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Röttgen: Energiepolitik ist "kein Kinderspiel"

Mit dem Atomausstieg habe man einen gesellschaftlichen Konsens erreicht, sagt Norbert Röttgen. Nun gehe es darum, durch gezielte Investitionen und Energiekonzepte die "Weichen für eine lange Zukunft" zu stellen und das auch ohne eine Verankerung des Atomausstieges im Grundgesetz.

Norbert Röttgen im Gespräch mit Jule Reimer |
    Reimer: Herr Minister, Energiesparen ist ein zentrales Element im Energiekonzept, damit der Atomausstieg und auch der Umstieg auf die erneuerbaren Energien nicht so teuer ausfallen. Sind jetzt bei der Familie Röttgen schon alle Stand-by-Geräte abgeschafft oder mit einer Steckerleiste versehen, die dann immer pflichtgemäß abgeschaltet wird?

    Röttgen: Also, erstens bin ich bei uns zu Hause dafür bekannt, dass ich darauf gucke, ob das Licht aus ist und andere Dinge und Einsparmaßnahmen praktiziert werden. Aber das, was wir planen, geht schon ein bisschen über diese Aktivitäten hinaus, die ja auch jetzt schon jedem möglich sind. Es geht im Kern nicht darum, das Licht früher auszuschalten, sondern es geht bei Energieeffizienz auch um ein Technologieprojekt, es geht um neue moderne Steuerungstechnik, es geht um informationsbasierten Energieverbrauch, es geht um neue Dämmung, um energetische Gebäudesanierung. 40 Prozent der Energie wird in den Gebäuden verbraucht, die meisten unserer Häuser sind entstanden und gebaut worden, als wir noch kein Bewusstsein dafür hatten, dass Energie ein knappes und teures Gut werden könnte – vor der ersten Ölpreiskrise. Und es ist auch ein wirtschaftliches Erneuerungsprojekt, wo viele Handwerker beteiligt sind, wo mittelständische Unternehmen dabei sind, wo neue Technologien erfunden werden von unseren Ingenieuren und den Forschungsabteilungen. Darum geht es im Kern und nicht nur um den sparsamen Hausvater.

    Reimer: Aber bisher hat Energiesparen - absolut - nicht so richtig funktioniert. Wir haben uns zwar immer mehr Energieeffizienz angeeignet, gleichzeitig ist aber letztendlich das, was effizienter wurde, durch Wachstum und Mehrverbrauch überkompensiert worden. Warum sollte es jetzt funktionieren? Müssen Sie nicht viel stärker mit gesetzlichen Maßnahmen reingehen?

    Röttgen: Ja, ich glaube, dass wir bei der Effizienz bislang nicht gut genug waren. Es wird viel davon gesprochen, aber wir haben uns das als großes Projekt nicht hinreichend genau genug vorgenommen. Wir haben zwar Ziele formuliert, aber wir haben diese Ziele nicht erreicht. Das heißt, hier besteht Nachholbedarf, hier hat es Versäumnisse gegeben. Ich glaube, dass man hier viel erreichen kann, indem man die private Bereitschaft durch Anreize aktiviert. Das ist ja auch das Ergebnis der Vergangenheit: Mit einem Förder-Euro, der im Bundeshaushalt oder auch in den Länderhaushalten - die es ja auch machen können - steht, werden acht bis zehn Euro an Investitionen in der Gesellschaft ausgelöst. Das heißt, man muss einen kleinen Antrieb schaffen, einen kleinen Kick geben, und dann sind viele Menschen, viele Bürger, die sich das auch leisten können und wollen, bereit, dies zu tun. Und damit haben wir ja auch in der Wirtschaftsrezession positive Erfahrungen gemacht. Es gab ja diese Konjunkturprogramme "Energetische Sanierung", die waren extrem erfolgreich. Und die wollen wir jetzt verstetigen und ausbauen – übrigens auch erstmalig wieder mit einer steuerlichen Komponente. Es wird ja viel über steuerliche Entlastung geredet, an dieser Stelle wird sie kommen, wird sie gemacht.

