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Rosa Amelia Plumelle-Uribe: "Weiße Barbarei. Vom Kolonialrassismus zur Rassenpolitik der Nazis"

Im folgenden Buch geht es der Autorin weniger um Vermittlung von Fakten als darum, eine neue Sichtweise zu entwickeln. Rosa Amelia Plumelle-Uribe will zeigen, wo die Rassenpolitik der Nationalsozialisten in der Tradition des Kolonialrassismus steht und wo sie aus ihr ausbricht. Ihr polemischer Ton im Umgang mit Historie dürfte für ein deutsches Publikum eher ungewohnt sein. In Frankreich, wo Plumelle-Uribe lebt, gehört sie zum Alltag der politischen Auseinandersetzung. Thomas Mösch über:

Von Thomas Mösch | 18.10.2004
    "Weiße Barbarei" von Rosa Amelia Plumelle-Uribe ist zuallererst eine politische Streitschrift. Die Kolumbianerin, die in ihrer Familie afrikanische und indianische Vorfahren hat, will auf das Ausrotten zahlreicher Völker und das Unterwerfen ganzer Kontinente durch die Europäer ein neues Licht werfen. Unter anderem versucht die Autorin zu erklären, warum viele Afrikaner und indianische Amerikaner einen anderen Blick haben auf die Vernichtungspolitik der Nazis. Plumelle-Uribe listet zahlreiche grausame Beispiele aus der Jahrhunderte währenden Kolonialgeschichte Amerikas und Afrikas auf und kommt zu dem Schluss:

    Aus diesem Grund wird die Realität der Gaskammern, die in den deutschen Vernichtungslagern betrieben wurden, von uns anderen fast zwangsläufig als eine Weiterentwicklung der Techniken zur Vernichtung all jener angesehen, deren Zugehörigkeit zum Menschengeschlecht in Frage gestellt wird. Die sehr westliche Behauptung, die Nazibarbarei sei unbegreiflich, kann daher einem Überlebenden der amerikanischen Indianer oder einem Nachkommen von Afrikanern, der sich angesichts der Vernichtung der Seinen fragen mag, was Hitler denn so besonderes getan hat, ein Lächeln entlocken.

    Der Vorwurf, hier werde der Holocaust relativiert, liegt da schon fast auf der Hand. Mit ihm sollte sich die Autorin auch ernsthaft auseinandersetzen, denn es gibt in ihrem Buch zu viele Stellen, die diesen Verdacht nahelegen. Trotzdem: Im Vordergrund steht das Anliegen Plumelle-Uribes, die Aufmerksamkeit auf die außereuropäische Vorgeschichte des Holocaust zu lenken.

    Die breite Akzeptanz von Rassehierarchien und das Zugehörigkeitsgefühl zur überlegenen Gruppe waren Bestandteil des kollektiven Bewusstseins der Weißen. Da der Ausschluss von Menschengruppen, die als rassisch unterlegen galten, weitgehend in das Bezugssystem integriert war, ist es kein Wunder, dass der offene Rassismus der nationalsozialistischen Partei und ihre Aufrufe zur Ausgrenzung in Deutschland ebenso wenig auf prinzipielle Ablehnung stießen wie im übrigen Westen."

    Für Plumelle-Uribe wäre die nationalsozialistische Vernichtungspolitik ohne die auf rassistischer Ausgrenzung basierende Kolonialpolitik und den damit verbundenen Sklavenhandel nicht möglich gewesen. Völlig falsch ist diese Sichtweise nicht, meint auch der Historiker und Völkermord-Experte Jürgen Zimmerer. Eine direkte Linie von Pizzaro bis Himmler will Zimmerer zwar nicht ziehen, doch es gebe Ähnlichkeiten zwischen der europäischen Kolonialpolitik und der Vernichtungs- und Expansionspolitik der Nazis.

    Sie haben sehr viele Zitate von deutschen Soldaten, die von Russland als Kolonialland sprechen. Hitler spricht von den Ukrainern als 'Eingeborenen'. Man wollte das Ost-Ministerium nach dem Vorbild des British India Ministery einrichten. Der Kolonialismus steckt also als großer Ideengeber im Hintergrund, wenn - und das ist wichtig - auch nicht der einzige Ideengeber. Den Antisemitismus als wichtigen anderen Strang muss man an dieser Stelle natürlich nennen.

    Plumelle-Uribe sieht ihn offenbar lediglich als eine Spielart des europäischen Rassismus. Seine einzigartige Stellung in der Geschichtsschreibung habe der Holocaust nur deswegen erreicht, weil ihn Europäer in Europa umgesetzt haben - so die zweite Hauptthese der Autorin von "Weiße Barbarei". Mit ihren Verbrechen gegen außereuropäische Völker hätten sich die Europäer dagegen nie ernsthaft auseinandergesetzt.

    Man kann sich sogar fragen, ob die Europäer je ihre Zweifel am Menschsein der Schwarzen überwunden haben, nachdem sie diese über dreieinhalb Jahrhunderte lang ununterbrochen wie Tiere behandelt hatten. Die für diese Katastrophe verantwortlichen europäischen Nationen haben sich tatsächlich bis heute nicht bei ihren Opfern entschuldigt. Sie weichen aus und maßen sich das Recht an, anstelle der Opfer ihre eigenen Verbrechen selbst zu definieren und zu entscheiden, welche historische Bedeutung ihnen beizumessen ist oder auch nicht. Dieses Recht hätte das besiegte Deutschland nie zu beanspruchen gewagt.

