Donnerstag, 09. Mai 2024

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Romy Schneider

Sie ist die süße Sissi gewesen und später die zerbrechliche Schönheit, der ganz Frankreich zu Füßen lag. Sie war die folgsame Tochter daheim und die femme fatale in Paris. Sie wollte ausbrechen aus dem starren Korsett, in das Familie und Kostümfilme sie gesteckt hatten, aufbrechen zu einer neuen Karriere. Für Orson Welles war sie die beste Schauspielerin ihrer Generation. Die französischen Zeitungen jubelten, vierzig Jahre nach Greta und Marlene, fünfzehn Jahre nach Marilyn hätte die Leinwand wieder einen großen Star: Romy Schneider. In diesem Jahr wäre sie sechzig geworden, und Biographien, Erinnerungen, Dokumentarfilme erinnern an sie. Auch Alice Schwarzer kann sich der Faszination Romy - oder dem Zeitgeist - nicht entziehen und hat eine Biographie vorgelegt: "Romy Schneider. Mythos und Leben."

Simone Hamm | 01.10.1998
    Alice Schwarzer wäre nicht Alice Schwarzer, wenn sie nicht auch über sich selbst schriebe. Sie war es, die Romy Schneider die Hand hielt, als sie bei Heinrich Böll zum Tee eingeladen war, um über ihre Rolle der Leni in der Verfilmung von "Gruppenbild mit Dame" zu sprechen. Sie war es, in deren Dachkammer Romy Rotweinflasche um Rotweinflasche entkorkte und trank, um den Mut zu haben, von den Annäherungsversuchen des Stiefvaters zu sprechen. Sie ist es, die ihren Lesern und Leserinnen den Menschen Romy Schneider vorstellen möchte, nicht den Star. Das Leben der Rosemarie Magdalena Albach, Schauspielerkind, das den Namen der Mutter trägt, wäre selbst Stoff für einen tragischen Film.

    Sie wuchs in Berechtesgaden auf, erzogen von einer geliebten Kinderfrau und den Großeltern. Die Eltern kamen wie ferne Verwandte zu Besuch. Schwarzer schreibt, daß Romy Schneider, 1938 geboren, vom Krieg ebenso wenig mitbekommen hätte wie von der unglücklichen Ehe ihrer Eltern. Mit elf kam sie in ein von Augustinnerinnen mit strengem Regiment geführtes Internat, lernte, was Pünktlichkeit und Disziplin bedeuten, lernte auch, sich zu verstellen, spielte den Teufel in einer Schultheateraufführung: Alles gute Voraussetzungen, Schauspielerin zu werden. Sie wurde entdeckt, wird dreimal die Kaiserin Sissi spielen, diese Rolle, die ihr bis ans Ende ihrer Tage anhängen wird. Sie verliebte sich in Alain Delon, ging nach Frankreich, spielte unter Visconti Theater, wurde ein Weltstar.

    Doch die Frau, die beruflich so überaus erfolgreich war, war privat unglücklich. Ihre Liebesbeziehungen hielten nicht, sie war einsam, wurde tabletten - und alkoholabhängig. Die Mutter zweier Kinder wußte nicht, wie sie Beruf und Familie miteinander verbinden sollte. Als ihr vierzehnjähriger Sohn tödlich verunglückte, war das der letzte und schwerste Schlag. Ein Schlag, von dem sie sich nie mehr erholen würde. Knapp ein Jahr später starb. Sie war 43 Jahre alt. Alice Schwarzer glaubt zu wissen, woher alles Unglück rührt. Hat Romy Schneider sich doch immer nach den anderen gerichtet, vor allem nach den Männern. Kein Mann konnte der richtige sein für Romy Schneider in Alice Schwarzers Augen. Der eine war skrupellos und gewaltätig, der nächste war ein Professor Higgins, der aus Romy seine fair lady machen wollte, der nächste ein südländischer Filou, schön und raffgierig. Einer war zu dominant, ein anderer zu passiv. Und Romy machte alles falsch, sie war zu sehr die Mutter, sie ließ sich herumkommandieren, sie war zu dominant, sie war zu passiv.

