Endlich, spät und fast zur Rettung des Festivals kam mit Jean-François Sivadiers "Roi Lear" das Theater zurück in ein allzu prätentiös-literarisches Programm. Sivadier brachte mit einem mit Nicolas Bouchaud jung besetzten Lear und seinem von Norah Krief virtuos gespieltem Narren Shakespeares existenzielle Komik zum leuchten. Als freies Meditieren über Fragen der Existenz, von Figuren, die neben sich zu stehen scheinen und neben ihrem eigenen Schicksal. Jean-François Sivadier:
"Das Stück hat ein Geheimnis, und deshalb interessiert es so viele Regisseure: Es ist ein Stück über das menschliche Verhalten; aber es benennt seinen Gegenstand nicht. Alle wissen, wovon Timon von Athen, Richard der Dritte oder Macbeth handeln. Beim König Lear ist das sehr schwer zu sagen; er geht über den reinen Plot weit hinaus, denn der ist so unkompliziert wie ein Kindermärchen. Mir kommt es so vor, als ob es Shakespeare hier mehr um den Sinn und die Sinnlichkeit gegangen wäre, als um den Verstand. Er spricht den Zuschauer ganz privat an, aber nicht unbedingt dessen Intelligenz."
Sivadier erschließt im ersten Teil viel heitere Erkenntnis, wenn sich aber mit der von einem schräg ansteigenden Holzpodest gebildeten Bühne auch Lears Welt auflöst, und wenn Shakespeares existentieller Schmerz zu verkörpern ist, fehlt der Aufführung noch das richtige darstellerische Register, und dem jungen Hauptdarsteller die Erfahrung des biologischen Zerfalls. Trotzdem: Hier wird Theater gespielt in der Papstpalastliga.
Neben diesem schönen Lear war die zweite Festivalwoche von Arbeiten geprägt, die anhand berühmter Literatur den zeitgenössischen Stoff des Politischen zu fassen versuchten. Das war nach den reihenweise gescheiterten Ansätzen der jungen französischen "Autoren-Regisseure" und ihrer in belanglos privaten Haltungen stecken gebliebenen Aufführungen für das Festival allerdings auch dringend notwendig. Wiederum eine der großen Shakespearefiguren macht sich Peter Verhelsts Stück über Richard den Dritten zum Gegenstand, das Ludovic Lagarde im Karmeliterkloster inszeniert hat.
Die Stimmen der Akteure kommen, zum Teil zu Monstersounds aufgemotzt, aus Lautsprechern, eine elektrische Gitarre begleitet die Reden eines Richard den Dritten im bunten Seidenanzug, einer smarte Figur des Show-Biz, der das Zeitalter einer neuen, aseptischen, einer sauberen Welt beschwört.
"Im Zentrum meiner Arbeit steht diese spezielle Mischung aus archaischen Elementen, religiösem Fundamentalismus und modernem Denken. Was ist die Triebfeder für diesen Hygiene-Wahn der westlichen Welt. Was soll dieses neue Reinheitsstreben und diese ins extreme gesteigerte neue Bürgerlichkeit, mit ihrem Draht zur Wallstreet. Dahinter stecken ganz alte Triebe und eine ganz alte Barbarei, die sich nicht wirklich von der unterscheidet, die man derzeit als archaisch brandmarkt."
Dieser "Bobo-Richard", dieser rücklichtslose Top-Politiker der neuen bürgerlichen Rechten hat zweifellos etwas von Nicolas Sarkozy, aber nichts mehr von der Faszination der Shakespeare-Figur, die den Zuschauer doch immer mit der Frage konfrontierte, was an dem monströsen Verhalten fasziniert und welche dunkle Verführung von dessen mörderischer Brutalität ausgeht.
Wirkungssicher bei der Inszenierung des Dämonischen ist Guy Cassiers, der seinerseits das Stück eines anderen bekannten flämischen Autors realisierte. Tom Lanoyes "Mephisto for ever" ist eine Dramatisierung des Romans von Klaus Mann und der neue Direktor des Toneelhuis in Antwerpen, Guy Cassiers inszeniert das Stück mithilfe eines virtuosen Einsatzes von Videoprojektionen. Dass aber diese Aufführung in einer Stadt, in der der faschistoide "Flaams Belang" seine Hochburg hat, einen besonderen politischen Unterton hat, kann das Gastspiel in Avignon nicht vermitteln. Ähnlich ergeht es dem Polen Krystof Warlikowski, dessen in den 80er Jahren in den USA spielende "Angels in America" über Homosexualität und Aids im rechten, katholischen Polen eine andere Brisanz hat, als in der laizistischen "Grande Nation". Aber: Die beiden großen Gastspiele aus Warschau und Antwerpen führen den Franzosen ein Theater vor Augen, das mit exzellenten Schauspielern und großer Regie die Bühne zu einem politischen Ort macht.
Den Franzosen gelingt dies in Avignon nur mit den beiden Inszenierungen von zwei Regisseuren der 68er Generation. Ansonsten tut sich beim Sommerfestival zwischen den auf hohem Niveau geführten öffentlichen Debatten, im Théâtre des Idées - dem Theater der Ideen - und dem faden Geschehen auf der französischen Bühne eine erschreckende geistige Lücke auf. Dem ungeachtet wächst das Publikum zahlenmäßig immer mehr an, es bleibt auf der Suche nach Haltungen, Positionen und Denkansätzen.
