Stefan Heinlein: Die Nervosität war in Wiesbaden in den letzten Tagen bereits mit Händen zu greifen. Trotz der klaren Rückendeckung der Parteitage für die Pläne von Andrea Ypsilanti, tobte hinter den Kulissen ein heftiger Meinungsstreit bei den Sozialdemokraten. Heute Abend sollten in einem letzten Probelauf noch einmal die Reihen der Genossen geschlossen werden, doch dazu kommt es nun nicht mehr. In rund einer halben Stunde wollen vier SPD-Fraktionsmitglieder erläutern, warum sie ihre Parteivorsitzende morgen nicht zur neuen hessischen Ministerpräsidentin wählen wollen.
Am Telefon begrüße ich nun den Politikwissenschaftler Professor Werner Patzelt aus Dresden. Guten Tag!
Werner Patzelt: Guten Tag!
Heinlein: Was ist Ihre Einschätzung? Warum ist das Experiment in Hessen auf den letzten Metern doch noch gescheitert?
Patzelt: Es gab ohnehin schon großes Unbehagen, insbesondere in den Reihen der SPD mit dem ganzen Kurs. Und als der Koalitionsvertrag dann auch noch offenlegte, wo überall die SPD nachzugeben hatte und welche wirtschaftlichen Konsequenzen auf Hessen mit dem Koalitionsvertrag wohl zukämen, haben möglicherweise in sich selbst verstärkenden Prozessen die jetzt vier aus der Fraktion austreten wollenden sich gesagt, wenn man schon die ganze Richtung für falsch hält, dann würde es doch die Pflicht eines Abgeordneten auch gebieten, das Einschlagen dieses Weges zu verhindern. Infolgedessen ist das ein reinigendes Gewitter und man wird sehen, was nach dem Gewitter in Hessen passiert.
Heinlein: Es sind aus Ihrer Sicht tatsächlich inhaltliche Motive, die die Genossen dazu bewogen haben, Nein zu sagen, oder ist es die grundsätzliche Abneigung, die ganze Richtung stimmt nicht, rot/grünes Minderheitskabinett unter Tolerierung der Linken?
Patzelt: Wenn einem die ganze politische Richtung nicht passt, ist das natürlich auch ein inhaltlicher Grund, denn rot/grün stand eben unter Duldung von links für eine bestimmte inhaltliche Richtung. Nur braucht es dann auch konkret plausibilisierbare Argumente, um dieser Entwicklung in den Weg zu treten. Ansonsten ist es für Politik ohnehin typisch, dass sich Sachliches mit Persönlichem auf das intensivste mischt, und an dieser Stelle werden Walter und Metzger und vielleicht die zwei anderen auch noch einige Rechnungen offen gehabt haben.
Heinlein: Ist Roland Koch der große Gewinner dieser Entwicklung? Er kann im Amt bleiben?
Patzelt: Roland Koch ist eindeutig der Gewinner dieser Entwicklung, denn das, was die nun verhinderten Koalitionspartner einte, war ja die Losung "Koch muss weg". Sie hatten ja im Grunde in erster Linie ein negatives Ziel und kein so sie selbst überzeugendes konstruktives Gestaltungsziel.
Vieles wird nun davon abhängen, wie Roland Koch mit diesem, ihm ohne sein Zutun in den Schoß gefallenen Sieg, umgeht. Eigentlich wäre er gut beraten, mit der Großmut des Sieges aufzutreten, den Grünen Koalitionsgespräche anzubieten, wohl wissend, dass sie zu keinem Ergebnis führen, und dann auf eine Selbstauflösung des Landtages herbeizuwirken. Dann könnte er sogar daran denken, sich in den Wahlen noch einmal zu stellen, wenn er sich nämlich als bußfertig in Bezug auf die schlechte Innenpolitik der letzten Wahlperiode, bußfertig in Bezug auf Fehlgriffe im letzten Landtagswahlkampf gibt und um eine weitere Chance bittet.
Heinlein: Rechnen Sie damit, dass er tatsächlich diesen Weg gehen wird?
Patzelt: Es würde mich nicht wundern, wenn er diesen Weg ginge, denn er ist jemand, der den politischen Erfolg liebt und seinetwillen auch ihn persönlich schmerzende Lernprozesse gewiss nicht scheut.
Heinlein: Blicken wir über Hessen hinaus auf die bundespolitischen Konsequenzen dieser Entwicklung. Ist das rot/rot/grüne Experiment damit endgültig zu den Akten gelegt, zumindest für die kommenden Jahre, und in anderen Bundesländern?
