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ROFL? N8?

"Knigge" steht für Taktgefühl und höflichen Umgang, für Regeln rund um den Anstand. Das Erbe von Freiherr Adolph Franz Friedrich Ludwig Knigge führt der Deutsche Knigge-Rat weiter - er geht mit der Zeit und präsentierte nun Benimmregeln für das Internet.

Von Mirko Smiljanic | 12.08.2010
    Freiherr Adolph Franz Friedrich Ludwig Knigge lebte in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Er betätigte sich als Aufklärer und als Schriftsteller. Zehn Bücher tragen seinen Namen. Neun davon dürften allerdings nur einigen Germanisten und Historikern vertraut sein.

    Ein Buch aber kennt jeder, zumindest seinen Titel, genauer noch: seine Wirkung: "Über den Umgang mit Menschen." Seither steht "Knigge" für Taktgefühl und höflichen Umgang, für Regeln rund um den Anstand. Auf manchen wirken sie etwas steif, wer erinnert sich nicht mit flauem Magen an die Tanzschule, wer fordert wen auf, wer stellt wen vor, mitunter war das eine ziemlich peinliche Angelegenheit ... Doch der Deutsche Knigge-Rat - er führt das Erbe des Freiherrn fort - geht mit der Zeit. Vor einigen Tagen präsentierte er Benimmregeln für das Internet.

    Wenn es ein Leitgeräusch des ausgehenden 20. und beginnenden 21. Jahrhunderts gibt, dann dieses: Ich tippe, also bin ich – im Netz ...

    "Ja, ich tippe jetzt die URL 'www.facebook.de' ein und registriere mich erst einmal."

    Alexander Witzke aus Odenthal bei Köln, 25 Jahre jung, Wirtschaftsinformatiker. Er ist mit dem Internet aufgewachsen, mit Websites und Emails, mit Chats und Social Networks:

    "Facebook ist ein soziales Netzwerk, in dem man seine persönlichen Daten eintragen kann."

    Name und Anschrift, Alter und Geschlecht, Beruf und Hobbys, Bilder vom letzten Mallorcaurlaub, was man über Obama im Allgemeinen und über Türken im Besonderen denkt. 70 Prozent aller 12- bis 24-Jährigen tummeln sich mehrmals pro Woche für mehrere Stunden in Sozialen Netzwerken, hängen ab, träumen oder streiten sich – wobei die Umgangsformen mitunter eher ruppig als feinfühlig sind. Da wird gepöbelt und beleidigt, inklusive sexistischer und rassistischer Sprüche. "Schluss damit", sagt Michael Kugel vom Knigge-Rat, Mitautor von Verhaltensregeln für das Internet. Und die sind erstaunlich einfach: Höflichkeit und Respekt, Rücksicht und eine gewisse Distanz sollen den Umgang im Web prägen – so wie auf der Straße auch. Für Social Networks und Chats schlägt er zusätzlich vor:

    "Dass man authentisch bleibt, wie im realen Leben eben auch, dass man keine fiktive Identität aufbaut, ich denke, darunter kann auch die Glaubwürdigkeit und die Reputation leiden. Wir wissen ja, dass auch Arbeitgeber im Netz recherchieren, immer mit unterschiedlichen Profilen agiert, könnte das zu einer gewissen Verwirrung auch beitragen."

    Womit Michael Kugel einen brisanten Punkt anspricht: Die Regeln regeln nicht nur den Kontakt zwischen den Netz-Nutzern, sie bieten langfristig auch Schutz vor unliebsamen Konsequenzen. Auch Personalchefs können mit Google und Netzwerken umgehen. Überhaupt plädiert er dafür:

    "Dass man eine Mischung vermeiden sollte zwischen Beruflichem und Privatem, also dass man auch mal sorgfältig überlegt, welches Netzwerk favorisiere ich eigentlich, welches Netzwerk ist für mich am geeignetsten."

    XING hat eine andere Zielgruppe als StudiVZ, und StudiVZ eine andere als Facebook – obwohl viele User überall vertreten sind. Also bitte erst nachdenken und dann anmelden. Das ergibt Sinn! Realitätsfremd ist die Empfehlung der Kniggemannschaft, schriftliche Einträge sorgfältig abzuwägen:

    "Wenn man eine Nacht drüber schläft, hat man am nächsten Tag eine ganz andere Anschauung, wenn man auch bei den Einträgen, die man in den sozialen Netzwerken macht, mal kurz drüber nachdenkt oder erst am nächsten Tag vielleicht etwas dazu schreibt, dann ist man nicht so impulsiv."

