentimeter Defekt....transplantieren mussten. Es gibt aber auch Eingriffe, die an großen Nervengeflechten, die aus dem Halsmark herauskommen, wo wir in der Summe deutlich längere Defektstrecken überwinden müssen. Das heißt, wo sie mehrere Wurzeln haben, wo sie zum Beispiel dreimal acht Zentimeter überwinden müssen. Und dabei ist dann auch die limitierende Größe der Spendernerven, die wir haben,...es gibt zum Beispiel nur zwei Unterschenkel, wo wir uns bedienen können als Chirurgen.
Nach schweren Verkehrsunfällen sind bei manchen Patienten so lange Strecken von Nervenbahnen in Arm und Schulter zerstört, dass die Spendernerven aus den Unterschenkeln nicht ausreichen, um den Schaden zu beheben. Nectarios Sinis hat bei Ratten eine Alternative erprobt. Eine Art Tunnel, durch den neue Nervenfasern, so genannte Axone, nachwachsen sollen.
Das ist ein Copolymer, eine Röhre die einen Durchmesser von einem Millimeter hat und aus einem Material besteht, das hydrolytisch aufgelöst wird. Das heißt unter Wasserbildung verfällt, das hat den Vorteil, dass wir keine giftigen Reaktionen im Gewebe auslösen. Und diese Röhre dient als Nervenleitschiene, also damit die regenerierenden Axone, erst mal wissen in welche Richtung sie wachsen müssen.
Die Röhre soll die Verletzungsstelle in den Nervenbahnen überbrücken. Aber von ganz alleine wachsen, die neuen Fasern nicht durch sie hindurch. Es kommt auf die Füllung der Röhre an. Darin befinden sich ganz besondere Zellen:
Wir wissen ja mittlerweile darüber hinaus, dass die Schwannschen Zellen wichtig sind für die Regeneration, für die Versorgung des Nervens mit Nährstoffen auch. Außerdem fördern die Schwannschen Zellen die Regeneration in der Weise, dass sie Wachstumsfaktoren freisetzten. Und diese Zellen befinden sich in diesem Röhrchen und wirken eben mit diesen Wachstumsfaktoren ein wenig wie mit Bonbons und ziehen quasi diesen regenerierenden Nerven an sich.
Angelockt von den Schwannschen Zellen wachsen die neu gebildeten Nervenfasern in die Röhre hinein. Und die Röhre gibt dann die Richtung vor. Schwannsche Zellen lassen sich theoretisch, bei jedem Patienten entnehmen und im Labor vermehren. Das verfahren ist allerdings noch ziemlich teuer. Bislang hat Nectarios Sinis das System nur bei Ratten erprobt. Bei den Versuchstieren waren die Nervenbahnen in einem Bein auf einer Strecke von zwei Zentimetern verletzt. Das entspricht beim Menschen einer Verletzungsstelle, die von der Achselhöhle bis zur Handwurzel reicht. Das Ergebnis der Versuche am Tiermodell hat den Wissenschaftler überzeugt.
Die Tiere wiederum, die mit einer Prothese operiert worden sind, die Schwannsche Zellen beinhaltet, haben eine volle Regeneration, das heißt eine hundertprozentige Greifkraft im Verlauf von neun Monaten entwickeln können und zwar sämtliche Tiere, die wir mit dieser Prothese operiert haben.
Neun Monate dauerte es, bis die Nervenfasern vollständig nachgewachsen waren. Danach waren die operierten Tiere nicht von völlig gesunden Tieren zu unterscheiden. Bevor jedoch Menschen von der Nervenprothese profitieren können, will Nectarios Sinis noch weitere Experimente mit größeren Tieren durchführen.