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Rollstühle für Kinder
Bunt, integrativ und zum Mitwachsen geeignet

Einmal angepasst, begleitet ein Rollstuhl seinen Besitzer in der Regel viele Jahre lang. Bei Kindern, die einen Rollstuhl brauchen, müsste die Sitzposition aber häufig nachjustiert werden. Darum hat sich eine Dortmunder Firma auf Kinderrollstühle spezialisiert.

Von Simon Schomäcker |
    Kinder mit und ohne Behinderung
    Ein Kinder-Rollstuhl muss verstellbar sein, denn er sollte trotz schnellen Wachstums jahrelang passen. (picture alliance / dpa)
    Eine Seitenstraße in der Dortmunder Nordstadt. Dass hier die "4ma3ma" seit 1997 Rollstühle für Kinder baut, ahnt zunächst niemand. Denn der Betrieb verteilt sich auf mehrere Hinterhöfe mitten in der Wohngegend.
    Wer den Klingelknopf drückt, dem öffnet sich wie von Geisterhand ein graues Metalltor. Dahinter säumt ein Hochbeet mit künstlichem Rasen und Blumen den Gang in einen gelb gestrichenen Hof. Von dort führt eine Automatiktür in den Empfangsraum, zu Firmengründer Stephan Rosenow. Lange Jahre hat er in einem Sanitätshaus gearbeitet. Dort verkaufte er Rollstühle für Erwachsene – bis er eines späten Nachmittags alleine im Laden war, erinnert er sich:
    "Eltern standen vor der Tür mit einem Kind, das umgefallen ist. Die waren sehr verzweifelt und haben gesagt: Der geht ja auf eine integrative Schule. Jetzt müssen wir den Klassenkameraden verbieten, den Rollstuhl zu schieben."
    Zwei Prozent der Rollstuhl-Nutzer sind Kinder
    Wie sich herausstellte, war das Gestell keine Fehlkonstruktion, sondern die Sitzposition nicht richtig eingestellt. Also fertigte Stephan Rosenow ein angepasstes Sitzkissen:
    "Der Junge saß dann in einer Position, wo er die Greifreifen am Rollstuhl auch benutzen konnte und nicht einfach nur so stupsen konnte. Damit hatte ich so viel Erfolg, dass der Junge geredet hat. Das hat er an dem Abend nicht, ich dachte, er könnte gar nicht sprechen".
    Unter den Rollstuhl-Nutzern in Deutschland sind nur zwei Prozent Kinder. Deshalb kam es für Stephan Rosenow lange nicht infrage, ausgerechnet Rollstühle für sie anzubieten. Die Begegnung mit dem Jungen im Sanitätshaus hatte Rosenow aber sehr beeindruckt. So beschlossen er und zwei Kollegen, es doch einmal mit Fortbewegungshilfen für Kinder zu versuchen. Dabei konnten sich die drei ein Wortspiel nicht verkneifen. Ihr Firmenname schreibt sich vier als Zahl, "ma" als Buchstaben, drei als Zahl und noch einmal "ma" als Buchstaben, erläutert Stephan Rosenow:
    "'4ma3ma' heißt eigentlich 'Firma drei Mann'. Wir haben die Doppel-N weggelassen."
    "4ma3ma" hat eine Marktlücke entdeckt
    Bei den drei Mann blieb es nicht lange. Denn wie sich bald zeigen sollte, hatte das Unternehmen eine Marktlücke entdeckt – und der Kundenkreis reicht heute bis ins europäische Ausland. Aktuell arbeiten rund 60 Angestellte bei der "4ma3ma", 20 Prozent davon sind Menschen mit Behinderung. Die Beratungsräume des Betriebs sollen zu den kleinen Kunden passen. Sie sehen wie Spielzimmer aus: Lampen in Form von Heißluftballons hängen unter der Decke, die Wände sind farbenfroh tapeziert. Am wichtigsten ist aber: viel Platz im Raum. Denn hier sollen sich die Kinder mit ihren Rollstühlen bewegen können, erklärt Stephan Rosenow:
    "Das haben wir uns jetzt angewöhnt, dass wir das Kind bespaßen, aber sehr genau beobachten. Sodass man dann eben sieht, wo sind seine Fähigkeiten, was ist mit der Kopfkontrolle. Und das soll alles möglichst spielerisch sein".
