Mittwoch, 24. April 2024

Archiv

Roma in Rumänien
Leben ohne Perspektive

Das Roma-Dorf Barbulesti in Rumänien gilt als heißes Pflaster: Dort herrscht eine hohe Arbeitslosigkeit und Kriminalität. Viele Bewohner des Ortes kennen nur einen Ausweg aus der Misere: Sie wandern nach Deutschland aus - und zwar nach Duisburg.

Von Achim Nuhr | 12.04.2015
    Eine Gruppe junger Frauen mit Kopftüchern und langen Röcken - möglicherweise Sinti und Roma aus Osteuropa - geht in Berlin über einen Bürgersteig im Stadtteil Mitte.
    Roma haben in Rumänien wenig Chancen. (picture alliance / dpa / Wolfram Steinberg)
    Nun wird mir klar: Mein Dolmetscher Nicu verhandelt gerade über unsere Gesundheit! Denn der alte Mann mit Kugelbauch und Schiebermütze mault immer verdrossener, seine Kumpels schauen kampfbereit und dieses Roma-Dorf ist ihr Revier. Dabei wussten wir schon vorher, dass Barbulesti für Fremde ein heißes Pflaster ist. Aber Nicu ist selbst Roma, setzt sich hier in Rumänien für die bedrängte Minderheit ein und wollte mir unbedingt den Problemort zeigen. Nun haben wir hier prompt selbst Probleme. Dabei sind wir erst vor drei Minuten in Barbulesti angekommen.
    Doch am Ende haben wir Glück: Der dicke Anführer zieht sich aus unserem Beifahrersitz hoch, auf den er sich zuvor selbst eingeladen hatte. Von draußen grient er uns nochmal an mit saurer Miene. Dann zieht er mit seiner Truppe ab und wir bleiben unversehrt zurück. Nicu hatte lächelnd auf ihn eingeredet, nun winkt mein Dolmetscher erleichtert ab: "Er hat immer wieder gefragt, wer wir sind und was wir hier zu suchen haben. Er und seine Kumpanen schienen da doch ein wenig skeptisch zu sein. Was genau denn unsere Pläne wären? Ich erzählte es ihm, aber er meinte immer nur: Nein, wir kennen hier niemand aus Duisburg, wir haben hier eigentlich gar keine Informationen, trollt euch besser aus unserem Dorf - je schneller, desto besser."
    Nach Duisburg ausgewandert
    Unser Plan klingt eigentlich harmlos. Bei der Duisburger Stadtverwaltung hatte mir jemand bei einer Recherche erzählt, dass die meisten rumänischen Zuwanderer aus nur einem einzigen Dorf kämen: Barbulesti, nordöstlich von Bukarest gelegen, müsse inzwischen praktisch leer stehen. Nun möchte ich in Barbulesti selbst nachschauen, ob da was dran ist. Mit dem Auto waren wir aus Bukarest aufgebrochen, und bald sah die Welt ganz anders aus: Wir kamen an ärmlichen Dörfern vorbei, in die nur noch Schotterwege führten. Viele Häuser waren von hohen Holzzäunen umstellt und wirkten abweisend.
    Nicu hatte erklärt, wie man die Dörfer der Roma von den anderen Dörfern unterscheiden kann: Bei den Roma würden nämlich fast alle Frauen und Mädchen bunte Bademäntel tragen, auch draußen auf der Straße. Ich dachte zuerst an einen Scherz, merkte aber bald, dass er Recht hatte. Schon im Vorbeifahren konnte ich es selbst erkennen: In manchen Dörfern trugen die Frauen zwar dasselbe wie in Bukarest, aber in vielen anderen tatsächlich Morgenröcke - meist in grellen Farben wie rosa, pink und hellblau, dazu zusammengerollte Badetücher auf dem Kopf. Trotz der Regenpfützen trugen viele Frauen an den Füssen Plüsch-Pantoffel. Ein exotischer Anblick. Dann kamen wir an einem eingestürzten Haus vorbei und hielten an, um zu erfahren, was passiert war. Vor der Ruine standen Frauen in Bademänteln sowie Männer in Trainingshosen und Nylon-Jacken. Von dem Haus waren nur noch zwei Wandstümpfe übriggeblieben, gelb und himmelblau gestrichen. Es schien ineinander gefallen zu sein: Denn innen stapelten sich einzelne Brocken sowie größere Mauerteile. Wir fragten nach bei einem Mann, der gleich am Rand der Ruine stand: "Na, das Haus ist eben eingestürzt. Sowas passiert hier schon mal. Schauen Sie mal: Der Schutthaufen da drüben war vor ein paar Monaten auch noch ein Häuschen. Aber zum Glück ist unser Bürgermeister ein hilfsbereiter Mensch: Sobald ein Haus einstürzt, beantragt er sogleich Sozialbeihilfe für die Betroffenen."
