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"Romeo und Julia" als Handlungsballett

"Romeo und Julia" ist das Stück der Stunde: in Hamburg eine schüchterne Jugendliebe mit Robert Stadlober als Romeo, in Stuttgart ein martialisch auftrumpfender schwarzer Familienkrieg im Heiner-Müller-Duktus. Die Ballett-Version, die der Choreograph Richard Wherlock nun in Basel vorstellte, versucht beiden Linien des Stücks gerecht zu werden: Wherlock will sowohl das Bedürfnis nach Romantik befriedigen als auch den Familienkonflikt kämpferisch ausleben.

Von Christian Gampert |
    Shakespeares Totenmaske
    Shakespeares Totenmaske (AP)
    Dabei hat er nicht unwesentlich in die Handlung eingegriffen: Hauptfigur des gesamten ersten Teils ist Romeos Freund Mercutio, in der athletischen Interpretation von Sergio Bustinduy ein halbsympathischer Aufschneider und fürchterlicher Angeber, ein Gockel, der sichtlich Gefallen an Händel und Raufereien findet. Man zeigt den bösen Capulettis ständig den Stinkefinger und klatscht sich mit den Spielkameraden der eigenen Partei nach der Volleyball-Gimme-Five-Manier ab – das soll modern sein und ist doch nur pubertäres Gassengehabe, sehr italienisch natürlich.

    Diese tändelnden Ragazzi, irgendwo zwischen Commedia und Neorealismus angesiedelt, werden konterkariert von dem ziemlich mafios inszenierten Capuletti-Clan, dessen operative Geschäfte, wie zum Beispiel der Drogenkauf, von dem dunklen Tybalt des Michael Lamour geleitet werden.

    Beide Familien sind vaterlos – der Capuletti-Sippe steht die gestrenge Lady Capulet vor, die eine Beziehung zu dem zwanghaften Tybalt unterhält.

    Bevor nun in der städtischen Beton-Burg, die Regina Lorenz in die Bühne gebaut hat, Romeo den Balkon erklimmen darf, tobt ein ausgiebiger Bandenkrieg in den Straßen. Das ist sehr turnerisch gemacht, als wenn die Tänzer einen Tak-Won-Do-Kurs besucht hätten. Wherlock hat in seiner Zeit im Ruhrgebiet, in Hagen, schon öfter solche Kampfhandlungen gezeigt: auch in Basel ist er nun damit beschäftigt, ständig irgendwelche kleinen Provokationen in Szene zu setzen, die in großem, ensemblestarken Gerangel enden, mit starken Sprüngen und Überroll-Figuren.

    Diese Jugendkultur ist anfangs ganz originell, wird aber bald langweilig, weil sich dieselben psychischen Muster ständig wiederholen. Auch hält sich Wherlock akribisch an die Leitmotivik von Prokofiews Musik:

    Wird es bedrohlich, dann werden auch auf der Bühne aggressiv die Glieder gereckt; wird es spätromantisch-gefühlig, dann dürfen Romeo und Julia in den Pas de deux.

    Das freut das Publikum, ist aber doch ein wenig eindimensional in der Umsetzung der musikalischen Vorlage. Auch fällt mit zunehmender Spieldauer auf, dass Wherlock ein Faible für Geschlechter-Klischees hat, die gern wiederholt. So tanzen die Frauen meist runde Bewegungen in die Horizontale (abgesehen mal vom käferartigen Spreizen der Beine bei den Hebefiguren), während die Ensemble-Männer eher eckig-militärisch in die Vertikale gehen. Nur der Spieler Mercutio und der liebeskranke Romeo fallen da raus.

    Die Romeo-und-Julia-Beziehung aber ist die Schwachstelle der Aufführung. Ayako Nakano ist tänzerisch brillant, aber sie zeigt kaum eine Entwicklung der Figur, ständig nur das lächelnde Mägdelein, ob im Hängerkleidchen oder im Hochzeitsgewand. Der Romeo des Jason Nicoll tanzt seinen Trübsinn mit einer etwas unangemessenen Eleganz.
    So bleibt im Zentrum der Aufführung eine ganz andere Beziehung: der spielerische Mercutio des Sergio Bustinduy verführt mit seinem etwas nervenden machohaften Imponiergehabe die spröde Lady Capulet der Cristiana Sciabordi – und markiert, als er von Tybalt tödlich verwundet wird, immer noch den Angeber, den Clown, als sei der Tod ein großer Scherz.

    Das ist imponierend choreographiert – viel stärker als das dekorative Sterben von Romeo und Julia auf rotem Plüsch.