Patzelt: Ich will es anders formulieren. Ein Pyrrhussieg ist ein Sieg, wo man im Grunde eine Niederlage erleidet. Der Pyrrhussieg von Frau Ypsilanti bei den Parteitagen, welche den Koalitionsvertrag akzeptierten, wäre zu einer ganz großen Niederlage der SPD auf Bundesebene geworden. Und weil nun Frau Ypsilanti doch in Hessen verloren hat, geht auch diese große Niederlage an der SPD einstweilen spurlos vorüber. Sie hat freilich (die SPD-Spitze) in der Vergangenheit dieses Liebäugeln mit Rot-Grün und mit einer Duldung durch die Linke geduldet, na gerade gebilligt, in manchen Teilen auch begünstigt, und das wird der Wähler nicht aus der Erinnerung verlieren, wenn es im Bundestagswahlkampf wieder die üblichen Schwüre zu hören gibt, man werde auf keinen Fall mit der Linken. Andererseits muss man auch sagen, dass in der ganzen Entwicklungsrichtung es liegt, dass die SPD bundesweit und auch in den Ländern mit der Linken zusammengeht, denn einesteils ist die bundesweite Linke ja Fleisch vom Fleisch der SPD, andernteils kooperiert die SPD in den neuen Bundesländern seit langer Zeit sehr intensiv mit der Linken, so dass es überhaupt keinen Grund gibt, kategorisch eine solche Zusammenarbeit auszuschließen. Nur käme sie derzeit sehr ungelogen und dass das hessische Experiment nun gescheitert zu sein scheint, dürfte der SPD-Spitze für den Bundestagswahlkampf sehr hilfreich sein.
Heinlein: Ist die SPD insgesamt aber noch nicht reif für eine Zusammenarbeit mit der Linkspartei, gerade im Westen, gerade auf Bundesebene auch?
Patzelt: Mir scheint, dass die beiden Partner für eine gedeihliche Zusammenarbeit noch nicht reif sind und dass die Großwetterlage nicht danach ist. Nach der Großwetterlage kommt es ja nun genau darauf an, dass von der Agenda 2010 und den damit verbundenen schmerzhaften Reformen Angestoßene zu Ende zu führen und seine Früchte tragen zu lassen, und nicht darauf, das mühsam Errichtete wieder einzureißen. Das heißt, sobald sich Deutschland wieder einmal in einer guten wirtschaftlichen Situation befinden sollte, ist die Zeit gekommen, die rot/rot/grüne Option zu verwirklichen.
Heinlein: Heide Simonis hat ihre politische Arbeit seinerzeit beendet, nachdem sie in Schleswig-Holstein gescheitert war. Ist Andrea Ypsilanti ebenso ein für alle Mal politisch erledigt, oder kann sie eine Renaissance erleben?
Patzelt: Prognosen über die Zukunft sind der Natur der Sache nach schwierig, aber mir mag scheinen, dass die hessische SPD es wohl weiterhin nicht mit Frau Ypsilanti versuchen wird. Sie hat in einer zwar taktisch plausiblen, aber in den großen Zügen dann doch sehr fragwürdigen Weise die hessische SPD zweimal in ein Unternehmen höchst ungewissen Ausgangs hineingelockt, in ein politisches Glücksspiel, gleichsam in hessisches Roulette, und hat die SPD auf diese Weise schwer beschädigt. Folglich wird die SPD gut daran tun, einen Neuanfang ohne sie zu beginnen. Ob sie dann in einigen Jahren in gleich welcher Funktion wiederkommt, das kann heute ganz dahingestellt sein.
Heinlein: Welche anderen Optionen hätte denn Andrea Ypsilanti in Hessen gehabt, um dieses Experiment nicht wagen zu müssen?
Patzelt: Frau Ypsilanti war gleichsam Gefangene ihrer Situationsdefinition am Wahlabend, die auch lange Zeit richtig zu sein schien, nämlich Koch ist abgewählt und sie hat die Mehrheit für eine neue rot/grüne, von der Linken tolerierte Regierung. Von dieser damaligen Situationsdefinition ist sie im Grunde niemals Weg gekommen. Sie hat nicht akzeptiert, dass es eben doch nicht gelungen ist, Koch abzuwählen, und sie war in dieser Sackgasse bis heute befangen. Folglich wäre ihr als Alternative nur ein rechtzeitiger Lernprozess, ein rechtzeitiger Umdenkungsprozess geblieben, den sie dann auch hätte öffentlich vermitteln müssen, dass sie gleichwohl auf eine Koalition mit Koch zugesteuert wäre. Das war ihr aber weder seelisch, noch in ihrer Rolle als Führerin einer gegen die CDU eingestellten Partei zuzumuten.