    Mit Entscheidungsträgern auf gutem Fuß
    Nicu musste erst überlegen, bis ihm der englische Begriff für Sozialbeihilfe einfiel. In Rumänien sei das Sozialrecht etwas schwammig, hatte er mir schon im Auto erzählt, als ich ihn auf Hilfsgelder für arme Menschen angesprochen hatte. Mit Entscheidungsträgern auf gutem Fuß zu stehen, sei wichtiger als die Gesetzeslage. Nur so würde in Rumänien eventuell etwas gehen.
    Und tatsächlich: Prompt bestätigten die Bewohner des Dorfs Sinești, dass der Bürgermeister einen guten Draht nach oben habe und deshalb Einsturz-Beihilfen - wieder so ein schwieriges Wort - mobilisieren könne. Die kämen wohl aus einem öffentlichen Fonds. Andererseits sei im Dorf fast niemand krankenversichert, weil sich das kaum jemand leisten könne. Immerhin habe es aber in der letzten Nacht keine Verletzten gegeben, als das Haus einfiel. Der Vater habe Risse im Mauerwerk bemerkt und seine Familie rechtzeitig evakuiert. Die meisten Häuser des Dorfs sind aus Lehm. Lehm ist in Rumänien zwar billig zu haben, aber eigentlich wenig geeignet für das raue, kontinentale Klima. Denn wenn es viel regnet, wird er zu weich - und dann bricht schon mal hier oder da ein Haus zusammen. Der betroffene Vater war gerade zum Bürgermeister gegangen, um seinen Beihilfe-Antrag einzureichen. Sein Nachbar meinte zum Abschied: "Was soll die Familie nur tun? Vielleicht muss sie bald unter freiem Himmel schlafen. Der Bürgermeister wird ihnen zwar die Beihilfe verschaffen, eventuell kostenloses Baumaterial. Aber ich fürchte, für einen Neubau müsste die Familie trotzdem mindestens die Hälfte der Kosten selbst aufbringen. Und das kann sie doch gar nicht schaffen. Hier hat doch niemand Geld. Für die nächste Nacht ist die Familie jetzt erst mal bei anderen Nachbarn eingezogen.
    Große Hilfsbereitschaft
    Die Hilfsbereitschaft dieser Nachbarn muss groß sein. Denn in deren Häuschen würden bald fünfzehn Leute schlafen: zwei Omas, zwei Elternpaare sowie insgesamt neun Kinder, und das auf bescheidenen fünf mal sechs Metern. Dann sind wir weiter gefahren, nach Barbulesti. Am Ortsrand begegnen wir tatsächlich als erstes einem Auto mit Duisburger Kennzeichen. Wir fuhren hinterher und winkten. Aber als das Auto endlich anhielt, wirkten die beiden Insassen unwirsch. Nein, von einer Stadt namens Duisburg hätten sie noch nie gehört und das Kennzeichen wäre bereits am Auto befestigt gewesen, als sie es in Rumänien gebraucht gekauft hatten. Diese komische Geschichte machte mich natürlich erst recht neugierig, aber Nicu hatte mich gewarnt: Neugierige Menschen könnten in Barbulesti schnell Ärger kriegen. Wer zwischen Deutschland und Rumänien im eigenen Auto pendele, gehöre zu einer kleinen Schicht wohlhabender Migranten. Und von denen könnten einige auf penetrante Fragen schon mal wütend reagieren. Dann übersetzte er nachträglich, was uns der Mann in Sinești geraten hatte, nachdem wir ihm Barbulesti als unser Fahrtziel genannt hatten: "Der Mann sagte: Da seid mal lieber nicht zu neugierig. Die Menschen dort sind so la-la. Das heißt so viel wie: Da sind auch üble Gesellen mit dabei."
    Den Rat sollten wir also besser befolgen, oder? Nicu: "Ja, wir sollten das wenigstens versuchen. Deshalb habe ich auch vorgeschlagen, dass wir diesen Mietwagen hier nehmen: Dann können wir nämlich schneller abhauen, falls es brenzlig wird. Und das könnte durchaus passieren."
