Theaterabende gibt's, die sind schon kaum noch welche; besser: wollen das möglichst auch gar nicht mehr sein, nicht mal ein Musical - lieber ein Konzert, mit möglichst viel Musik und dazwischen den Resten von etwas, was mal ein Theaterstück war. Die Strategie kann aufgehen, im günstigsten Fall sogar die Theater-Reste (oder -Fragmente) stärker zur Wirkung bringen als üblich; automatisch aber funktioniert das Spiel mit der Tarnkappe nicht. Jette Steckels Versuch mit "Romeo und Julia" zeigt das auf fatale Weise.
Die Regisseurin, vor Kurzem noch eine der interessantesten Senkrechtstarterinnen im Theaterbetrieb, hat sich ganz und gar in die Hände dominanter Musiker begeben - und dabei sich und das Stück komplett aus Augen und Ohren verloren. Stattdessen scheint sie den Taktstock an Anja Plaschg übergeben zu haben; die leere Bühne von Florian Lösche mit gestaffelten Vorhängen aus tausend Lämpchen lässt eh nur zwei Klaviere kreisen, für die Musiker. Plaschg, die 24-Jährige aus Österreich (über deren Independent Pop unter dem Bandnamen "Soap & Skin" sogar das "Rolling Stone"-Magazin schreibt), übernimmt spätestens im zweiten Teil die Direktorenrolle, mit zappeligen Solo-Nummern, Sirenen-Sounds und klanglichem Gewitter-Donner. Plaschgs Partner Anton Spielmann (dessen Band "1.000 Robota" heißt) ist eher für leisere Balladen zuständig - beiden zusammen, gemeinsam oder im Wechsel, gelingt jedoch vor allem eins: die vollkommene Zerstörung von Dramaturgie und Dynamik jenes Theatertextes, der früher mal im Zentrum stand bei Aufführungen dieses Stückes. Die Musik bringt nichts voran, sie hemmt stattdessen die Handlung; zwingt sie sogar in ihren Rhythmus - und prompt dauern Szenen unnötig lange, bloß weil die Musik noch nicht zu Ende ist.
Der zweite Rattenfänger-Trick der Inszenierung funktioniert kaum weniger schlecht: Die zweimal 20 Statisten und -Innen, die laut Programm quasi Chor oder Doppel- und Wiedergänger der beiden Helden sind - Team Romeo trifft Team Julia ... Die in der Hamburger Nachbarschaft gecasteten jungen Leute stehen oder rennen aber nur rum, tanzen auf der Party im Hause Capulet zu Beginn, drängen die Liebenden zueinander und voneinander weg - Massen-Choreografie, sonst nix. Kurz vor Schluss, wenn Romeo Besuch im Exil bekommt und Nachricht vom vermeintlichen Tod der Geliebten, zupft er (erstaunlicherweise) an einer Gitarre herum, natürlich weil mal wieder Spielmann singt - prompt werden auch allen Alternativ-Romeos Klampfen umgehängt. Jetzt kommt ein Song, und nichts passiert. So geht es ständig in dreieinhalb Stunden, die wie doppelt so lang wirken.
Julias Tod: Effekte, Effekte - und kein Gedanke, keine Idee
Mit keiner der beiden strategischen Zugaben, keinem der Anti-Routine-Vademecums, konnte Jette Steckel wirklich etwas anfangen. Zur Deutung (oder auch nur Gewichtung) des Shakespeare-Stückes hat die Regisseurin vor lauter Bemühen um all das Andere praktisch nichts von Belang beizutragen; bestenfalls das übliche: eine schrullig-kluge Amme (hier Karin Neuhäuser) und einen berechnenden Pater Lorenzo; als solcher erklärt Stephan Bissmeier den jungen Leuten Wirkung und Gefahr halluzinogener Kräuter. Das Titel-Paar, Mirco Kreibich und Birte Schnöink, teilt sich die Energien: er eher exaltiert, sie merkwürdig apathisch - als wüsste sie schon, was kommt. Die berühmteste aller Szenen sprechen die beiden einander kühl ins Gesicht.
"Willst Du schon? Noch ist die Nacht doch nicht zu Ende ... glaub mir, es war die Nachtigall, Geliebter!" / "Es war die Lerche, nicht die Nachtigall. Die Nacht hat ihre Kerzen ausgeblasen."
Im Schluss-Tod nimmt Julia auch nicht den Rest von Romeos Gift, sondern fällt irgendwie von oben auf ihn herab. Effekte, Effekte - und kein Gedanke, keine Idee.
Schlimmer noch: In der Zeichnung von Romeos Clique unterlaufen Jette Steckel schlimme, ja verantwortungslose Peinlichkeiten - einen schrillen verschwuchtelten Mercutio jedenfalls hat's wohl selten gegeben. Die im Übrigen wieder anregend-verknappte, zuspitzende Neu-Übersetzung von Papa Frank-Patrick Steckel muss schon ein wenig zurechtgebogen werden, damit diese Rolle derart fahrlässig überwuchert werden kann mit so viel Klischee.
Und wozu das alles? Jedenfalls nicht, um den Regeln der Liebe wie des Mordens zwischen den Capulets und den Montagues auf die Spur zu kommen. Dass die nebenan wohnen, bis heute: geschenkt. Aber wo? Und warum in diesem Hass bis zum Tod?