Freitag, 29. März 2024

Archiv

Themenreihe Mittelpunkt Mensch
Klettern mit Multipler Sklerose

Gefühlsstörungen, Lähmungen, Kraftlosigkeit – Multiple Sklerose geht mit Symptomen einher, die auf den ersten Blick eines ausschließen: sportliche Aktivität. Doch das täuscht. Gerade Bewegung wirkt sich positiv auf die Erkrankung aus, wie Martin Schmid beweist. Der Geschäftsführer des Bottroper Sportbundes ist selbst MS-Patient und klettert Wände am liebsten senkrecht hoch.

Von Mirko Smiljanic | 07.02.2017
    Martin Schmid vor einer Kletterwand.
    Martin Schmid hat im vergangenen Jahr den 11,6 Kilometer langen Weißensee in Österreich durchschwommen. Die Diagnose Multiple Sklerose erhielt er mit 40. (Deutschlandradio / Mirko Smiljanic)
    (Das Porträt als Audio-Datei zum Nachhören)
    Bottrop in Nordrhein-Westfalen, Kletterarena 79. Eine Gruppe Männer und Frauen im Alter zwischen Mitte 20 und Ende 50 steht vor 15 Meter nach oben ragenden Wänden und bereitet sich zu zweit auf Klettertouren vor.
    "Okay, ich heiße Martin, beim Klettern kann man sich nicht Siezen. Roman,weißt Du, wie man sich einbindet?"
    "Ja."
    "Wir binden uns immer mit einem doppelten Achterknoten ein. Du machst das, ich kontrolliere und dann kannst Du in die Wand."
    Martin Schmid ist Geschäftsführer des Bottroper Sportbundes und Pädagogischer Leiter des Sportbildungswerks des Landessportbundes NRW.
    "Jetzt haben wir nur das Problem, da hoch zu kommen, glaube ich. Ja, kletter erst mal ein paar Meter, dass Du Dich an die Route gewöhnst"
    Beherzt greift Roman nach den ersten Griffen, sein rechter Fuß sucht einen Tritt, auf dem er sich hochzieht.
    "Okay, achte wirklich darauf, dass Du Dich nicht mit den Händen hochziehst, dass Du immer auf Deine Füße guckst, dass Du versuchst, richtig zu stehen, als wenn Du eine Leiter hoch gehst, musst Du darauf achten, die Leiter gehst Du auch mit den Füßen hoch und nicht mit den Armen, also bitte guck darauf, dass Deine Füße richtig stehen"
    Die ersten drei Meter sind geschafft, immer gesichert von Martin Schmid, der das Sicherungsseil soweit nachzieht, dass es den Kletterer nicht stört. Fest steht er auf dem Boden, trotz seiner schlanken Statur macht er einen kraftvollen Eindruck.
    Diagnose ändert Leben abrupt
    Dabei ist das, was der heute 58-jährige macht, ihm keinesfalls in die Wiege gelegt. Alles begann vor zwölf Jahren mit einem Schock.
    "Ich habe also im Krankenhaus mit einem Bandscheibenvorfall gelegen, und die behandelnden Ärzte haben gesagt, es ist nicht nur ein Bandscheibenvorfall, es spielt noch eine andere Erkrankung, und dann habe ich die Diagnose MS erhalten."
    Multiple Sklerose mit Mitte 40 – eine Diagnose, die Martin Schmids bisheriges Leben abrupt änderte.
    "Das ist ein riesiger Schock und ich kann mich daran erinnern, dass meine Frau nach Urlaubsorten gesucht hat, wo man mit dem Rollstuhl hinfahren kann."
    Klettern trotz Krankheit
    Mittlerweile hängt Roman fünf Meter über Martin Schmid in der Wand, etwas unsicher wirkt er schon, beruhigende Worte vom Trainer:
    "Und versuch ganz viel aus den Beinen heraus zu klettern, und dafür solltest Du auch wirklich auf Deine Füße auch gucken"
    Was natürlich in einem Überhang ausgesprochen schwierig ist, genau den muss der Kletternovize jetzt überwinden.
    "Okay jetzt muss man wirklich gucken, wo sind die nächsten nicht nur Griffe, sondern vor allem, wo sind die nächsten Tritte, um gefahrlos diesen Überhang überwinden zu können."
    Touren, die Martin Schmidt schon tausendfach absolviert hat – und zwar als Multiple-Sklerose-Patient, der gemeinsam mit anderen MS-Patienten klettert.
    Bewegung und Gruppenerlebnis wirkt heilend
    "Die Leute, die zu uns kommen haben ganz unterschiedliche Handycaps, ganz viele haben MS mit ganz unterschiedlichen Ausprägungen, teilweise können sie ohne fremde Hilfe kaum noch gehen, kaum noch stehen, einige haben ihr Augenlicht verloren, andere haben motorische Einschränkungen, die teilweise sehr stark sind.
    Nach dem Klettern gehen alle mit Verbesserungen nach Hause, die Verbesserungen sind oft nicht dramatisch, aber die helfen, mit dieser Krankheit umzugehen und sich auch einfach besser zu fühlen."
    Das hat viel mit dem Gruppenerlebnis zu tun, richtig ist aber auch, dass die beim Klettern notwendigen Kreuzgriffe sich positiv auf die Entwicklung der MS auswirkt.
    Mit der richtigen Haltung zu Höchstleistungen
    Vor zwölf Jahren bekam Martin Schmid die Diagnose, dass er MS-krank ist, sieht ihm niemand an.
    "Ich führe das darauf zurück, dass ich sehr konsequent lebe, dass ich mich sehr konsequent ernähre, dass ich mich viel bewege, dass ich eine intakte Familie habe, dass ich gelernt habe, nach vorne zu schauen und nicht zurück. Ich denke, das ist ganz wichtig, dass im Kopf ganz viel passiert nach dieser Erkrankung und nach dieser Diagnose."
    Wer die richtige Einstellung gefunden hat, ist auch als MS-Patient zu Höchstleistungen fähig. Was ist schon eine Kletterhalle, warum nicht mal kraxeln in den Alpen?
    Postive Erfahrungen fördern Wohlbefinden
    "Dieses Projekt heißt "Abenteuer Aufwind" und wir möchten den Leuten ganz viel Aufwind mitgeben. Wir machen viele spektakuläre Aktionen.
    Wir haben im Sommer gemeinsam den Weissensee durchschwommen, wir waren in den Alpen zusammen, wir haben ein 24-Stunden-Mountenbike-Rennteam, wir haben eine Schwimmtrainingsgruppe."
    Spektakulär ist auch die Erfahrung für Roman, der es nach fast ganz oben geschafft hat.
    "Ich glaube, es reicht, Du kannst Dich reinsetzen und ich lass Dich ab"
    Mit den Füßen stößt sich Roman von der Wand ab und wir so zurück auf den Hallenboden gelassen."
    "Okay, sicher gelandet, alles gut."