    500.000 Roma in Rumänien
    Niemand weiß genau, wie viele Roma insgesamt in Rumänien leben. Grobe Schätzungen gehen von mehr als einer halben Million aus. Die Gesamtbevölkerung von aktuell 19,5 Millionen Rumänen schrumpft seit Jahren, weil jährlich etwa eine Viertelmillion Menschen das Land verlassen. So meldet zum Beispiel der Ärzteverband, dass bereits rund 7.000 von 21.000 Ärzten ausgewandert seien und mittlerweile in vielen Krankenhäusern der Betrieb zusammenzubrechen drohe. Prinzipiell könnte also auch ein rumänischer Arzt das Auto mit dem Duisburger Kennzeichen gesteuert haben, überlege ich. Doch andererseits ist Barbulesti weniger für seine Ärzte bekannt, als für Bettlerbanden: Selbst wohlmeinende Hilfswerke wie Terre des Hommes berichten, dass kriminelle Banden arme Menschen von hier nach Westeuropa schicken würden, um zu betteln. In Barbulesti sehe ich viele Menschen, die zumindest wie Bettler gekleidet sind: Trotz kaltem Wind tragen viele nur dünne Jacken und Hosen und wirken, als würden sie frieren. Der dicke Mann mit der Schiebermütze war da im Vergleich noch gut gekleidet gewesen, mit Woll-Anzug und Jacke. Er mag zu den Kriminellen gehören, die auswärtige Schnüffler lieber so schnell wie möglich aus dem Dorf jagen möchten.
    Als der Typ endlich aus unserem Blickfeld verschwindet, schaue ich in Ruhe über die Straße, auf der unser Auto steht: Neben Lehmhütten stehen grob verputzte Steinhäuschen im Stil von Schrebergarten-Hütten. Aber es sind auch mehrere neu gebaute Paläste aus Beton zu erkennen - in einem Baustil, den ich noch nie zuvor gesehen habe. Wir stehen direkt vor einem frisch verputzten, großen Fantasie-Schloss mit halbwegs gotischen Spitzgiebeln, das eine fabelhafte Hollywood-Kulisse abgäbe. Doch da kommt aus der Zufahrt ein Mann mit Hund hinaus und wir fahren lieber schnell weiter, die Dorfstraße lang. Vor einem anderen Beton-Palast steht jetzt das Auto mit dem Duisburger Kennzeichen.
    Betonpaläste mit Donnerbalken
    Weiter hinten tauchen auch schon die letzten Häuser auf. Ich bin unzufrieden: Sollten wir hier wirklich niemanden finden, der mit uns sprechen will? Immer langsamer fahren wir um die letzte Kurve. Da kommt ein Paar aus einem Haus heraus, bemerkt uns Auswärtige und schaut doch tatsächlich freundlich zu uns herüber. Das ist mal eine Abwechslung! Und hier, hinter der Kurve, können uns der Dicke und seine Bande nicht mehr sehen.
    Wir halten, und das Paar kommt zu uns herüber: Er trägt eine Steppjacke und ausgeleierte Jogginghosen mit dem Aufdruck "Dolce & Gabbana", die Frau mal keinen Bademantel, sondern einen Rock und ein Sweatshirt. Sie bitten uns sogar hinein in ihr Haus. Als wir um den Bau herumgehen, erkenne ich zwei unterschiedliche Haushälften: Der vordere Teil wirkt fast wie ein weiterer kleiner Beton-Palast, der hintere wie eine der vielen Bruchbuden. In zehn Metern Sicherheitsabstand steht weiter hinten noch ein hölzernes Klohäuschen mit Donnerbalken im Wind. Nicu übersetzt: "Sie leben bereits in dem Neubau, aber nur eines der Zimmer ist schon eingerichtet. Und in diesem Zimmer lebt die ganze Familie: fünf Menschen. Sie wollen das Haus nach und nach weiter einrichten: immer, wenn gerade mal Geld vorhanden ist. " Können wir uns drinnen umsehen?, frage ich. "Ja, ja", lautet die Antwort. Im Mauerwerk des Neubaus sind bereits Flecke und Risse zu erkennen. Durch eine Plastiktür treten wir in eine große, unverputzte Diele mit kahlen Wänden, in der nur ein vollgehängter Wäscheständer und ein riesiger Kühlschrank stehen. Dahinter ist das einzige bewohnte Zimmer fast komplett mit Betten zugestellt. Ein Lehmofen heizt das Zimmer auf etwa 30 Grad. Ein nacktes Baby krabbelt auf einem der Betten - ein Enkelkind, wie sich herausstellt. Seine Tochter sei bereits einmal länger in Duisburg gewesen, berichtet der Hausherr Seletsano Roberto. Denn hier in Barbulesti sei die gesamte Familie arbeitslos, und der rumänische Staat zahle gerade mal 30 Euro Sozialhilfe plus 10 Euro Kindergeld pro Monat - momentan die einzigen Einnahmen der Familie. Als die Tochter damals in Duisburg lebte, habe sie allein 800 Euro Kindergeld bekommen für ihre vier Töchter - das bei weitem höchste Einkommen, das die Familie jemals erzielt habe. In Deutschland hat jeder einkommensteuerpflichtige EU-Bürger Anspruch auf Kindergeld, auch wenn die Kinder zur gleichen Zeit im Ausland leben.
