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Rolf Pohl: Feindbild Frau. Männliche Sexualität, Gewalt und die Abwehr des Weiblichen

Mit männlicher Gewalt und der Abwehr des Weiblichen befasst sich eine gerade erst erschienene wissenschaftliche Studie. Das Buch möchte ich Ihnen heute Abend zu Beginn vorstellen. Dann beschäftigen wir uns hier mit der Legitimität von zivilem Ungehorsam anhand eines neuen Buches aus Frankreich. Mit dem so genannten Unabomber, einem Mathematiker aus den USA, der zum Attentäter wurde, setzen sich Buch und Film mit dem Titel "Das Netz" auseinander. Und zum Schluss stellen wir Ihnen eine Handreichung zum besseren Verständnis von allerhand Kultur-Theorien der vergangenen 50 Jahre vor: die Theorie-Apotheke.

Von Hans-Martin Lohmann | 21.02.2005
    In diesen Tagen werden französische Soldaten beschuldigt, in Ruanda an Vergewaltigungen und Misshandlungen beteiligt gewesen zu sein. Sexuelle Gewalt ist männlich, über diesen Satz kann sicher schnell Einigkeit erzielt werden. Woran aber liegt es, dass selbst in sich für zivilisiert haltenden Gesellschaften Frauen in so großem Maße Opfer männlicher Gewalt, von Vergewaltigungen und anderen Misshandlungen werden? Dass Massenvergewaltigungen und sexuelle Misshandlung zum soldatischen Waffenarsenal bis in die heutige Zeit gehören? Wo liegt der Ursprung dieser geschlechtsbezogenen Gewalt? Der hannoversche Sozialpsychologe Rolf Pohl hat sich seit Jahren mit diesen Fragen befasst und darüber nun eine umfangreiche Studie veröffentlicht. Der sexuell motivierten Gewalt von Männern an Frauen, so seine These, läge eine ambivalente bis feindselige Einstellung gegenüber Frauen zugrunde, die bei fast allen Männern in männlich dominierten Gesellschaften mit einem Zwang zur Heterosexualität nachweisbar sei. Sein Buch heißt deshalb nicht zufällig "Feindbild Frau". Und Hans-Martin Lohmann hat es für uns gelesen.

    Vor ein paar Jahren veröffentlichte der angesehene israelische Militärhistoriker Martin van Creveld ein Buch unter dem Titel "Das bevorzugte Geschlecht". Mit einigem intellektuellen Aufwand ging es ihm darin um den Nachweis, dass entgegen einer ziemlich verbreiteten Meinung die Frauen die wahren Profiteure der modernen gesellschaftlichen Entwicklung seien und dass die Männer wiederum deren Hauptkosten und -lasten zu tragen hätten. In eine ähnliche Kerbe schlug neulich auch der Schriftsteller Hans Christoph Buch, der in der Zeitung Die Welt das neue Matriarchat im Kulturbetrieb beklagte, das sich, zumindest in den westlichen Gesellschaften, immer neue Räume erobere und männliche "Werte" erfolgreich in die Defensive zwinge. Buch schreibt:

    Die Verdrängung des auf Härte und Aggressivität beruhenden männlichen Über-Ichs durch weibliche Werte wie Konsens und Kompromiss ist auch im Kulturbetrieb zu beobachten. Wellness heißt das Modewort dafür.

    Folgt man den wortreichen Klagen der zitierten Autoren, befinden sich die Frauen unaufhaltsam auf dem Vormarsch und die Männer auf dem ungeordneten Rückzug. Aber kann man dieses Lamento um die symbolische und reale Entmachtung der Männer wirklich ernst nehmen? In seiner soeben erschienenen umfangreichen Untersuchung zum Thema Feindbild Frau verweist der hannoversche Sozialpsychologe Rolf Pohl derlei Gerede ins Reich der Fabel, indem er drastisch daran erinnert, dass es nach wie vor überwiegend Frauen sind, die unter männlicher Dominanz, insbesondere männlicher Gewalt, zu leiden haben – und zwar unabhängig davon, unter welchen kulturellen und sozialen Verhältnissen sie leben. Zwar macht es einen Unterschied, ob eine Frau in einer streng islamisch geprägten oder in einer liberalen westlichen Gesellschaft lebt, aber in einer Hinsicht besteht Gleichheit: Dort wie hier sind Frauen primär Opfer, nicht Akteure von Gewalt. Letztere, so scheint es, ist nach wie vor ein männliches "Privileg". Pohl geht es in seinem Buch in erster Linie um sexuelle Gewalt gegen Frauen – ein ubiquitäres Phänomen, wie alle einschlägigen Untersuchungen und Statistiken dokumentieren:

    Nach dem Weltbevölkerungsbericht der UNO aus dem Jahre 2ooo wird weltweit jede dritte, nach einer Untersuchung der Weltbank von 2oo1 jede fünfte Frau mindestens einmal in ihrem Leben von Männern geschlagen, vergewaltigt oder auf andere Weise körperlich oder sexuell misshandelt. Rund einhundertdreißig Millionen Frauen sind, vor allem in Afrika und in Westasien, das Opfer von Genitalverstümmelungen. Vier Millionen Frauen und Mädchen werden jedes Jahr in Zwangsehen, Prostitution oder in die Sklaverei verkauft... In Deutschland werden nach einer repräsentativen Erhebung im Auftrag des Bundesfamilienministeriums aus dem Jahre 2oo4 siebenunddreißig Prozent der Frauen Opfer körperlicher Misshandlungen und dreizehn Prozent ... Opfer sexueller Gewalt durch Vergewaltigungen oder gewaltsame Nötigungen zu anderen sexuellen Handlungen. Unter den befragten türkischen und osteuropäischen Migrantinnen in Deutschland ergaben sich noch weitaus höhere Prozentzahlen.

    Soviel zur Situation der Frauen und zur Berechtigung männlicher Klage und Empörung. Für Pohl steht indes ein Punkt zur Debatte, der in den einschlägigen Erörterungen - sei’s der feministischen Literatur zum Thema, sei’s der Männerliteratur - in der Regel unterbelichtet oder sogar ganz ausgeblendet bleibt. Unter dem Einfluss der so genannten Genderforschung, die das biologische Geschlecht entmaterialisiert und entsexualisiert, indem sie es als reines soziales Konstrukt und als "diskursiv auflösbaren Effekt der Macht" fasst, habe sich die Diskussion um die von Männern ausgeübte sexuelle Gewalt gewissermaßen verharmlost. Im Genderzusammenhang wird sexuelle Gewalt gegen Frauen nicht mehr als intrinsisches sexuelles Motiv von Männern begriffen, die auf der Suche nach sexueller Lust sind, sondern als Ausdruck eines allgemeinen Machtstrebens über Frauen. Wenn dem aber so ist, dann müsste sich dieses Machtstreben – und dies wäre in der Tat die logische Konsequenz – bei genügender diskursiver Aufklärung auch eindämmen und schließlich ganz abschaffen lassen.

    Dem setzt Pohl einen, wie er selbstironisch anmerkt, "unmodernen" und "veralteten" Standpunkt entgegen, der sich auf die trieb- und sexualtheoretischen Formulierungen Sigmund Freuds beruft. Nicht dass Freuds Vorstellungen über das Geschlechterverhältnis besonders fortschrittlich und frauenfreundlich gewesen wären – eher trifft das Gegenteil zu. Aber, schreibt der Autor,

    gerade dieser normative androzentristische Charakter vieler sexualtheoretischer Annahmen Freuds erlaubt einen tiefen Einblick in die unbewusste Binnendimension männlicher Erlebnisweisen.

    Im ersten Teil seines Buches liefert Pohl eine Skizze zur kulturellen Konstruktion von Männlichkeit. Männer, so lässt sich das zusammengetragene ethnologische Material und die wissenschaftliche Literatur darüber interpretieren, haben den starken unbewussten Wunsch, ihre ursprüngliche sexuelle Abhängigkeit von den Frauen zu verleugnen und sich, etwa im Akt männerbündischer Zusammenrottung und rein männlicher Initiationsrituale, selbst neu zu erschaffen. Nach diesem Modell erzeugt sich der Mann selbst als Mann und vermag dergestalt eine Autonomie für sich zu reklamieren, die er real nicht hat. Solche männliche Selbstüberhebung führt laut Freud zum

    Abscheu vor dem verstümmelten Geschlecht (der Frau) oder zur triumphierenden Geringschätzung desselben.

    Pohl zufolge garantiert die virile Selbsterzeugung des männlichen Geschlechts, die sich in allen von Männern dominierten Kulturen beobachten lässt, zur dauerhaften Errichtung und Festigung von Herrschafts- und Gewaltverhältnissen, deren Opfer stets und in erster Linie die Frauen sind.