    Reimer: Die Kosten des Atomausstiegs sind ja noch ungewiss. Es gibt Schätzungen, dass die Kilowattstunde eineinhalb Cent teurer werden kann, sie kann aber auch bis zu fünf Cent teurer werden. Wie erklären Sie sich diese großen Unterschiede?

    Röttgen: Es sind erstens genau genommen nicht die Kosten des Ausstiegs . . .

    Reimer: …aber dass die Strompreise steigen könnten in der Folge . . .

    Röttgen: Ja, aber es ist schon wichtig, das natürlich auch zu bezeichnen, denn warum reden wir darüber? Weil es um Investitionen geht, weil es ja um eine neue Energieversorgung geht, weil es um Investitionen in neue erneuerbare Energieversorgung geht, um Investitionen in intelligente Netze. Das kriegt man nicht zum Nulltarif, sondern es bedarf der Investition. Zum einen gibt es ja Horrormeldungen, die sich immer gut machen lassen, . . .

    Reimer: . . . der Deutschen Energieagentur?

    Röttgen: Ich will es jetzt gar nicht bezeichnen, aber alle diejenigen, die über die Zukunft so reden, dass sie unbewältigbar ist …. Wenn wir so herangehen würden, hätten wir kein Wirtschaftswunder in Deutschland geschafft, dann wären wir auch nach dem Krieg nicht wieder auf die Beine gekommen, dann würden wir auch andere Probleme nicht schaffen. Also, es gibt ein Zukunftsprojekt, und das kann man und muss man mit Nüchternheit, aber eben auch mit Entschlossenheit und auch mit Begeisterung angehen. Und hier sind sicherlich auch manche unterwegs, die das nicht wollen, in deren Geschäftsprojekt es auch selber nicht passt und die darum Angst machen durch Horrorszenarien über die Zukunft, die ja bekanntlich keiner kennt. Also muss man auch mal da nüchtern rangehen und die Kirche im Dorf lassen. Wir haben ja vor einem halben Jahr, als das Energiekonzept beschlossen wurde, Forschungsinstitute beauftragt, wir haben uns in der Bundesregierung darauf geeinigt. Und die Forschungsinstitute haben ja, bevor überhaupt damals die Entscheidung für die Laufzeitverlängerung getroffen wurde, unterschiedliche Szenarien berechnet, wie auch andere Institute das heute tun.

    Reimer: Das heißt, Sie sagen heutzutage: Wir wussten schon vor einem Jahr, dass wir den Atomausstieg ohne Weiteres hätten realisieren können?

    Röttgen: Das sind die Zahlen, die zugrunde gelegt worden sind, als damals diese Entscheidung getroffen wurde. Und ein Szenario war: Es gibt keine Laufzeitverlängerungen. Und ein anderes Szenario war: zwölf Jahre Laufzeitverlängerungen. Wenn man keine Laufzeitverlängerungen macht, haben diese Forschungsinstitute – das Energiewirtschaftliche Institut in Köln – durchaus energieversorgungsnah und Prognos aus Basel gesagt: Das wird so zwischen 0,1 und 0,8 Cent pro Kilowattstunde liegen, das macht für einen normalen Haushalt – 3500 Kilowattstunden Verbrauch, vier Personen – so um die 35 Euro pro Jahr aus. Das würde ich auch nicht verschweigen. Ich behaupte auch nicht, ich weiß, dass das so kommt. Sondern das sind die Prognosegrundlagen, die unabhängige Institute uns geben, die auch von vielen Instituten, die heute ihre Prognosen abgeben, so bestätigt werden. Wir werden das jedenfalls in Griff halten, das ist auch notwendig, es ist absolut machbar. Und dann kommt übrigens auch die Rendite, die auf eine Investition folgt. Denn das sind ja nicht irgendwelche Sowieso-Kosten, sondern es sind die Kosten eines Umstiegs, die in Investitionen liegen und am Ende auch zu einer sichereren, umweltverträglicheren zukunftsfähigen Energieversorgung führen, mit der wir auch absolut wettbewerbsfähig sein werden, weil es eben neue Technologien sind. Und darum ist das eben auch eine wirtschaftliche Strategie.

