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Rohr trifft Rübe

Der Zuckermarkt wird neu geordnet, eine bittere Tatsache für die deutschen Landwirte. Im November wollen die EU-Agrarminister die Reform verabschieden. Die Veränderungen stehen also unmittelbar bevor. Es ist die Rede von dramatischen Einschnitten für deutsche Produzenten. Anlass für die Agrarzeitung Ernährungsdienst, Landwirte und andere mit dem Thema Befasste zu einer Diskussion einzuladen. "Rohr trifft Rübe" hieß die Veranstaltung gestern in Magdeburg. Ein Titel, der das Problem beschreibt. Zuckerrübenanbauer in Brasilien und anderswo warten schon darauf, ihre Produktion auszuweiten.

Von Annette Schneider-Solis |
    Die Kampagne läuft auf vollen Touren. Traktoren mit Hängern voller Zuckerrüben rollen durch die Magdeburger Börde. Vor gut 100 Jahren nannte man die Gegend die Zuckerdose Deutschlands. Bei KWS in Klein Wanzleben, wo die Rübe kultiviert wurde, stehen heute Schilder gegen die anstehenden Reformen. Zuckerrübenanbauer fürchten um ihre Zukunft, erläutert der Hauptgeschäftsführer der wirtschaftlichen Vereinigung Zucker, Dieter Langendorf, die Auswirkungen der Reform:

    " Es werden Märkte geöffnet durch das so genannte "Alles außer Waffen"-Abkommen aus dem Jahr 2000. Dieses Abkommen hat zum Ziel, den europäischen Markt völlig freizugeben, zollfrei, für Lieferungen aus den am wenigsten entwickelten Ländern, und diese Länder werden eine Ausfuhrmöglichkeit haben, jetzt schon, in einer Größenordnung von etwa 4 Millionen Tonnen, das entspricht etwa 20 Prozent unserer europäischen Erzeugung."

    Nur noch etwa drei Viertel des Zuckerbedarfs werden dann aus eigener Produktion gedeckt. Konkret sieht das Reformvorhaben vor, die europäische Zuckerproduktion von 20 Millionen auf 12 Millionen Tonnen zu drosseln und gleichzeitig die Erlöse für Rüben um 40 Prozent zu reduzieren. Die Rübe aber bringt den Landwirten von allen Feldfrüchten die meisten Gewinne. Und so werden die Einkommensverluste gravierend sein, fürchtet Heinrich-Hubertus Helmke, Geschäftsführer des Dachverbandes Norddeutscher Zuckerrübenanbauer:

    " Wir gehen etwa von 1000 Euro je Hektar Rübenanbaufläche aus. Und das sind für einen Durchschnittsbetrieb mit 15 bis 20 Hektar Zuckerrübenanbau etwa 15- bis 20 000 Euro je Jahr, die da verloren gehen."

    Brasilien ist eines der Länder, die quasi Machete bei Fuß bereitstehen, um den europäischen Markt in Größenordnung zu beliefern. Zuckerrohr spielt schon jetzt eine große Rolle. 380 Millionen Tonnen brachte die letzte Ernte in Brasilien - 10 Jahre zuvor waren es noch 240 Millionen Tonnen. Die Anbaufläche kann ohne Probleme mehr als verdoppelt werden, und die Infrastruktur ist stark ausbaufähig, so der brasilianische Farmer Alexander Estermann:

    " Was wir natürlich uns fragen, ist: Wie kann unser Zucker in den Weltmarkt kompetieren? Der Zucker, der in Brasilien exportiert wird, hat keine Subventionen vom Staat, aber der Zucker, der von Europa auf den Weltmarkt geht, der hat Subventionen."


    Die Löhne in Brasilien sind mit denen in Europa nicht vergleichbar, für 2 bis 3 Dollar erntet ein Arbeiter 12 bis 15 Tonnen Zuckerrohr am Tag. Und so rechnet Alexander Estermann vor:

    " Wir produzieren Zucker mit ungefähr 150 Dollar die Tonne."

    Preise, mit denen europäische Erzeuger nicht mithalten können, so Dieter Langendorf:

    " Wir haben in Europa, auch in Deutschland, ganz andere Standards, höhere Umweltstandards, höhere Sozialstandards, die schlagen sich in den Kosten nieder. Und insofern liegen unsere Produktionskosten um das Zweieinhalbfache bis Dreifache über denen in Brasilien."

    Zuckerrohranbau ist in Brasilien ausgesprochen personalintensiv. Das Rohr ließe sich auch mit Maschinen ernten, doch im Entwicklungsland Brasilien fänden die Arbeiter keinen neuen Job. Weil Zucker ein wichtiger Wirtschaftsfaktor mit großem Entwicklungspotential ist, haben Brasilien, Thailand und Australien vor der Welthandelsorganisation geklagt. Alexander Estermann:

    " Wenn wir nicht die Möglichkeit haben zu produzieren, sind auch Arbeitslose, bekommen auch weniger Lohn. Wir haben auch ein großes Land hinter uns, und wir haben sehr große soziale Probleme."

    Es wurde erwirkt, dass die EU-Länder vom kommenden Jahr an keinen Zucker mehr in Länder außerhalb der Europäischen Union exportieren dürfen. Das bedeutet schon vor der Reform, dass 5 Millionen Zucker weniger produziert werden können in Europa. Die Auswirkungen haben bereits zu Konsequenzen geführt, erklärt Gerald Dohme von der Nordzucker AG:

    " Das bedeutet für die Nordzucker ganz explizit, dass wir 200.000 Tonnen weniger produzieren können, und deshalb haben wir vor 2 Wochen die Schließung von 2 Zuckerfabriken - eine nach dieser Kampagne und eine weitere nach der nächsten Kampagne beschlossen."

    Betroffen sind 188 Arbeitskräfte. Doch weitere Optimierungsmaßnahmen werden auch hier unerlässlich sein. Denn auf die Auswirkungen der anstehenden Reform ist damit noch nicht reagiert.