    Im zweiten Teil, dem eigentlichen Kernstück seiner Untersuchung, geht Pohl der Frage nach, wie das "Männlichkeitsdilemma", also die basale Erfahrung von Abhängigkeit und Angewiesenheit einerseits und Autonomiewunsch und Abhängigkeitsangst andererseits, produziert wird. Pohl zufolge – und das kann hier nur ganz summarisch dargestellt werden – konstituieren sich die Psychosexualität und die Geschlechtsidentität des Mannes zum einen unter dem Erfahrungsdruck von Bindung, Trennung und Verlust in Bezug auf die primäre Mutter als Liebes- und Sexualobjekt, zum andern unter dem kulturell erzeugten Zwang, sich als Angehöriger des hegemonialen Geschlechts zu beweisen und durchzusetzen. Pohls freudianische Lesart des Problems lässt keinen Zweifel daran, dass es für das männliche Kind von Beginn an die Frau ist, die seine Erregung und sein Begehren auslöst, was nichts anderes heißt, als dass es von diesem Objekt total abhängig ist – auch insofern, als es von diesem Objekt jederzeit enttäuscht werden kann. Um diesen Konflikt zu schlichten, unternimmt die hegemoniale Männlichkeit den, allerdings untauglichen, Versuch, ihre Abhängigkeit vom Objekt des sexuellen Begehrens zu verleugnen, um dergestalt ihre eigene Autonomie unter Beweis zu stellen – um den Preis der Aufgabe des Liebesobjekts. Freilich ist diese Aufgabe in letzter Konsequenz unmöglich bzw. sie kann nur durch die Herabsetzung, Dehumanisierung oder gar Zerstörung des Objekts bewerkstelligt werden. Zusammenfassend schreibt Pohl:

    Prinzipiell ist daher in der ambivalenten bis feindseligen Einstellung des Mannes zu seinen weiblichen Sexualobjekten die Idee der Vernichtung des Objekts und seiner Surrogate unbewusst immer enthalten... Eine der Hauptquellen für Frauenhass wäre dann der Hass auf das eigene (sexuelle) Begehren, für das die Frau verantwortlich gemacht und deshalb bestraft wird.

    Wenn die Konstitution der männlichen Geschlechtsidentität beim kulturell hegemonialen Geschlecht Angst vor der weiblichen Sexualität erzeugt, wird der Mann nach Gelegenheiten suchen, diese Angst zu bewältigen und in ihn befriedigende Formen zu transformieren. Diesem Thema geht der Autor im dritten Teil seines Buches nach, der von Fremdenhass, Gewaltbereitschaft und politischer Paranoia bei männlichen Jugendlichen, von männlichen Perversionen und destruktiver Sexualität sowie von Militär und Krieg handelt. Das epidemische Auftreten von Massenvergewaltigungen in Kriegssituationen ist ein besonders scheußliches Kapitel, in dem sich Angst und Hass gegenüber Frauen mit jenen besonderen Bedingungen des Krieges amalgamieren, die dieser als gezielte und gewollte Aggressionshandlung seit jeher hervorbringt. Immerhin ist Pohl in diesem Zusammenhang differenziert genug zu konzedieren, dass die Gleichungen Mann = Krieg und Frau = Frieden so nicht aufgehen. Frauen sind ebenso wenig prinzipiell friedfertig wie Männer umgekehrt prinzipiell gewaltbereit sind. Allerdings kann man schwerlich übersehen, dass die Bereitschaft zur Gewalt, insbesondere zur sexuellen Gewalt, unter Männern weitaus häufiger anzutreffen ist als beim anderen Geschlecht. Wäre es nicht so, brauchte man ein Buch wie dieses nicht.

    Pohls Studie ist alles andere als leichte Lesekost. Das liegt natürlich zum einen am Thema selbst. Zum andern aber auch daran, dass der Autor dem Leser manchen Stolperstein in den Weg legt. Im Dschungel der von Pohl zitierten und kritisierten Literatur und angesichts einer angestrengten Fachterminologie, die zuweilen eher verdunkelnd als erhellend wirkt, ist es nicht immer leicht, den Durchblick zu behalten. Manches hätte man sich klarer, weniger gewunden und umständlich formuliert gewünscht.

    Zu den unbestreitbaren Vorzügen und Verdiensten des Buches gehört indes, dass es gegen den gendertheoretischen Mainstream die Rolle des Sexuellen betont und damit einen dezidiert orthodoxen freudianischen Standpunkt bezieht. Insofern ist sein Buch ein lebendiges Plädoyer gegen das Veralten der Psychoanalyse. Während die Genderforschung dazu neigt, sexuelle Gewalt von Männern im Medium machtheoretischer Diskurse gleichsam verdampfen zu lassen, pocht Pohl auf das elementare Gewicht einer spezifisch zugerichteten männlichen Sexualität, ohne deren platter Naturalisierung oder Ontologisierung zu verfallen. Das Buch bewegt sich an der heiklen Schnittstelle von männlichen Triebschicksalen und gesellschaftlich-kulturellen Bedingungen, die vielfältig ineinander verwoben sind. Wenn man so will, liefert Pohl die dramatische – aber nie apologetische – Lesart einer Geschichte, die im postmodernen Rauschen der Gendertheorie nur noch als Light-Version zu erkennen ist.

    Hans-Martin Lohmann war das über Feindbild Frau - Männliche Sexualität, Gewalt und die Abwehr des Weiblichen von Rolf Pohl, erschienen im Offizin Verlag Hannover. Das Buch hat 553 Seiten und kostet 34.80 Euro.