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Röntgenpionier und Philosoph

Er ist ein Beispiel dafür, wie viel ein Mensch in 82 Lebensjahren erreichen kann. Der Physiker Friedrich Dessauer setzte Röntgenstrahlen nicht nur zur Diagnose ein, sondern entwickelte ein Verfahren, um tief liegende Tumore von Krebskranken zu behandeln. Auch als Unternehmer, Philosoph und Politiker beeinflusste er seine Zeit.

Von Anne Preger | 19.07.2006
    Physiker, Unternehmer, Politiker, Publizist und Philosoph - all das war Friedrich Dessauer. Geboren wurde er am 19. Juli 1881 als zehntes Kind einer Aschaffenburger Industriellenfamilie. Als der technikbegeisterte Junge 14 Jahre alt war, entdeckte Wilhelm Röntgen die später nach ihm benannten Strahlen - ein Schlüsselereignis für Dessauers Leben.

    "Einige Tage später kamen die ersten Nachrichten in die Zeitungen. Und so erfuhren wir im elterlichen Haus davon. Und alsbald baute ich mir meinen eigenen Röntgenapparat. Ich war noch Gymnasiast. Und dann bald einen besseren, dann noch einen nach eigenen Ideen und arbeitete damit."

    Um die Jahrhundertwende begann Dessauer ein Physikstudium, das er aber erst während des Ersten Weltkriegs beendete. In der Zwischenzeit leistete er physikalische Pionierarbeit.

    "Um zu experimentieren und zu forschen und um dafür die Mittel zu bekommen, gründete ich ein Laboratorium, eine kleine Fabrik, baute Röntgenapparate und elektromedizinische Apparate aller Art und blieb dabei 20 Jahre. Dabei wurde das Werk aus kleinen Anfängen zu einem stattlichen Betrieb, mit schließlich etwa 500 Angestellten. Aber das Geschäftliche interessierte mich weniger, als das Technische und Wissenschaftliche."

    Dessauer setzte die Röntgenstrahlen nicht nur zur Diagnose ein, sondern entwickelte ein Verfahren, um tief liegende Tumore von Krebskranken zu behandeln. 1921 wurde er Leiter des neuen "Instituts für physikalische Grundlagen der Medizin" in Frankfurt.

    Wissenschaft und Technik beschäftigten ihn auch philosophisch. Er versuchte, seine naturwissenschaftliche Weltanschauung mit der Religion in Einklang zu bringen. In den 20er Jahren erschienen seine Werke "Leben, Natur und Religion" und "Philosophie der Technik".

    Der Wissenschaftler und Philosoph Dessauer war schon nach dem Ersten Weltkrieg in die Politik gegangen: Für die Zentrumspartei zog der gläubige Katholik in die Frankfurter Stadtverordnetenversammlung ein, und 1924 in den Berliner Reichstag. Dort engagierte sich Dessauer insbesondere in der Wirtschafts- und Sozialpolitik.

    "Als Hitler zur Macht kam, war ich Professor hier in Frankfurt. Aber ich war zugleich Reichstagsabgeordneter. Und als solcher - als Politiker - hatte ich die Gefahr der herankommenden Hitlermacht früh erkannt und früh davon gewarnt, in buchstäblich hunderten von Vorträgen und Aufsätzen."

    In den 20er Jahren war Dessauer Herausgeber der "Rhein-Mainischen Volkszeitung" geworden, die die nationalsozialistische Bewegung bekämpfte. In einer Hetzkampagne warfen die Nationalsozialisten Dessauer nun vor, die Zeitung mit unlauteren Mitteln in seinen Besitz gebracht zu haben.

    Ein Prozess deswegen endete zwar mit Freispruch, doch Dessauer wurde weiter verfolgt und immer wieder festgenommen - seines politisches Engagements und seiner jüdische Abstammung wegen. Als er 1934 einen Ruf an die Universität von Istanbul erhielt, wanderte er aus. In Istanbul baute er ein radiologisches Institut auf und versorgte bald Krebskranke aus der gesamten Türkei - doch nicht sehr lange.

    "Ich war nur drei Jahre in Istanbul. Dann erreichte mich ein Ruf nach der Schweiz. Und ich musste den Ruf annehmen, denn ich war schwer strahlengeschädigt. Ich hatte ja seit der Entdeckung Röntgens, also von 1895 an auf diesem Gebiet geforscht, gebaut, gearbeitet. Und damals kannte man ja die Gefahren nicht, die mit der Strahlenforschung und des Ausübung der Radiologie verbunden waren. Ich war also so schwer geschädigt, dass ich verloren gewesen wäre, wenn ich in meinem Beruf geblieben wäre."

    Weit über 100 Hautoperationen musste Dessauer deswegen über sich ergehen lassen. Trotz der schweren Gesundheitsschäden wurde er 82 Jahre alt. Er starb 1963 in Frankfurt. Dorthin war er zehn Jahre zuvor zurückgekehrt, und hatte sich wieder stärker der Philosophie zugewandt. In seinen späten philosophischen Werken beschäftigte ihn vor allem die Suche nach Erkenntnis.

    "Der Forscher ist ein Wanderer in die Unendlichkeit, denn niemals hört das Forschen auf. Denn jeder enthüllte Aspekt zeigt neue Abgründe des Unbekannten. Aus dem Grenzenlosen kommt der Ruf zum Forscher und er pilgert, ohne je ans Ende zu kommen, doch stets seines Kompasses in seiner Seele bewusst, dem er sich anvertraut, weil er darin den Ruf des Schöpfers erkennt."