    Reimer: Vorher werden aber erst einmal die Atomkonzerne voraussichtlich klagen wegen des entstandenen Vermögensschadens. Und es stellt sich auch noch die Frage: Wer trägt die Kosten des Abbaus der Meiler? Das ist ja auch nicht ganz billig.

    Röttgen: Ob sie klagen werden, weiß ich nicht. Das müssen die Unternehmen auch selber für sich entscheiden. Sie müssen entscheiden, ob sie glauben, dass das erfolgsträchtig ist, eine solche Klage – gegen was eigentlich, gegen die Brennelementesteuer, gegen die Entscheidung, die ja ungefähr das beinhaltet, worüber die Energieversorgungsunternehmen vor knapp zehn Jahren schon mal einen Vertrag geschlossen haben? Es wird keine Kilowattstunde von damals weggenommen, auch keine dazugegeben. Die Laufzeit von 32 Jahren, wie damals vertraglich verabredet, steht jetzt im Gesetz. Und die Rückbaukosten sind natürlich Kosten, die den Unternehmen entstehen. Das ist klar. Das war aber auch mit dem Bau eines Kernkraftwerkes klar, dass, wenn es zum Rückbau kommt, dass die Rückbaukosten ein Teil sozusagen der Lebenskosten eines Kernkraftwerkes sind. Die Kernenergie wird ja manchmal immer nur sehr punktuell betrachtet, aber man darf eben die Zeit nicht ausblenden. Beim Kernkraftwerk entstehen durch Rückbau Kosten, Endlagerung und Lagerung sind Kosten. Wenn man mal den ganzen Lebenszyklus kostenmäßig betrachtet, dann wird die Kernenergie auch deutlich teurer.

    Reimer: Sie setzen vor allen Dingen auf die Windenergie – auf Windenergie, die in dem großen Windpark vor der Küste – in der Nord- und Ostsee – erzeugt wird. Das bedingt mehrere tausend Kilometer neue Stromtrassen. Das ist teuer, das ist umstritten. Warum fördern Sie so wenig die Windenergie an Land, das würde Ihnen Stromtrassen ersparen. Wo bleibt die Förderung der Kraft-Wärme-Koppelung, wo bleibt der Fokus auf eine dezentrale Energieversorgung?

    Röttgen: Ich teile die Prämisse in Ihrer Frage nicht, dass es bei uns ein "entweder – oder" gebe . . .

    Reimer: Die Förderung an Land wird abgesenkt und die vor der Küste angehoben…..

    Röttgen: … das so zu vergleichen, macht schlicht keinen Sinn, weil man ja jede Technologie, die es gibt, technologiespezifisch fördern oder auch begrenzen muss. Wir setzen sehr stark auf die Windenergie, und zwar an Land und auf hoher See. Und sie wird übrigens an Land einen deutlich höheren Anteil in unserem Konzept haben als die Windenergie auf hoher See in den nächsten zehn Jahren. Das ist so. Wir sind nur bei der Windenergie an Land schon viel weiter, sie ist schon beträchtlich ausgebaut, und wir haben hier schon eine viel höhere Wettbewerbsfähigkeit und Marktreife als das bei der Windenergie auf hoher See - wo wir im Grunde gerade das Forschungsstadium verlassen und gerade erst in die kommerzielle Nutzung eintreten - der Fall ist. Also es sind einfach unterschiedliche Entwicklungsstände, die bei beiden vorhanden sind. Und auch die Art der Förderung ist unterschiedlich. Wir werden weiterhin eine attraktive verlässliche Förderung der Windenergie an Land haben, weil sie auch in den nächsten Jahren das größte Ausbaupotenzial beinhaltet. Wir brauchen aber auch eine zusätzliche Förderung der Windenergie auf hoher See, weil sie am Ende, wenn dort Windparks eröffnet sind, die kosteneffizienteste Energieversorgung überhaupt ist. Aber sie muss erst mal in Gang kommen . . .