Heinlein: Der Machtwechsel in Hessen ist geplatzt. Dazu heute Mittag hier im Deutschlandfunk der Politikwissenschaftler Professor Werner Patzelt aus Dresden. Ganz herzlichen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.
Patzelt: Auf Wiederhören.
Am Telefon begrüße ich nun den Politikwissenschaftler Professor Werner Patzelt aus Dresden. Guten Tag!
Werner Patzelt: Guten Tag!
Heinlein: Was ist Ihre Einschätzung? Warum ist das Experiment in Hessen auf den letzten Metern doch noch gescheitert?
Patzelt: Es gab ohnehin schon großes Unbehagen, insbesondere in den Reihen der SPD mit dem ganzen Kurs. Und als der Koalitionsvertrag dann auch noch offenlegte, wo überall die SPD nachzugeben hatte und welche wirtschaftlichen Konsequenzen auf Hessen mit dem Koalitionsvertrag wohl zukämen, haben möglicherweise in sich selbst verstärkenden Prozessen die jetzt vier aus der Fraktion austreten wollenden sich gesagt, wenn man schon die ganze Richtung für falsch hält, dann würde es doch die Pflicht eines Abgeordneten auch gebieten, das Einschlagen dieses Weges zu verhindern. Infolgedessen ist das ein reinigendes Gewitter und man wird sehen, was nach dem Gewitter in Hessen passiert.
Heinlein: Es sind aus Ihrer Sicht tatsächlich inhaltliche Motive, die die Genossen dazu bewogen haben, Nein zu sagen, oder ist es die grundsätzliche Abneigung, die ganze Richtung stimmt nicht, rot/grünes Minderheitskabinett unter Tolerierung der Linken?
Patzelt: Wenn einem die ganze politische Richtung nicht passt, ist das natürlich auch ein inhaltlicher Grund, denn rot/grün stand eben unter Duldung von links für eine bestimmte inhaltliche Richtung. Nur braucht es dann auch konkret plausibilisierbare Argumente, um dieser Entwicklung in den Weg zu treten. Ansonsten ist es für Politik ohnehin typisch, dass sich Sachliches mit Persönlichem auf das intensivste mischt, und an dieser Stelle werden Walter und Metzger und vielleicht die zwei anderen auch noch einige Rechnungen offen gehabt haben.
Heinlein: Ist Roland Koch der große Gewinner dieser Entwicklung? Er kann im Amt bleiben?
Patzelt: Roland Koch ist eindeutig der Gewinner dieser Entwicklung, denn das, was die nun verhinderten Koalitionspartner einte, war ja die Losung "Koch muss weg". Sie hatten ja im Grunde in erster Linie ein negatives Ziel und kein so sie selbst überzeugendes konstruktives Gestaltungsziel.
Vieles wird nun davon abhängen, wie Roland Koch mit diesem, ihm ohne sein Zutun in den Schoß gefallenen Sieg, umgeht. Eigentlich wäre er gut beraten, mit der Großmut des Sieges aufzutreten, den Grünen Koalitionsgespräche anzubieten, wohl wissend, dass sie zu keinem Ergebnis führen, und dann auf eine Selbstauflösung des Landtages herbeizuwirken. Dann könnte er sogar daran denken, sich in den Wahlen noch einmal zu stellen, wenn er sich nämlich als bußfertig in Bezug auf die schlechte Innenpolitik der letzten Wahlperiode, bußfertig in Bezug auf Fehlgriffe im letzten Landtagswahlkampf gibt und um eine weitere Chance bittet.
Heinlein: Rechnen Sie damit, dass er tatsächlich diesen Weg gehen wird?
Patzelt: Es würde mich nicht wundern, wenn er diesen Weg ginge, denn er ist jemand, der den politischen Erfolg liebt und seinetwillen auch ihn persönlich schmerzende Lernprozesse gewiss nicht scheut.
Heinlein: Blicken wir über Hessen hinaus auf die bundespolitischen Konsequenzen dieser Entwicklung. Ist das rot/rot/grüne Experiment damit endgültig zu den Akten gelegt, zumindest für die kommenden Jahre, und in anderen Bundesländern?
