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Römische Reportagen

1953 erhebt eine bis dato unbekannte Autorin ihre leise Stimme im Kreis der Gruppe 47. Mit den damals vorgetragenen Gedichten aus "Die gestundete Zeit" wird die junge Autorin Ingeborg Bachmann nicht nur auf einen Schlag berühmt; vielmehr nimmt das seinen Lauf, was noch heute unter der Legende Bachmann firmiert. Zum letzten Mal wohl vollzog sich in ihrer Person die Figur des Dichters als auratisches Gesamtkunstwerk.

Claudia Kramatschek |
    Im gleichen Jahr 1953 aber wendet die Autorin dem Sprachraum, der ihr Ruhm verschaffte, den Rücken zu und übersiedelt nach Italien. Eine Einladung Hans-Werner Henzes nach Ischia lockt sie, ihre damalige Stellung beim Wiener Rundfunksender Rot-Weiß-Rot zu kündigen. Abwechselnd lebt Ingeborg Bachmann bis 1957 zuerst auf Ischia, dann in Neapel und schließlich in Rom, wo sie ab 1966 endgültig leben wird. Rom - das wurde nicht nur ihre zweite, nein, das wurde ihr zur ersten Heimat. Rom - das liebte sie, aber nicht als verspätetes Arkadien, sondern weil es laut, chaotisch, vital pulsierte. Rom, bekennt sie in ihrem Essay "Was ich in Rom sah und hörte", Rom lehrte sie die Sinne zu gebrauchen, die Augen zu öffnen, sehen zu lernen. Wie sehr sie offenen Auges, wachen Blickes in Italien lebte, dokumentieren in aufschlußreicher Weise die erstmals wiedergefundenen Rundfunktexte, die Bachmann als römische Korrespondentin ab Sommer 1954 für den Bremer Rundfunk verfaßte.

    Wer literarisch lesenswerte Texte erwartet, sei sofort vorgewarnt. In der Mehrzahl der Berichte spielt die trockenene Materie der italienischen Innen- und Außenpolitik die Hauptrolle; für den schwebend-elegischen Tonfall der Lyrikerin Bachmann verblieb da kein Platz. Statt dessen berichtet die Bachmann ohne Schnörkel, im Tonfall spröder Frontberichterstattung über jene politischen Planspiele und Machtintrigen, die das Nachkriegsitalien umtrieben: die Frage um den Status der Stadt Triest, die Pariser Verträge zur Frage des Anschlusses Italiens an den Brüsseler Pakt, die zögernd in Gang kommenden Ost-West-Verhandlungen der Enstpannungspolitik, die Wahl des neuen bürgerlichen Präsidenten - und immer wieder die Grabenkämpfe zwischen der damals regierenden Viererkoalition und den Kommunisten. Was dieses Parteikolorit anbelangt, läßt die Korrespondentin überraschenderweise jegliche Neutralität vermissen. Unverhohlen und wiederkehrend scheint ihre Antipathie durch gegen die Ausführungen beispielsweise zur Umweltkatastrophe von Salerno, die durch Überschwemmungen unzählige Tote und Obdachlose fordert. Ihre Berichte geraten ihr zur Warnung vor einer kommunistischen Unterhöhlung der italienischen Demokratie.

    All diese Berichte erstaunen und befremden zugleich durch die Mischung aus der faktenreichen und nüchternen Diktion des Insiders und der fast unbefangen neugierigen Nahsicht der Fremden; kein Hauch überschattet sie zudem mit jener Verzweiflung über die "fremde Übermacht der Dinge", die die Bachmann in den Frankfurter Poetikvorlesungen zur Sprache bringen wird. Ohne Berührungsscheu widmet sie sich ebenso minutiös z.B. jenen technischen Errungenschaften, die das Herz der Italiener höher schlagen ließen: am 10 Februar 1955 wird die Untergrundbahn in Rom eröffnet - allerdings nur mit zwei Stationen; im März gleichen Jahres besticht der neue Fiat 600 durch seine Höchstgeschwindigkeit von 100km/h.

    Doch bei allem Erstaunen des ersten Leseeindrucks: Offenbart sich da wirklich ein neuer Tonfall, erweitert sich, wie Herausgeber und Verlag es dem Buch mit auf den Weg geben, das Bachmannsche Werk tatsächlich um einige Facetten? Denn der wache Blick sowohl für die die Menschen umgebende Dingwelt als auch für die gesellschaftlichen, ja politischen Verhältnisse prägt bereits ihre frühen Gedichte, ihre spätere Prosa allemal. Gerade der Einmarsch der Hitlertruppen in ihr Kindheits-Klagenfurt sensibilisierte sie in jungen Jahren schon unauslöschlich für die fast lächerliche, aber um so gefährlichere Kulissenhaftigkeit gerade der politischen Machtspiele.

    So erstaunt auch nicht der leise, aber merkliche Tonfall spöttischer Ironie, den die Bachmann auch in ihrer Prosa einsetzen wird, um die Macht ihrer Lächerlichkeit zu überführen: die Protagonisten beispielsweise eines Mordfalles an einer jungen Frau, der die Italiener monatelang in Atem hält, da ranghöchste Politiker und Adelspersonen verwickelt waren, entlarvt sie als scheiternde Möchtegern-Bohèmiens kleinbürgerlichen Gemüts. Überhaupt jongliert sie bei den wenigen eher populär-feuilletonistischen Texten gekonnt mit Faktenmaterial, spielerischen Elementen wie einem atmosphärisch dichtem Szenekolorit und analytischen Ansätzen, in denen sie den italienischen Alltag zum Symptom einer Mentalität überhöht.

    Alles in allem jedoch verbleibt die Frage nach dem Wirkkreis dieser Berichte - heute und auch zur Zeit ihrer Entstehung. Natürlich greift sie zum Mittel der Identifikation, führt immer wieder die existentiellen Sorgen des von Arbeitslosigkeit und Armut ebenso geplagten italienischen Volkes zu Felde gegen die abgehobenen Machtspiele der höheren Sphären. Doch gerade die kleinteilige Kenntnis erstickt dies Bemühen und läßt das deutsche Publikum außen vor. Dem heutigen Leser helfen da wenigstens ein Personen- und Sachwortregister auf die Sprünge; die als Anhang beigefügten römischen Beiträge, die die Bachmann zur gleichen Zeit für die "Westdeutsche Allgemeine Zeitung" lieferte, umkreisen dagegen, an manchen Stellen bis in den Wortlaut hinein, das Gehabte.

    So erstaunt weniger der literaturhistorisch bedeutsame Fund dieser Texte denn die Tatsache, daß daraus eine literarische Sensation gestrickt werden soll, so als ob die Bachmann noch posthum eines Gütesiegels bedürfte.