    Im Schauraum von der "4ma3ma" stehen mehrere Hundert Kinder-Rollstühle zum Testen bereit. Nicht alle davon sind Eigenproduktionen, erklärt Stephan Rosenow:
    "Wenn ein Rollstuhl ausgetauscht werden muss, dann schaut man erstmal, ob man nicht von den vielen anderen Herstellern einen nehmen kann. Aber oft sind die nicht richtig einstellbar, wachsen nicht richtig mit. Und dann ist man gezwungen, einen eigenen Rollstuhl zu bauen".
    Der Rollstuhl sollte fünf Jahre lang passen
    Einen Kinder-Rollstuhl in Höhe, Breite und Sitzposition verstellen zu können, ist wichtig. Denn trotz schnellen Wachstums seines Benutzers sollte der Rollstuhl fünf Jahre lang passen. Stephan Rosenow und seine Mitarbeiter haben lange herumprobiert. Ihr erster Rollstuhl war aus Legosteinen gebaut – und sogar bei einem Kind in Gebrauch. Der Firmeninhaber zeigt das bunte Fortbewegungsmittel, das kaum größer ist als ein großer Gymnastikball:
    "Es ist natürlich so, dass dieses Mädchen im Kindergarten dann umringt war. Ein anderes Kind fragt nicht die Mama: "Was ist denn das?", sondern sieht, das ist aus Lego, das ist ja was zum Spielen – und möchte das auch haben. Und das ist sehr integrativ. Aber man konnte jetzt nicht viele Lego-Rollstühle bauen. Deshalb war es dann sehr schnell so, dass wir in Richtung Kohlefaser und Aluminium gegangen sind".
    Der komplette Werkstattbereich von der "4ma3ma" befindet sich auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Alle Räume sind – wie die Höfe – in einem freundlichen Gelb gestrichen. Sprüche im Ruhrgebiets-Dialekt stehen an der Wand. Stephan Rosenow grüßt freundlich seine Mitarbeiter und geht dann in den Montageraum. Hier stehen verschiedene Dosen mit Klebstoffen. Außerdem gibt es Schraubzwingen und mechanische Pressen, in denen bereits verklebte Rollstuhlteile trocknen. Rosenow erklärt:
    "Die Seitenteile werden ja laminiert. Dann werden die Konturen gefräst. Aber jetzt muss das Ganze ja verklebt werden, dafür brauchen wir die verschiedenen Klebstoffe. Aber dann hat man hinterher eine Rahmenkonstruktion, die sehr leicht ist, mit einer Materialkombination, die sonst nicht funktionieren würde. Beim Schweißen hätte man nämlich einen Schweißverzug, das hat man hier nicht".
    Rollstühle werden bemalt und beklebt
    Um den integrativen Charakter des Lego-Rollstuhls beibehalten zu können, haben sich die Mitarbeiter der "4ma3ma" einen besonderen Service ausgedacht: Sie bemalen und bekleben ihre Rollstühle mit den Lieblingsmotiven der kleinen Benutzer, zum Beispiel mit Comic- oder Zeichentrickfiguren. Zwei Millionen Euro Umsatz kann die "4ma3ma" so jährlich machen – und hat mittlerweile auch Zweigstellen in Köln und Hamburg. Ganz besonders freut Stephan Rosenow aber, dass er viele Kinder lange begleiten darf:
    "Auch wenn ich dann manchmal sage: Ach, dann muss ich die ja bald siezen. Da sagt dann die Mutter: Der ist jetzt 27. Wir haben sehr viele Leute noch bei uns, die wir als Kinder kennengelernt haben und jetzt studieren die alle. Die haben jetzt einen Rollstuhl, der meist elektrisch ist. Aber nicht so ein verrücktes Ding wie einen Lego- oder Duplo-Rollstuhl".