Patzelt: Ich will es anders formulieren. Ein Pyrrhussieg ist ein Sieg, wo man im Grunde eine Niederlage erleidet. Der Pyrrhussieg von Frau Ypsilanti bei den Parteitagen, welche den Koalitionsvertrag akzeptierten, wäre zu einer ganz großen Niederlage der SPD auf Bundesebene geworden. Und weil nun Frau Ypsilanti doch in Hessen verloren hat, geht auch diese große Niederlage an der SPD einstweilen spurlos vorüber. Sie hat freilich (die SPD-Spitze) in der Vergangenheit dieses Liebäugeln mit Rot-Grün und mit einer Duldung durch die Linke geduldet, na gerade gebilligt, in manchen Teilen auch begünstigt, und das wird der Wähler nicht aus der Erinnerung verlieren, wenn es im Bundestagswahlkampf wieder die üblichen Schwüre zu hören gibt, man werde auf keinen Fall mit der Linken. Andererseits muss man auch sagen, dass in der ganzen Entwicklungsrichtung es liegt, dass die SPD bundesweit und auch in den Ländern mit der Linken zusammengeht, denn einesteils ist die bundesweite Linke ja Fleisch vom Fleisch der SPD, andernteils kooperiert die SPD in den neuen Bundesländern seit langer Zeit sehr intensiv mit der Linken, so dass es überhaupt keinen Grund gibt, kategorisch eine solche Zusammenarbeit auszuschließen. Nur käme sie derzeit sehr ungelogen und dass das hessische Experiment nun gescheitert zu sein scheint, dürfte der SPD-Spitze für den Bundestagswahlkampf sehr hilfreich sein.
Heinlein: Ist die SPD insgesamt aber noch nicht reif für eine Zusammenarbeit mit der Linkspartei, gerade im Westen, gerade auf Bundesebene auch?
Patzelt: Mir scheint, dass die beiden Partner für eine gedeihliche Zusammenarbeit noch nicht reif sind und dass die Großwetterlage nicht danach ist. Nach der Großwetterlage kommt es ja nun genau darauf an, dass von der Agenda 2010 und den damit verbundenen schmerzhaften Reformen Angestoßene zu Ende zu führen und seine Früchte tragen zu lassen, und nicht darauf, das mühsam Errichtete wieder einzureißen. Das heißt, sobald sich Deutschland wieder einmal in einer guten wirtschaftlichen Situation befinden sollte, ist die Zeit gekommen, die rot/rot/grüne Option zu verwirklichen.
Heinlein: Heide Simonis hat ihre politische Arbeit seinerzeit beendet, nachdem sie in Schleswig-Holstein gescheitert war. Ist Andrea Ypsilanti ebenso ein für alle Mal politisch erledigt, oder kann sie eine Renaissance erleben?
Patzelt: Prognosen über die Zukunft sind der Natur der Sache nach schwierig, aber mir mag scheinen, dass die hessische SPD es wohl weiterhin nicht mit Frau Ypsilanti versuchen wird. Sie hat in einer zwar taktisch plausiblen, aber in den großen Zügen dann doch sehr fragwürdigen Weise die hessische SPD zweimal in ein Unternehmen höchst ungewissen Ausgangs hineingelockt, in ein politisches Glücksspiel, gleichsam in hessisches Roulette, und hat die SPD auf diese Weise schwer beschädigt. Folglich wird die SPD gut daran tun, einen Neuanfang ohne sie zu beginnen. Ob sie dann in einigen Jahren in gleich welcher Funktion wiederkommt, das kann heute ganz dahingestellt sein.
Heinlein: Welche anderen Optionen hätte denn Andrea Ypsilanti in Hessen gehabt, um dieses Experiment nicht wagen zu müssen?
Patzelt: Frau Ypsilanti war gleichsam Gefangene ihrer Situationsdefinition am Wahlabend, die auch lange Zeit richtig zu sein schien, nämlich Koch ist abgewählt und sie hat die Mehrheit für eine neue rot/grüne, von der Linken tolerierte Regierung. Von dieser damaligen Situationsdefinition ist sie im Grunde niemals Weg gekommen. Sie hat nicht akzeptiert, dass es eben doch nicht gelungen ist, Koch abzuwählen, und sie war in dieser Sackgasse bis heute befangen. Folglich wäre ihr als Alternative nur ein rechtzeitiger Lernprozess, ein rechtzeitiger Umdenkungsprozess geblieben, den sie dann auch hätte öffentlich vermitteln müssen, dass sie gleichwohl auf eine Koalition mit Koch zugesteuert wäre. Das war ihr aber weder seelisch, noch in ihrer Rolle als Führerin einer gegen die CDU eingestellten Partei zuzumuten.
Heinlein: Der Machtwechsel in Hessen ist geplatzt. Dazu heute Mittag hier im Deutschlandfunk der Politikwissenschaftler Professor Werner Patzelt aus Dresden. Ganz herzlichen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.
Patzelt: Auf Wiederhören.