    Reimer: Und Sie müssen die Stromtrassen dann noch nach Süddeutschland bauen.

    Röttgen: Man braucht auch die Trassen dafür, das ist völlig klar, aber sie ist doch die effizienteste erneuerbare Energie, die im Moment überhaupt absehbar ist, ohne jede Frage. Sie wird auch kürzer gefördert. Also: Windenergie an Land wird 20 Jahre gefördert, die Windenergie auf hoher See wird entweder acht Jahre oder zwölf Jahre gefördert, danach nicht mehr. Dann hat sie einen Förderbetrag von 3,5 Cent, das ist ein Förderbetrag, der liegt deutlich unter dem heutigen Börsenstrompreis für Strom von fünf bis sechs Cent. Also sie wird absolut mehr als wettbewerbsfähig unter dem heutigen Börsenpreis Strom produzieren können, darum muss das Potenzial auch genutzt werden. Aber es ist auch leitungsabhängig, das ist richtig.

    Reimer: Warum möchten Sie die Unumkehrbarkeit des Atomausstiegs nicht durch eine Verfassungsänderung bekräftigen?

    Röttgen: Das halte ich für falsch. Ich glaube, es geht jetzt darum, einen gesellschaftlichen Konsens herzustellen und ihm im Gesetz Ausdruck zu geben durch ein vernünftiges Konzept und durch breite Zustimmung. Und dieser Konsens drückt sich dann in der Beschlussfassung, wahrscheinlich in der partei- und fraktionsübergreifenden Beschlussfassung von Bundestag und Bundesrat aus. Aber die Kernenergiefrage, die Energiefrage – bei aller Bedeutung - ist, glaube ich, keine Frage, die in der Verfassung zukünftigen Mehrheiten vorgegeben werden sollte. Also die Beachtung der Menschenwürde, die Grundrechte, die Rechtsstaatlichkeit – das sind unsere Grundsätze, Grundprinzipien, Grundstrukturen des Staates, die der einfachen Mehrheitsbildung vorgegeben sind. So richtig und überzeugt ich von dem Konzept jetzt bin, finde ich, wäre es eine Arroganz und Überheblichkeit, als wüsste ich und hätte ich die Legitimation, Bundestage der nächsten oder übernächsten Legislaturperiode zu präjudizieren und festzulegen: Wir machen jetzt unsere Politik. Aber es gibt auch immer wieder die Freiheit von neuen Mehrheiten, neu zu entscheiden. Ich glaube daran nicht, ich glaube, dass wir diesen Konsens haben. Wir stellen auch jetzt die Weichen für eine lange Zukunft, das kann man tatsächlich nicht alle zwei, drei, vier, fünf Jahre wieder zurückdrehen. Aber ich glaube, dass das eine schlichte Übertreibung wäre, diese politische Entscheidung, die legitimerweise getroffen wird, in die Verfassung zu heben.

    Reimer: Der Bundesumweltminister Norbert Röttgen im Interview der Woche im Deutschlandfunk. Herr Minister, wir hatten ja in den letzten Wochen verkehrte Welt. Norbert Röttgen stand für den schnellen Atomausstieg, und die SPD-Spitze warnte vor untragbaren Kosten für die deutsche Industrie. Jetzt sind Sie ja auch nordrhein-westfälischer CDU-Landesvorsitzender. Ist dem Norbert Röttgen der Ministerstuhl in Berlin näher als der Stahlstandort Nordrhein-Westfalen?

