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Romanzen von Peter Tschaikowsky

Schnittmenge heißt das Schlüsselwort für die kommenden 20 Minuten. Schnittmenge insofern, als dass sich zwei Künstler auf unterschiedlichen CDs zumindest teilweise dem selben Repertoire widmen und das auch mit dem selben Pianisten aufgenommen haben: Sowohl Christianne Stotijn als auch Gerald Finley legten jetzt Romanzen von Peter Tschaikowsky auf CD vor - und zwar jeweils gemeinsam mit dem Pianisten Julius Drake: Bei Finley handelt es sich um den Livemitschnitt eines Liederabends aus der Londoner Wigmore Hall, bei Stotijn um eine Studioproduktion. Beide möchte ich Ihnen heute vorstellen. Am Mikrofon begrüßt Sie Falk Häfner.

Von Falk Häfner |
    "Finley:
    Don Juans Serenade
    Peter Tschaikowsky "

    So machohaft, wie sich Gerald Finley in der Serenade des Don Juan von Peter Tschaikowsky geriert, so machohaft und im fortissimo singend erlebt man ihn sonst selten auf dieser Platte. Forcieren hat er nicht nötig: Seine Stimme sitzt präzise und klingt so kernig, dass auch sein Piano ungewöhnlich eindringlich und zwingend wirkt. Es ist daher kein Wunder, dass Finley als einer der charismatischsten Opernsänger derzeit gilt. Auch, weil der Stimme alles Künstliche, alle Überhöhte abgeht. Authentisch, glaubhaft, so vermittelt sich das, was Gerald Finley auf der Bühne darstellt und was er singt.

    Als Chorknabe an der St. Matthew's Church in Ottawa hat die musikalische Laufbahn des Kanadiers begonnen. Weiter ging es über ein Studium am Londoner Royal College of Music. Kurze Zeit später debütierte er in Glyndeborne als "Sid" in Benjamin Brittens Oper "Albert Herring" und wurde daraufhin sofort als Papageno in Mozarts "Zauberflöte" engagiert. Mozart blieb denn auch lange die Domäne des Bassbariton. Damit war er an allen großen Opernbühnen von New York über Paris bis Salzburg und München zu erleben. Doch inzwischen ist auch das Repertoire des 19. und 20. Jh. dazugekommen. Und das beschränkt sich längst nicht nur auf Oper. Mindestens genauso oft ist Finley auch als Konzertsänger unterwegs.

    Die vorliegende Liveaufnahme mit Romanzen von Peter Tschaikowsky brachte ihm viel Lob ein: Der Londoner "Daily Telegraph" bezeichnete ihn als einen der besten nichtmuttersprachlichen Sänger für russisches Repertoire. Was einerseits natürlich ein Lob, andererseits aber nicht allzu schwer ist: Denn die Lieder von Peter Tschaikowsky werden außerhalb des russischen Sprachraumes höchst selten gesungen. Aber - und das ist die wahre Kunst: Finley gelingt die Gratwanderung zwischen wahrem Ausdruck und übertriebener Sentimentalität. Wo gerade russische Sänger sich gern im wohligem Herz-Schmerz suhlen, gelingt ihm eine warmherzige, glaubhafte Deutung.

    Zum Beispiel beim Lied "Auf einem Ball", bei dem es mitten im lärmigen Trubel eines Festes zu einer flüchtigen Begegnung kommt, die die beiden Beteiligten verstört zurücklässt, ohne dass sie ihre Gefühle füreinander überhaupt richtig deuten, geschweige denn benennen können. Ein kurzer Blick -und plötzlich scheint die Welt still zu stehen.

    " Finley:
    Auf dem Ball, op. 38 Nr. 3
    Peter Tschaikowsky "

    Mitten im lärmigen Trubel eines Balles eine flüchtige Begegnung, die wie Zeitlupe wirkt. Wer hier singt - ob Frau oder Mann - lässt sich aus dem Text dieses Liedes nicht wirklich herauslesen. Gerade war es Gerald Finley, der sich dieser sentimentalen Walzerträumerei hingab. - Jetzt kommt das Gegenüber: eine junge, schöne Frau, der ebenfalls die Knie zu zittern scheinen: Christianne Stotijn.

    " Stotijn:
    Auf dem Ball, op. 38 Nr. 3
    Peter Tschaikowsky "

    So unterschiedlich kann das selbe Lied bei gleichen Rahmenbedingungen - sprich dem selben Pianisten - klingen: Christianne Stotijn, die hauchig zurückgenommene Schüchterne, die man regelrecht beben sieht angesichts ihrer Unsicherheit. Gerald Finley dagegen, der an sich selbstbewusste Mann, der eher mit nüchterner Verwunderung zur Kenntnis nimmt, dass seine Synapsen flirren und er gar nicht recht weiß, wie ihm geschieht.

