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Romanklassiker als Bühnenstück

Effi schaukelt. Immer übermütiger, immer heftiger, immer höher. Doch die Schaukel hängt in einem Innenraum. Und je höher hinaus sie fliegt, umso härter stößt sich Effi an der kassettierten Wand des von Annette Breuer entworfenen, von Andreas Jander ausgeführten düster-hohen Bühnenraums, dessen hohe Fenster milchig sind und ausblicklos oder von Jalousetten verschattet. In Amélie Niermeyers ebenso feinsinniger, kluger wie körperbetont sinnlicher Theateradaption eines der Prosawerke par excellence sind alle Figuren Gefangene dieses Raumes, der sich nur nach hinten weitet, als Crampas in Effis Leben tritt und ihren Sehnsüchten eine helle aber konturlos vernebelte Projektionsfläche öffnet.

Ein Beitrag von Cornelie Ueding |
    Mit aufgelöstem Haar und triefend nassem Hemd steht er plötzlich so verlockend vital in Innstettens zugeknöpfter Welt und reizt mit Mutwill, Tanzschritten und Versen von Heinrich Heine: doppeldeutig, ambivalent, antibürgerlich - und gefährlich, ihre Phantasie und ihre kaum erwachte Sinnlichkeit. Ersichtlich ein ziemlich grob gestrickter Windhund - mit dem Effi rumspielt. Lustvoll. Ein Schaukelersatz. Nur dass die bremsende Wand fehlt. Bisher hatten, von ihren Eltern bis zu ihrem Mann und den Dienstboten, alle immer nur von ihrer Springlebendigkeit gezehrt - in ihrer Ehe aber steht sie vor Langeweile auf dem Sessel Kopf und vereinsamt angststarr in dem Kesseiner Spukhaus. Den durcheilenden Innstetten springt sie schon noch so an wie ihren Vater, mit dem sie kuscheln kann. Aber Innstetten macht mit Briefordner und Aktentasche selbst noch die mit Sessel und Sofa angedeutete Wohnecke zum Büro oder zum Korridor, zum Durchgangsort, wo das Dienstmädchen Johanna, jeder Zoll die Inkarnation stocksteifer Zuverlässigkeit und ehrerbietiger Weiblichkeit, immer schon mit Hut und Handschuhen bereitsteht, wenn er sich mit flüchtigem Kuss von Effi verabschiedet. Dass er kein Sensorium für ihr Empfinden hat, gehört zu den Stereotypen der Effi Briest-Rezeption; dass sie auch für ihn keine Lebenspartnerin ist, sieht man in Amélie Niermeyers Inszenierung. Sie wird flügellahm - er schulmeisterlich. Und wenn ihm so ist: geil. Und schnell das, was er am meisten fürchtet: lächerlich. Er reagiert auf das, was Leichtfuß Crampas erweckt hat:

    Du hast allen die Köpfe verdreht...Hast Du ein schlechtes Gewissen... Ich will dich ansehen und mich freuen, dass ich Dich habe. Manchmal empfindet man's doch stärker, was für einen Schatz man da hat...

    Und Effi landet wieder auf einer Art Schaukel: Zwischen Lust und Verbot, kann keine Verbindung herstellen zwischen ihren Phantasien, Träumen, Vorstellungen vom Glück und Erwartungen an die Ehe und der Lebenswirklichkeit. Amélie Niermeyer hat für dieses Auseinanderfallen von Leben und Erleben eine wunderbar verdichtete szenische Form gefunden, die keine der unglücklichen Figuren in ihrem Wert beschädigt. Der aus Fontanes Roman destillierte Theatertext hat keine streng voneinander abgegrenzten Szenen, keine zu Ende geführten Gespräche. Statt dessen: ineinander verschränkte, musikalisch interpunktierte Szenenschnipsel und immer wieder Zeichen dafür, wie eingesperrt die Figuren in ihrer Daseinsform sind. Wie auch nur der Hauch eines Gefühls sie belebt, sie in Bewegung, ja mitunter in Überschwang versetzt: Roswitha z.B., die mit ihrem schwarzen Huhn auf dem Schoß zum gespenstischen Inventar des Hauses zu gehören schien bis sie für Effis Kind sorgen darf. Der Augenschein von Effis ersten Reaktionen auf ihre neue Umgebung, vom Umgang der jungen Eheleute so aneinander vorbei - ist unterlegt mit Effis Briefen von ihrer Hochzeitsreise, die Mutter Briest ihrem Mann vorliest, die Untertöne mit gemischten Empfindungen des Einverständnisses markierend. Effi schließlich, die sich dem nach ihr haschen den Innstetten entzieht, rutscht vom Sofa und im Wortsinn in die nächste Szene (mit Crampas) - wo dann wieder ein anderer für ihr Leben zuständig ist. Bis in die Szenenabbrüche und Spiegelungen der Lebensäußerungen hinein hat Amélie Niemeyer Fontanes fragmentarisches Erzählverfahren aufgenommen und es kongenial in eine dem Theater eigene Sprache übersetzt Im weiten Feld des begrenzten Raumes macht diese Aufführung sinnenfällig, was passiert, wenn Menschen sich mit ihren Vorstellungen vom Leben den Zugang zur Lebendigkeit vermauern, wenn sie nicht verstehen, dass das schon zu ihrem Leben gehört, was sie gerade tun. Nicht Innstetten zerstört Effis Leben - und nicht nur sie geht zugrunde, weil sie keine Lebenskraft jenseits ihrer Erwartungen hat. Auch für Innstetten ist dieser Lebens-Bühnenraum mit verschiedenen Ebenen nicht Durchgangs- sondern Endstation.

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