    Kindergeld als Einkommen
    Dieses Kindergeld habe immerhin gereicht, gemeinsam mit Nachbarn den neuen Rohbau zu errichten und diesen Wohnraum mit Betten und Ofen zu bestücken, erzählt Herr Roberto. Wie es weiterginge - mit dem Verputzen der Wände, der Einrichtung der anderen Zimmer und der Bäder - sei aber völlig unklar: Da müsse man demnächst irgendwie neues Geld auftreiben. Ein Job hier in der Umgebung wäre schön, aber nicht in Aussicht. Und mit leeren Taschen nach Nordeuropa aufzubrechen, sei auch nicht ratsam. Da schneit Herr Robertos Bruder herein. Bald zieht er vom Leder, als hätte er auf den ausländischen Reporter geradezu gewartet: "Vor 1989, unter Nicolae Ceaușescu und den Kommunisten, da hatte ich noch einen Arbeitsplatz! Und zwar in einem Heizkraftwerk in Bukarest. Zwölf Jahre lang. Dann wurde das Werk geschlossen und alle entlassen. Danach habe ich mich selbst zum Bauschreiner fortgebildet. Auf der Schule war ich auch zehn Jahre lang. Aber das hat letztlich alles nichts genützt: Denn nun bin ich arbeitslos. Heute habe ich den ganzen Morgen lang Plastikflaschen gesucht, aber kaum welche gefunden. Deshalb bleibt mein Sohn heute wieder mal zu Hause, anstatt in die Schule zu gehen. Denn ich kann ihm keinen einzigen Leu (22 Cent) geben, damit er in der Schule zu essen bekommt. Und ich hatte mal einen Job in Bukarest! Unter Ceaușescu war es viel besser."
    Kalimi Wesku ist noch eloquenter als sein Bruder. Ich spreche ihn auf eine große Fabrik an, die vom Dorf aus zu erkennen ist: Ließe sich denn dort keine Arbeit finden? "Das ist eine Zuckerfabrik. Der Fabrik-Chef hat 400 Jobs zu vergeben. Aber nur an andere, nicht an die Menschen aus unserem Dorf. Von uns arbeitet dort wirklich niemand. Denn der Chef lehnt uns ab: Wir seien Zigeuner. Und Zigeuner würden immer nur stehlen." Eigentlich verbietet die EU-"Richtlinie zur Gleichbehandlung ohne Unterschied der Rasse" jegliche Diskriminierung aufgrund der ethnischen Herkunft. Aber Brüssel liegt 2.200 Kilometer entfernt von Barbulesti, Bukarest dagegen nur 60. Wir fahren zurück zur Durchgangsstraße, schauen vorsichtshalber nach dem dicken Strolch, aber bemerken stattdessen einen anderen Mann. Er ist zwar weltlich gekleidet, in Jeans und Anorak, aber anscheinend ein Priester: Denn er segnet gerade von der Straße aus ein Haus, dessen Bewohner dabei glücklich zuschauen. Der Gottesmann wird sicher wissen, wie viele Menschen aus seiner Gemeinde nach Duisburg abgewandert sind: "Es stimmt schon, dass viele Menschen dorthin abgewandert sind, aber nicht gleich mehrere Hundert. Dann stünde das Dorf ja fast leer. Und wie Sie sehen, ist das nicht der Fall. Ich würde sagen: Etwa 30 Familien sind nach Duisburg gezogen, also insgesamt rund 100 Menschen. Die haben dort jetzt eigene Wohnungen, schicken ihre Kinder in die Schule und gehen natürlich auch in ihre eigene Kirche."