    Röttgen: Nein, diese Alternative zu erstellen ist ja dumm, und die Warnungen, die Sie gerade zitiert haben, sind doch eigentlich nur Ausdruck von Orientierungslosigkeit . . .

    Reimer: Na, es geht ja schon ziemlich schnell mit dem Umstieg . . .

    Röttgen: Ja, natürlich geht es schnell, aber es geht für einen modernen Wirtschaftsstandort, es ist die Sicherung von Industrie! Es ist eben Unverstand zu sagen, hier setzt sich Nachhaltigkeit gegen industrielles Interesse durch, sondern wir bringen ja gerade beides zusammen. Und es ist das dezidierte Ziel, auch mein persönliches Ziel, dass wir Energiepolitik als Teil der industriellen wirtschaftlichen Entwicklung unseres Landes machen. Darum haben wir - nebenbei - auch kurzfristig jetzt im Erneuerbaren-Energie-Gesetz vorgesehen, dass es eine deutliche Ausweitung der Befreiung und Begünstigung von stromintensiven Unternehmen von der EEG-Umlage gibt. Sowohl in der Systematik wie im Umfang wird das deutlich ausgeweitet, sodass hier das Bewusstsein dafür, dass Strompreise nicht zu Wettbewerbsverzerrungen und Nachteilen führen dürfen, auch gerade im internationalen Wettbewerb, absolut vorhanden ist und sich auch in dieser gesetzlichen Novelle ausdrückt.

    Reimer: Bleiben wir beim Thema Nordrhein-Westfalen. Es gibt einen Witz aus Nordrhein-Westfalen, der lautet: Bundesumweltminister Röttgen ruft bei der Landesregierung in NRW in Düsseldorf an und verlangt, Jürgen Rüttgers zu sprechen. Es kursiert auch der Begriff des Nebenerwerbslandesvorsitzenden oder Nebenerwerbsoppositionellen. Warum nutzen Sie die Angriffsflächen, die Rot-Grün in Nordrhein-Westfalen ja eigentlich bietet, zum Beispiel die Haushaltspolitik, nicht, um da aktiver rein zu gehen? Sie haben ja auch mal angekündigt: Klage gegen den nächsten Haushalt, und wenn es Neuwahlen gibt – um so besser.

    Röttgen: Na ja, aber ich glaube, wenn man das ein bisschen tatsächlich verfolgt, was unsere Oppositionspolitik ausmacht, dann kann man nicht zu diesem Urteil kommen. Gerade auf dem Gebiet der Haushaltspolitik waren wir als Opposition außerordentlich erfolgreich. Wir haben die Landesregierung dazu gezwungen – und die Ministerpräsidentin persönlich –, von ihrem Kurs abzugehen. Wir haben durch die Klage der FDP-Fraktion und der CDU-Fraktion im Landtag eine einstweilige Anordnung gegen die Landesregierung erreicht.

    Reimer: Für den Haushalt 2010. Aber Sie haben ja jetzt den Haushalt 2011, dagegen könnten Sie ja auch vorgehen.

    Röttgen: Das tun wir übrigens auch, indem wir auch dort erneut dagegen klagen, aber den auch politisch angreifen. Der Haushalt ist dann auch endgültig gescheitert vor dem Landesverfassungsgericht.

    Reimer: … der alte Haushalt….

    Röttgen: Ja. Aber Sie reden ja von der Oppositionsarbeit, die wir machen. Sie können ja jetzt nicht alle Erfolge ignorieren und irgendwie für selbstverständlich halten, sondern es ist ein enormer Erfolg, dass wir auch mit rechtlichen Mitteln unter Ausschöpfung von verfassungsgerichtlicher Hilfe die Landesregierung von ihrem verheerenden Kurs der Verschuldung abgebracht haben. Aber es ist nicht ausreichend, sondern es werden immer noch mehr Schulden gemacht, also eine nichtnachhaltigere Politik von dieser Landesregierung betrieben als möglich wäre. Dagegen opponieren wir politisch, und wir werden erneut das Landesverfassungsgericht gegen diese Schuldenpolitik anrufen.