    Das Internet lebt ja gerade von der schnellen Reaktion, vom Spontanen und von der Improvisation. Und zwar auch in der Sprache: Wissen Sie, was "rofl" in einer Mail oder einem Chattext bedeutet? "Rolling on the floor laughing" – "vor Lachen am Boden liegen". Oder "rtfm"? – "Lies das verdammte Handbuch". Solche Abkürzungen sieht Michael Kugel gar nicht gern:

    "Früher hat man in einem Email-Schreiben einfach nur ein 'Hallo' gehabt oder ein 'Hi', oder man hat dann viele Abkürzungen geschrieben oder alles kleingeschrieben, wo dann die Rechtschreibung keine große Bedeutung mehr hatte, aber je mehr Menschen jetzt dieses Medium nutzen, umso mehr gibt es auch Differenzierungen, und wenn ich richtig informiert bin, ist es die Hälfte, die sagt, ein reines 'Hallo' beim ersten Kontakt ist nicht wirklich okay, ich bevorzuge dann die offizielle höfliche Anrede 'Sehr geehrter Herr, sehr geehrte Frau'."

    Selbstverständlich sollte man sich auch nicht Duzen, so etwas gehöre sich nicht! Überhaupt warnt der Knigge-Rat vor einer naiven Gleichmacherei in sozialen Netzwerken. Wer glaubt, seine 300 Facebook-Freunde seien wirklich Freunde, der irrt gewaltig. Schließlich würde man im realen Leben Nachbarn, Verwandte, Lehrer, Chefs und Kollegen auch nicht als Freunde bezeichnen. Es gibt aber auch die Position, soziale Netzwerke seien Experimentallabore, da dürfe es schon mal drüber und drunter gehen. Das war einmal, sagt der Knigge-Rat. Zurzeit würden soziale Netzwerke zunehmend von kleinen Firmen und großen Konzernen entdeckt:

    "Wenn Unternehmen sich angleichen im Preis, in Qualität, in fachlichem Know-how, wenn die Mitarbeiter dann auch nun wieder alle gleich ausgebildet sind und gleich geschult sind, und wenn in den Geschäften das Ambiente sich angleicht, die Präsentation der Waren sich angleicht, also wenn der Kunde überhaupt keine Differenzierungsmöglichkeiten hat, entscheidet wiederum die soziale Kompetenz."

    Die sich auch im World Wide Web widerspiegelt. Was also kann man tun? Das Netz stärker kontrollieren? Jeder Netzwerkbetreiber hat mittlerweile seine eigene Netiquette formuliert. Alexander Witzke:

    "Man sollte zum Beispiel nicht großartig werben bei Facebook oder andere Leute mit seinen Nachrichten zuspamen oder andere Leute belästigen."

    Was sich gut anhört, häufig aber an der Realität vorbeigeht. So bietet Facebook an, dass jeder seine Freunde minutiös über das auf dem Laufenden hält, was er gerade macht.

    "Das ist meiner Meinung nach zwar ein lustiges Feature, aber mich interessiert zum Beispiel nicht, ob jemand nach zehn Minuten sein Mittagessen zu sich nimmt."

    Wichtig sei, sagt Michael Kugel, dass der einzelne User Verantwortung übernimmt. Und früh lernt, wie das Web funktioniert. Brauchen wir also den Internetführerschein?

    "Ob wir da gleich einen Führerschein brauchen, das weiß ich nicht. Ich denke, egal über welche Institution letztendlich sollte man die Nutzer sensibilisieren, selbst aktiv zu werden. Es gibt im Moment nach meinem Wissensstand kein Netzwerk, das Informationsaustausch und Datenschutz in Einklang bringt, von daher ist der Nutzer selbst gefordert."

    Ganz so dramatisch ist die Situation allerdings auch nicht. Mittlerweile wächst eine Generation heran, die das Web sehr viel bewusster nutzt als die WWW-Gründergeneration. Alexander Witzke zählt dazu, der wie viele andere Informationen über sich ins Netz stellt, um sein Profil bei potenziellen Arbeitgebern interessant zu machen. Er engagiert sich zum Beispiel bei einer Tafel für arme Menschen:

    "Dort helfe ich anderen Leuten und publizieren das auch nach außen hin, dass ich dort vertreten bin, weil es einfach ein guter Hintergedanke ist, ich kann auch dadurch, durch das Internet und durch die Portale, Leuten zeigen, dass ich mich sozial für einen guten Zweck engagiere."

    Das Netz vergisst nichts! Weder die rassistischen Angriffe noch das soziale Engagement – wer will, findet in 20 Jahren alles wieder. Schon aus diesem Grund sind die Empfehlungen des Knigge-Rats weitgehend empfehlenswert. Nur für Knigge-Autor Michael Kugel nicht.

    Weitere Informationen:
    Social-Media-Knigge 2010