    Europäische Normen sind weit weg
    Von einer solchen Kirche hatte mir in Duisburg allerdings niemand berichtet. Der Priester heißt Vasili Petri und leitet die freikirchliche Gemeinde von Barbulesti. Er schaut uns freundlich, aber auch skeptisch an: als wären wir die Gesandten einer fernen, gottlosen Welt. Das kann ich durchaus nachvollziehen. Denn obwohl sein Dorf auch zur Europäischen Union gehört, scheinen deren Gesetze, Normen und Werte weit weg zu sein. Später werde ich während einer Internet-Recherche bemerken, dass vielerlei Sekten in Rumänien um Anhänger werben, vor allem in armen Dörfern wie Barbulesti. Priester Petri setzt sich dafür ein, nach den Geboten der Bibel zu leben - auch wenn das heutzutage immer schwieriger würde: "Wo auch immer du hingerätst: Als Gemeindemitglied musst du immer so weiterleben wie zuvor. Manche Menschen gehen hier weg und verfallen in der Fremde der Versuchung. Aber von den Menschen aus Barbulesti sind das sicher nur wenige. Die meisten behalten in der Fremde ihre dörflichen Sitten bei. Die Kirche verbietet zum Beispiel Bettelei. Denn meist wird dabei gelogen. Und das ist das Schlimmste. Wenn du wirklich in Not bist und bettelst, ist das zwar immer noch verboten. Aber dann lügst du wenigstens nicht dabei."
    In dem ärmlichen Dorf Barbulesti wirken die Grundsätze des Priesters Petri auf mich so abgehoben wie seine Bitte zum Schluss: "Bruder Raymon ging von hier nach Duisburg und ich habe seitdem nichts mehr von ihm gehört. Seit mehr als drei Monaten ist die Gemeinde ohne jede Nachricht von ihm, und deshalb haben wir ihn jetzt erstmal ausgeschlossen. Ich habe eine Botschaft an Raymon: Bleibe fest in deinem Glauben an Gott. Respektiere die Gesetze des Gastlandes. Und vergesse nicht deinen christlichen Namen!" Dann eilt der Gottesmann weiter zum nächsten Haus. Wir wollen Barbulesti lieber im Hellen verlassen und suchen am Dorfrand eine Tankstelle. Dabei überholen wir einen Eselskarren, der von einem Kind gelenkt wird. Hinter einer staubigen Zementfabrik erblicken wir eine Tankstelle des russischen Ölkonzerns Lukoil. Wir biegen ab und warten vor der Zapfsäule hinter einem verbeulten Fiat. Ein Schild verspricht ein "Tank-Café", aber von außen ist nur ein ungastlicher, kahler Raum mit einem Kaffeeautomaten zu erkennen.
    Neun oder zehn Euro Tageslohn
    Doch da kommt Nicu heran und zieht mich trotzdem in das Café hinein: Der Tankwart hat ihm erzählt, dass drinnen der Vize-Bürgermeister von Barbulesti gerade einen Kaffee ziehen soll - der Fiat sei sein Dienstfahrzeug. Tatsächlich. Ich frage ihn, ob er bedauert, dass so viele Bürger seiner Gemeinde nach Westen ziehen - Richtung Duisburg, sozusagen: "Ich sehe das zwar nicht gerne. Aber letztlich bin ich auch erleichtert, wenn es diesen Auswanderern dann wenigstens woanders besser geht als hier. In Barbulesti haben sie nur die Möglichkeit, für neun oder zehn Euro Tageslohn in der Landwirtschaft zu arbeiten. Und selbst das nur im Sommer. Im Winter gibt es hier gar keine Jobs, und viele hungern."
    Und die Zuckerfabrik kann wirklich gar nicht helfen? "Obwohl die Fabrik in unserer Gemeinde steht, zahlt sie nicht mal ihre Steuern hier, sondern an die nächste Stadt, an Urziceni. Aber hier ist Rumänien. Hier protestiert man wegen sowas nicht. Wir bekommen in diesem Land auch keinerlei Unterstützung. Wir Roma werden hier wirklich sehr benachteiligt." Draußen an der Zapfsäule hält gerade ein Reisebus. Drinnen sitzen keine Auswanderer, aber Arbeiter aus der Zuckerfabrik. Selbst sie scheinen nicht wirklich zufrieden zu sein: "Kollege, wir sehen dich in Deutschland!" Nicu: "Sie sagen, sie wollen alle in Deutschland arbeiten. Ob wir vielleicht 30 Jobs für sie hätten?"