    Reimer: Die CDU-Basis in Nordrhein-Westfalen fühlt sich von Ihnen so ein bisschen im Stich gelassen. Zu viel Atom und zu wenig Nordrhein-Westfalen.

    Röttgen: Nein, keine Spur. Das ist jetzt Ihre Behauptung. Da ich permanent unterwegs bin, gerade gestern in Nordrhein-Westfalen war, die Woche davor dort war, permanent da bin, da ich ja auch mit meiner Familie da lebe, kann ich Ihnen davon berichten, dass unsere Veranstaltungen sehr gut besucht sind und dass wir natürlich die Bandbreite aller Themen haben. Die Menschen wollen auch nun hören, wie es in der Energiepolitik weiter geht. Und darum gibt es dieses "entweder – oder" auch an dieser Stelle nicht, sondern ich bin Landesvorsitzender, der sowohl den Anspruch hat, mit der gesamten Landespartei Oppositionsarbeit zu machen, aber gleichzeitig auch im Bund Verantwortung trägt. Und beides zusammen ist auch gut und macht eine Stärke unserer Landespartei aus.

    Reimer: Blicken wir nach Berlin. Die Begrifflichkeiten in Verbindung mit der schwarz-gelben Koalition in dieser Woche, die öffentlich zitiert wurden, waren nicht besonders schmeichelhaft: Da war die Rede von Streit, Kränkung, Dauerkrise, Ihnen wurde eine Paartherapie empfohlen, es kam die Frage auf, ob da nicht geschickt Provokationen gestreut werden, um gar die Scheidung herbeizuführen. Wir stark ist die FDP als der richtige Koalitionspartner im Bewusstsein der CDU-Basis verankert, wie stark hier in Berlin?

    Röttgen: Also alle – ob Basis oder hier in Berlin – wissen, dass das die Koalition in dieser Legislaturperiode ist. Und ich füge hinzu, wir werden nur gemeinsam Erfolg haben und wir haben das jetzt in einem ganz wichtigen Feld auch bewiesen. Da mag ja viel geredet werden von außen und kommentiert werden. Die Faktenlage ist, dass es dieses Energiekonzept gibt, das wir gerade auch diskutiert haben, das weitreichend für die Zukunft unseres Landes sein wird. Es ist gemeinsam erarbeitet worden, es wird gemeinsam vertreten und wir werden auch gemeinsam die Früchte ernten. Alles das, was am Freitag im Bundesrat diskutiert worden ist, das ist eine Debatte, die war vor einem halben Jahr völlig undenkbar. Und es war diese und ist diese Bundesregierung, die eben besteht aus CDU und FDP, die diese Veränderung in Deutschland bewirkt hat.

    Reimer: Bei der FDP grummelt es ….

    Röttgen: Was heißt grummelt?

    Reimer: Ganz erheblich.

    Röttgen: Ja natürlich, wir haben auch komplizierte Zeiten. Es geht nicht darum, dass wir Spaziergänge durch Deutschland machen, alles ist schön und jubelt, sondern wir haben die schwierige Aufgabe, die Energieversorgung in Deutschland auf eine neue Grundlage zu stellen durch eine klare Beendigung der Kernenergie – das hat es überhaupt noch nicht gegeben – und einen klaren Einstieg in neue Technologien der Effizienz und erneuerbare Energien. Das ist kein Kinderspiel, das ist richtig Arbeit, aber wir haben sie geschafft. Dazu gehören auch Diskussionen in allen Parteien und Fraktionen. Die sind ein natürlicher Begleitumstand von solchen grundlegenden Entscheidungen. Und dann haben wir noch ein paar andere Themen nebenbei. Denken Sie an Griechenland, Euro, Stabilitätsfragen der Wirtschaft oder die nordafrikanische Befreiungsbewegung, die auch ihre Auswirkung hat. Es kommt also ziemlich viel auf einmal. Und an dieser Stelle, in der Energiepolitik, haben wir jetzt weitreichende Entscheidung getroffen, gemeinsam. Und ich glaube, das wird auch seine Früchte tragen dadurch, dass wir es eben machen und zum Konsens in der Gesellschaft mit Politik beitragen.