    Wie Recht die Autorin mit diesem Vorwurf hat, hat in diesem Jahr erneut der Streit um den Völkermord an den Herero und Nama vor 100 Jahren im damaligen Deutsch-Südwestafrika gezeigt. Rosa Amalia Plumelle-Uribe gebührt das Verdienst, ihren Lesern zu zeigen, dass es auch andere Perspektiven auf den Lauf der Geschichte gibt. Die Sicht, die sie darstellt, begegnet einem beispielsweise in Afrika unter jüngeren Intellektuellen immer wieder. Andererseits versteigt sich Plumelle-Uribe am Schluss von "Weiße Barbarei" dazu, Zionismus mit Rassismus und Faschismus in einen Topf zu werfen. Das Bündnis zwischen dem Apartheid-Regime und Israel ist ihr Beweis genug dafür, dass sie Teil ein und derselben ideologischen Großfamilie seien. Zwar ist "Weiße Barbarei" trotz solcher Plattheiten kein antisemitisches Buch. Ihren Kritikern macht es die Autorin aber mit solchen und anderen bizarren Gleichsetzungen leicht, von ihrem eigentlichen Anliegen abzulenken. Und das ist schade.

    Wie in der Interpretation von Geschichte, so hat die koloniale Expansion Europas auch in der Sprache ihre Spuren hinterlassen. Mit ihnen befassen sich die Herausgeberinnen eines kritischen Nachschlagewerks, in dem sie daran erinnern, dass der sensible Umgang mit Sprache den Deutschen durchaus nicht fremd ist, zumindest wenn es um Nationalsozialismus und Antisemitismus geht. Begriffe mit anderem historischen Hintergrund dagegen würden häufig nicht als anstößig empfunden. Thomas Mösch bringt Beispiele:

    Da Sprache durch historische, gesellschaftliche, soziale und kulturelle Zusammenhänge geprägt ist, kann es nicht zum Kriterium erhoben werden, wie man/frau ein Wort individuell und persönlich meint oder ob es alle benutzen oder schon immer benutzt haben. Entscheidend sind sowohl der historische Entstehungskontext eines Wortes als auch die im aktuellen Gebrauch dominierende Konnotation.

    Worum es geht, beschreiben die Autorinnen und Autoren anhand von 32 Begriffen - von A wie "Animismus" bis Z wie "Zivilisation". Dabei haben sie nicht nur schon auf den ersten Blick als negativ empfundene Wörter ausgewählt. "Kannibale", "Kaffer" oder "primitiv" tauchen zwar auch auf. Viel häufiger sind aber Begriffe, die den meisten weißen Deutschen unverdächtig erscheinen dürften: "Asylant", "Dritte Welt", "Häuptling" oder "Farbige".
    Gerade das anscheinend so neutrale Wort "farbig" zeigt, warum die Autorinnen dafür plädieren, sich intensiv mit dem eigenen Sprachgebrauch zu beschäftigen.

    Es ist nicht sinnvoll, auf bestimmte Wörter einfach nur zu verzichten und sie durch andere zu ersetzen. Erst eine genaue und kritische Auseinandersetzung der problematischen Konnotationen eines Wortes garantiert eine sprachliche Weiterentwicklung.

    Wer nicht so genau hinguckt, dem erscheint "Farbiger" als unverfänglicher Ersatz für das diskreditierte "Neger". Im Band "Afrika und die deutsche Sprache" liest sich das ganz anders:

    Ausgehend von der Annahme, dass Menschen nach 'Rassen’ unterteilt werden könnten, liegt dem Begriff 'Farbige’ die Konstruktion einer Dichotomie von 'Farbigen’ und Weißen zugrunde. Damit reduziert er 'Nicht-Weiße’ auf ein einziges Kriterium, nämlich ihre Hautfarbe.

    Problematisch sei vor allem, dass der Begriff alle vermeintlich "Nicht-Weißen" in einen Topf werfe. Dabei schwinge mit, dass diese grundsätzlich anders seien als Weiße.
    Seinen praktischen Gebrauchswert als Nachschlagewerk erhält dieses Buch, weil die Autorinnen nicht bei der kritischen Analyse stehen bleiben, sondern Alternativen anbieten: Statt "Farbiger" tut es eben auch "Afrikaner", "Afro-Amerikaner" oder "Afrodeutscher". Dass es nicht immer so einfach ist, zeigt das Wort "Stamm". Die Autorin dieses Abschnitts erläutert, dass weder "Ethnie" noch "Volk" zufriedenstellende Alternativen seien und lässt die Leser am Ende eher ratlos zurück. Es bleibt die Frage, ob denn die Umgangssprache immer wissenschaftlich korrekt sein muss und kann. Doch auch wenn der Band nicht in jedem Fall überzeugende Rezepte anbietet - lesenswert ist er allemal, denn er regt an, die eigene Sprache zu hinterfragen und sensibler mit ihr umzugehen.

    Thomas Mösch rezensierte Rosa Amelia Plumelle-Uribe "Weiße Barbarei. Vom Kolonialrassismus zur Rassenpolitik der Nazis". Rotpunkt-Verlag, Zürich 2004, 36o Seiten, 22, 50 Euro sowie Susan Arndt und Antje Hornscheidt "Afrika und die deutsche Sprache. Ein kritisches Nachschlagewerk". Unrast Verlag, Münster 2004, 266 Seiten,16,00 Euro