"Das Stück hat ein Geheimnis, und deshalb interessiert es so viele Regisseure: Es ist ein Stück über das menschliche Verhalten; aber es benennt seinen Gegenstand nicht. Alle wissen, wovon Timon von Athen, Richard der Dritte oder Macbeth handeln. Beim König Lear ist das sehr schwer zu sagen; er geht über den reinen Plot weit hinaus, denn der ist so unkompliziert wie ein Kindermärchen. Mir kommt es so vor, als ob es Shakespeare hier mehr um den Sinn und die Sinnlichkeit gegangen wäre, als um den Verstand. Er spricht den Zuschauer ganz privat an, aber nicht unbedingt dessen Intelligenz."
Sivadier erschließt im ersten Teil viel heitere Erkenntnis, wenn sich aber mit der von einem schräg ansteigenden Holzpodest gebildeten Bühne auch Lears Welt auflöst, und wenn Shakespeares existentieller Schmerz zu verkörpern ist, fehlt der Aufführung noch das richtige darstellerische Register, und dem jungen Hauptdarsteller die Erfahrung des biologischen Zerfalls. Trotzdem: Hier wird Theater gespielt in der Papstpalastliga.
Neben diesem schönen Lear war die zweite Festivalwoche von Arbeiten geprägt, die anhand berühmter Literatur den zeitgenössischen Stoff des Politischen zu fassen versuchten. Das war nach den reihenweise gescheiterten Ansätzen der jungen französischen "Autoren-Regisseure" und ihrer in belanglos privaten Haltungen stecken gebliebenen Aufführungen für das Festival allerdings auch dringend notwendig. Wiederum eine der großen Shakespearefiguren macht sich Peter Verhelsts Stück über Richard den Dritten zum Gegenstand, das Ludovic Lagarde im Karmeliterkloster inszeniert hat.
Die Stimmen der Akteure kommen, zum Teil zu Monstersounds aufgemotzt, aus Lautsprechern, eine elektrische Gitarre begleitet die Reden eines Richard den Dritten im bunten Seidenanzug, einer smarte Figur des Show-Biz, der das Zeitalter einer neuen, aseptischen, einer sauberen Welt beschwört.
"Im Zentrum meiner Arbeit steht diese spezielle Mischung aus archaischen Elementen, religiösem Fundamentalismus und modernem Denken. Was ist die Triebfeder für diesen Hygiene-Wahn der westlichen Welt. Was soll dieses neue Reinheitsstreben und diese ins extreme gesteigerte neue Bürgerlichkeit, mit ihrem Draht zur Wallstreet. Dahinter stecken ganz alte Triebe und eine ganz alte Barbarei, die sich nicht wirklich von der unterscheidet, die man derzeit als archaisch brandmarkt."
Dieser "Bobo-Richard", dieser rücklichtslose Top-Politiker der neuen bürgerlichen Rechten hat zweifellos etwas von Nicolas Sarkozy, aber nichts mehr von der Faszination der Shakespeare-Figur, die den Zuschauer doch immer mit der Frage konfrontierte, was an dem monströsen Verhalten fasziniert und welche dunkle Verführung von dessen mörderischer Brutalität ausgeht.
Wirkungssicher bei der Inszenierung des Dämonischen ist Guy Cassiers, der seinerseits das Stück eines anderen bekannten flämischen Autors realisierte. Tom Lanoyes "Mephisto for ever" ist eine Dramatisierung des Romans von Klaus Mann und der neue Direktor des Toneelhuis in Antwerpen, Guy Cassiers inszeniert das Stück mithilfe eines virtuosen Einsatzes von Videoprojektionen. Dass aber diese Aufführung in einer Stadt, in der der faschistoide "Flaams Belang" seine Hochburg hat, einen besonderen politischen Unterton hat, kann das Gastspiel in Avignon nicht vermitteln. Ähnlich ergeht es dem Polen Krystof Warlikowski, dessen in den 80er Jahren in den USA spielende "Angels in America" über Homosexualität und Aids im rechten, katholischen Polen eine andere Brisanz hat, als in der laizistischen "Grande Nation". Aber: Die beiden großen Gastspiele aus Warschau und Antwerpen führen den Franzosen ein Theater vor Augen, das mit exzellenten Schauspielern und großer Regie die Bühne zu einem politischen Ort macht.
Den Franzosen gelingt dies in Avignon nur mit den beiden Inszenierungen von zwei Regisseuren der 68er Generation. Ansonsten tut sich beim Sommerfestival zwischen den auf hohem Niveau geführten öffentlichen Debatten, im Théâtre des Idées - dem Theater der Ideen - und dem faden Geschehen auf der französischen Bühne eine erschreckende geistige Lücke auf. Dem ungeachtet wächst das Publikum zahlenmäßig immer mehr an, es bleibt auf der Suche nach Haltungen, Positionen und Denkansätzen.