    Reimer: Der Bundesumweltminister Norbert Röttgen im Interview der Woche im Deutschlandfunk. Wenn jetzt die grüne Bundestagsfraktion Anfang Juli dem schwarz-gelben Atomausstieg zugestimmt hat, was steht dann einer schwarz-grünen Koalition noch im Wege - außer einer fehlenden Mehrheit derzeit?

    Röttgen: Die Koalition aus CDU, CSU und FDP. Denn das ist die jetzige Koalition, und die werden wir dann auch bei anderen Themen zum Erfolg führen. Ich finde, es ist doch ein geradezu grandioser Erfolg auch dieser Koalition, dass sie einem gesellschaftlichen Konsens Ausdruck gibt, diesen Konsens mit einem Konzept zur Energiepolitik unterlegt, wie es das bislang noch nicht gegeben hat, sodass eine Oppositionspartei, an dieser Stelle ausgerechnet die Grünen, sich gezwungen sehen, einen Sonderparteitag durchzuführen und sich mit der Frage beschäftigen müssen, ob sie der Politik von CDU/CSU und FDP zustimmen und eigentlich auch nur die Möglichkeit haben, es zu tun, weil sie sich ansonsten außerhalb dieser Politik, die einen Konsens darstellt, stellen. Ich finde, das ist ein außerordentlicher Erfolg, es spricht auch für die Grünen, dass sie es tun. Aber ich finde, es spricht auch für die Bundesregierung, dass sie die Politik so macht, dass wir einen wirklich breiten Konsens erzielen.

    Reimer: Schwarz-Grün, ist das dann denkbar, später?

    Röttgen: Das ist kein Thema in einer amtierenden Regierung. Eine Regierung, die noch gut zweieinhalb Jahre vor sich hat, die muss sich auf ihre Aufgaben konzentrieren. Die Parteien wollen auch für sich erfolgreich sein. Das habe ich auch immer meiner Partei empfohlen, nicht in Lagern zu denken, sich nicht abhängig zu machen von einer Partei, sondern als Union, als CDU eine eigene Identität, wertgebunden und modern, zu entwickeln, um dadurch so stark wie möglich zu werden, damit wir möglichst viele Optionen haben zu regieren und zu gestalten.

    Reimer: Bleiben wir mal bei dem Stichwort 'neue Koalitionen’. Blicken wir aber auf die Klimaverhandlungen. In Bonn ist in dieser Woche eine weitere Vorverhandlung für die große UN-Klimakonferenz in Südafrika zu Ende gegangen. Die Verhandlungen sind schwierig. Jenseits der Frage, ob dieses gemeinsame Abstimmen im Fall von Libyen in der UN auf die Landtagswahlen in Deutschland oder auf tiefere Einblicke in die schwierigen Fronten im libyschen Bürgerkrieg zurückzuführen waren: Sie merken in internationalen Verhandlungen, dass die Schwellenländer immer wichtiger werden. Sollte Europa künftig öfter statt im Verbund mit den USA mit den Schwellenländern, also mit China, Brasilien, Indien, Russland abstimmen?

    Röttgen: Nein, auch hier ist ein 'statt mit denen mit den anderen’ eine falsche Politik. Ich bin davon überzeugt, dass es das Beste für uns, für Europa und Deutschland ist, wenn wir einen engen transatlantischen Verbund haben.