    Beiden Künstlern, Stotijn und Finley, gelingt in dieser Romanze, die Situation so plastisch darzustellen, dass man den jeweils dem Liebestaumel Erlegenen regelrecht vor Augen hat.

    In der Heimat Tschaikowskys sind dessen Romanzen nach wie vor populär. Hierzulande werden sie kaum gesungen. Wobei die Sprachbarriere das größte Problem darstellen dürfte.

    Anders als beim deutschen Kunstlied folgt die Melodie in der russischen Romanze sehr konsequent der Sprache. Ohne eine sangliche, sich am Text orientierende Melodie geht nichts. Weniger die Form, als vielmehr der lyrisch-melancholische Charakter ist ein Merkmal der russischen Romanze.

    Über 100 Lieder hat Tschaikowsky im Laufe seines Lebens geschrieben - die ersten bereits vor seinem Eintritt ins Konservatorium, die letzten in seinem Todesjahr 1893. Über 70 davon nennt er Romanzen. Dafür greift er nicht nur auf Texte russischer, sondern auch deutscher Dichter zurück, zum Beispiel Goethe. Auch wenn man dessen Gedicht "Nur wer die Sehnsucht kennt" in der russischen Übertragung nicht versteht, kann man an Klang und Melodie des Gesungenen spüren, was Goethe formulierte.

    " Stotijn:
    Nur wer die Sehnsucht kennt op. 6 Nr. 6
    Peter Tschaikowsky "


    Süßes Leiden - erzeugt durch extremes Legato und beeindruckend lange Phrasen. Wenn es ums Wehmuterzeugen geht, dann hat Christianne Stotijn einen beeindruckend langen Atem! Sie setzt hier ganz auf den Schönklang ihrer warmen, aber nicht verschattet- dunkel klingenden Mezzo-Stimme, die hier eher nach einem Alt klingt. Töne wie ebenmäßige Perlen an einer Kette.

    Kein Wunder, dass die 1977 geborene Niederländerin schon auf eine beachtliche Karriere verweisen kann: 2005 bekam Christianne Stotijn den ECHO als beste Nachwuchssängerin, 2008 den Niederländischen Musikpreis zuerkannt, außerdem ist sie Next Generation Artist der BBC.

    Auch Gerald Finley setzt in dem eben gehörten Mignon-Lied auf eine schöne Legato-Linie, allerdings ohne das Gleichmaß der einzelnen Töne. Bei ihm stören musikalische Akzente gelegentlich den natürlichen Fluss und lassen das Lied dann etwas schleppend wirken.

    Finley
    Nur wer die Sehnsucht kennt op. 6 Nr. 6
    P. Tschaikowsky

    dass es sich bei Gerald Finleys CD um die Liveaufnahme eines Liederabends in der Londoner Wigmore Hall handelt, das ist der Platte höchstens an ein paar intonatorischen Unzulänglichkeiten anzumerken, die bei einer Studioproduktion hätten ausgeglichen werden können. Ansonsten verrät lediglich der Applaus die Aufnahmesituation. Gemeinsam mit dem Pianisten Julius Drake ist Finley hier mit einem außergewöhnlichen Programm zu hören, das neben Tschaikowsky auch die "Lieder des Tanzes und des Todes" von Mussorgski und die "War Scenes" des amerikanischen Komponisten Ned Rorem zusammenbringt. Beim hauseigenen Label der Wigmore Hall ist diese CD jetzt herausgekommen.
    Christianne Stotijn beschränkt sich mit ihrem Album bewusst auf die Romanzen von Tschaikowsky und fügt ihrer Diskografie damit eine weitere interessante Facette hinzu. Bisher gibt es schon Mahler-Lieder und ein Recital mit Schubert-, Berg und Wolf-Liedern. Außerdem die Einspielung eines Loewe-Oratoriums und der Oper "Pique Dame" von Peter Tschaikowsky. Die neue Aufnahme nun mit Tschaikowskys Romanzen untermauert ihr Können. Das Label Onyx hat Christianne Stotijns CD jetzt veröffentlicht.

    Die beiden vorgestellten Platten werden in Deutschland von Codaex vertrieben und von Falk Häfner hiermit empfohlen!


    1.) Songs by Tchaikovsky, Musorgsky and Ned Rorem

    Gerald Finley, Bass-Bariton
    Julius Drake, Klavier

    Label: Wigmore Hall live
    Bestell-Nr.: WHLive0025

    2.) Tchaikovsky: Romances

    Christianne Stotijn, Mezzosopran
    Julius Drake, Klavier

    Label: Onyx
    Bestell-Nr.: ONYX 4034