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Romanadaption
Juli Zehs "Nullzeit" am Theater Bonn

Romanadaptionen auf der Theaterbühne sind selten mehr als eine Inhaltsangabe. Schlimm wird es allerdings, wenn aus leisem Psychohorror plötzlich bemühter Klamauk ohne Mehrwert wird - so wie in der Bühnenfassung von Juli Zehs Thriller "Nullzeit" am Theater Bonn.

Von Karin Fischer |
    Juli Zeh präsentiert ihren Roman "Nullzeit" auf der Frankfurter Buchmesse 2012..
    Misslungene Romanadaption in Bonn: Julie Zehs "Nullzeit" verkommt zum bemühten Klamauk. (picture alliance / dpa / Susannah V. Vergau)
    Das als Vorbemerkung: Romanadaptionen auf der Theaterbühne sind häufig nur dialogisch aufbereitete Inhaltsangaben mit etwas szenischem Mehrwert. Da ist es schon ganz schön, wenn man stattdessen mal ein neues Stück in eigener Form und einiger theatraler Qualität geboten bekommt. Nur: Was Sebastian Kreyer in Bonn auf die Bühne gebracht hat, ist eine Roman-Vernichtung durch Theater-Klamauk.
    Was, auch als tolles Schauspieler-Futter, zu einem Bühnen-Thriller à la Yasmina Reza hätte werden können, ist eine bunte und bemüht musikalisch aufgemotzte Unterhaltungsklamotte geworden. Mit bemüht ausgetappten Witzen, bemüht choreografierten, von Musik unterlegten, völlig unnötigen Szenentrennern, mit bemüht skurrilen Albtraumbildern, und mit bemüht zusammengeklaubten Elementen aus der Klamottenkiste des Regietheaters – man kommentiert die eigene Rolle oder parliert mit der Souffleuse.
    Aus dem leisen Psychohorror des Romans wird Komödienhorror auf der Bühne, den allein die Schauspieler und ein paar Schauwerte retten: Die Eingangsszene mit liebevoll gedecktem Tisch zeigt schiere Urlaubsidylle, die dann durch die sadistisch aufgeladenen Dialoge zwischen Theo und Jola schnell gebrochen wird. Auf einen Blech-Container im Hintergrund sind Unterwasserbilder projiziert. Sophie Basse spielt nicht nur Svens Freundin Antje als geradlinig bodenständige, einzig vernünftige Person, sondern auch eine fiktive Lotte Hass*, die mit gebrochener Altfrauenstimme für ihre eigenen Filme wirbt. Jonas Minthe als Tauchlehrer Sven wirkt leider wesentlich naiver, intellektuell unterbelichtet und damit schwächer als im Roman.
    Johanna Falckner als Jola changiert überzeugend zwischen Schlampe, Schlange und verletztem Mädchen. Glenn Goltz als Theo hat die facettenreichste Figur, die er mit lässigem Zynismus ausfüllt. Doch die Lacher, um die die Inszenierung in jeder Minute buhlt, sind mit hohem Preis erkauft. Jede Reflexion, jede analytische Beobachtung wird von hektischen Bühnenmätzchen überdeckt. Die subtile Konstruktion der heftigen Gewaltszenen zwischen Theo und Jola im Roman wird glatt verspielt. Interessant wird es immer dann, wenn die Figuren mit dem Text allein sein dürfen, hier Theo.
    "Wer zwanzig Meter in die Tiefe taucht reist gleichzeitig Millionen Jahre in der Evolutionsgeschichte zurück. Oder an den Anfang der eigenen Biografie. Dorthin wo das Leben begann. Schweigend und stumm, keine Sprache, keine Begriffe."
    Die zweite Hälfte des Spiels ist leiser und dadurch zwingender gestaltet, die Parallel-Erzählung von Sven und Jola über ihre vermeintlich erste Sex-Szene entwickelt endlich auch Spannung. Doch das rettet eine Inszenierung nicht, die alle ernsten Themen, die Juli Zeh anreißt, weg-humort – und auch noch den offenen Schluss des Romans verrät, indem sie ihn eineindeutig macht.
    Regisseur Sebastian Kreyer hat in Köln schon aus den Figuren in Tennessee Williams' "Die Glasmenagerie" umtriebige Karikaturen gemacht; sie wurde 2013 zum Münchner Festival "Radikal jung" eingeladen. Radikal vollgestopft ist seine Inszenierung in Bonn. Vielleicht sollte er demnächst einen Tauchkurs auf Lanzarote buchen – um radikal entspannt für weitere Bühnen-Taten zurück zu kehren.
    * Gemeint war die greise Leni Riefenstahl; wir bitten, den Fehler zu entschuldigen.