    Reimer: Aber in Sachen Klimaschutz stehen die USA nicht neben Europa.

    Röttgen: Genau.

    Reimer: Gar nicht.

    Röttgen: Das ist jedenfalls das Problem, dass die USA an dieser Stelle nicht die Führungsmacht in der Welt sind, weil sie sich innenpolitisch zu diesem Kurs noch nicht durchgerungen haben. Es ist aber nicht so, dass für uns eine Alternative bestände, jetzt machen wir statt mit den USA mit Schwellenländern oder mit China eine solche Politik, weil China bislang nicht in gleicher Weise bereit ist, sich in ein System internationaler Co2-Reduzierung in rechtlicher Verbindlichkeit einzufügen, sodass das von vorneherein nicht die Alternative ist. Aber auch grundsätzlich dürfen wir als Europa, die Europäische Union und die deutsche Bundesregierung nicht sozusagen ein Wanderer zwischen den Welten werden - wenn die einen nicht wollen, machen wir es halt eben mal mit den anderen. Das heißt, die Grundsatzfrage, die sich hier stellt: Was ist in einer solchen Situation, wo es Bewegungslosigkeit sowohl bei USA als auch bei China gibt, die zusammen für über 40 Prozent der CO2-Emissionen stehen, wie soll sich eigentlich Europa verhalten? Wollen wir voranschreiten oder lassen wir uns halt eben auch zurückfallen auf diese Stillstandsposition? Meine Position ist: Wenn Europa auf diesem Gebiet der Klimapolitik, der Energiepolitik, der neuen Technologien nicht voranschreitet, zum Herausforderer wird, dann werden wir marginal und unbedeutend. Es geht um europäische kulturelle-ökonomische Selbstbehauptung. Und es gibt kein zweites Feld, wo die geopolitischen Einflussmöglichkeiten Deutschlands und Europas so groß sind wie auf diesem Feld. Und darum müssen wir anspruchsvoll bleiben auf diesem Gebiet, politisch, ökonomisch, technologisch.

    Reimer: Gehen wir noch mal zurück nach Deutschland. Einerseits sollen ja Regierungen in Demokratien auf Wähler hören. Zu viele Kehrtwenden gefährden allerdings auch die Glaubwürdigkeit. Und daran entzündet sich derzeit viel Kritik an Bundeskanzlerin Angela Merkel. Gibt es irgendetwas, an dem Sie unverbrüchlich festhalten werden, an politischen Prinzipien, auch wenn Ihre Karriere Sie vielleicht mal ins Kanzleramt führt?

    Röttgen: Also, die Frage, dass es Grundprinzipien sind, zu denen ich stehe, die nicht zur Disposition stehen, weil sie Grundüberzeugung, Grundwerte sind, die ist mit meinem politischen Engagement an sich verbunden und da brauche ich jetzt nicht neue Ämter dafür, um dort mich auch in der Bewährung zu sehen. Ich glaube, dass Politik von Glaubwürdigkeit lebt, und dass die Glaubwürdigkeit eines Politikers und von Politik davon abhängt, ob es einige wenige Grundwerte, Grundprinzipien gibt, die das Fundament bilden. Und wer an das Fundament geht, der wird nicht mehr lange stehen und stabil sein und Politik machen können. Ich glaube, dass das für Politik extrem wichtig ist und dass es auch mein Selbstverständnis ist, aus einer Grundwerthaltung heraus, aus einem Grundverständnis heraus, Politik zu gestalten auf der Basis von Werten, auch pragmatisch zu sein, aber Wertlosigkeit, Beliebigkeit ist nicht mein Selbstverständnis und nebenbei auch, glaube ich, auch kein Erfolgsrezept.

    Reimer: Schönen Dank für das Gespräch.

    Röttgen: Ich bedanke mich.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.