    Und dann war doch noch die andere, das Überich, die perfekte Frau, die in Romy Schneiders Kopf herumspukte wie in den Köpfen so vieler Frauen. Der konnte sie es niemals rechtmachen. Im Januar 1965 schrieb Romy Schneider in ihr Tagebuch: "Ich bin müde. Mein Leben ist die Hölle. Nur abends bin ich manchmal glücklich. Hoffentlich kehrt "sie" mit der Nacht nicht zurück. Sie ist immer da. Sie, das ist die andere. Sie beschimpft mich, sie lacht, sie weint. Sie hat immer eine Hand auf meiner Schulter. Sie paßt immer auf mich auf. Sie wirft mir alle Fehler vor, einmal, zweimal, dreimal. Ich werde sie nie los. Wenn ich diese andere nur töten könnte. Eines Tages werde ich es schaffen. Ich weiß noch, wie es begann: Vor sehr, sehr langer Zeit. Es war im Winter in der Schule in Salzburg. Ich betete, ich war vielleicht acht Jahre alt. Lieber Gott, gib, das ich Schauspielerin werde. Doch auf einmal konnte ich nicht mehr beten. Denn sie war schon da, die Andere, die alles zerstört, mein Gebet, meine acht Jahre, meine Unbefangenheit."

    Die Zitate aus dem Tagebuch, aus Briefen, abgeschickten wie nie abgesandten, sind die interessantesten Stellen der Biographie. Sie müssen nicht interpretiert, nicht kommentiert werden. Sie sind Zeugnisse großer Selbstzweifel, aber auch eines ganz klaren Blicks: Romy Schneider hat sich und die anderen immer durchschaut. Auch Alice Schwarzer kann es die Schneider niemals rechtmachen, genausowenig wie es ihr gelungen ist, es ihrer Mutter recht zu machen. Sie ist ihr zu abhängig von den Männern, zu wenig politisch - vor allem aber: zu wenig frauenbewegt.

    Dabei hat Romy Schneider doch zu den Unterzeichnerinnen der "Wir haben abgetrieben" Kampagne gehört, die von Alice Schwarzer ins Leben gerufen worden ist. Ihre Rolle der Sissi in den fünfziger Jahren, so Schwarzer, sei gar nicht so verschieden gewesen von der des unschuldig-verführerischen Lieblings der verunsicherten Machos der siebziger Jahre: Romy Schneider sei immer nur Projektion der Frau-an-sich gewesen. Sie hätte sich den veränderten Zeiten angepaßt. Was aber ist denn eine Schauspielerin auf der Leinwand anderes als Projektion?

    Schwarzer geht streng, allzu streng ins Gericht mit Romy Schneider. Daß sie unter ein Foto ihres toten Sohnes und dessen ebenfalls toten Vaters schreibt "Ich habe sie beide nie verlassen" kommentiert sie: "Da ist sie wieder. Diese Woolfsche "Verlogenheit", der Kitsch, mit dem Romy Schneider vor allem sich selbst belügt: dieser rosarote Zuckerguß, unter dem sie ihr Leben begräbt."

    Kann es nicht so sein, daß die Schneider glaubt, Exmann und Sohn nie verlassen zu haben? Was ist an so etwas Privatem wie einer Bildunterschrift so kitschig, daß es Schwarzer zu solchen Äußerungen treibt? Ist sie wütend darüber, das Romy Schneider keine Ikone der Frauenbewegung geworden ist? Hat sie, trotz ihres unbestrittenem Einfühlungsvermögens, Romy Schneider bisweilen einfach nicht verstanden? Wenn Schwarzer nur nicht so besserwisserisch wäre, wie sehr hätte man/frau sich auf ein intelligentes, sensibles Portrait einer großen Schauspielerin freuen können.