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Rosemarie Killius: Frauen für die Front. Gespräche mit Wehrmachtshelferinnen

Wenn früher die liberalen intellektualistischen Frauenbewegungen vom Geist ausgingen, dann enthält unser Programm nur einen einzigen Punkt: das Kind.

Von Ariane Thomalla |
    So sah Hitler das noch 1937. Er deutete jede Geburt als patriotischen Akt der deutschen Frau, die über "das Sein oder Nichtsein ihres Volkes" entscheide. Die Nazis versuchten Frauen aus dem Beruf zu drängen, und für Studentinnen führten sie einen Numerus clausus ein. Doch diese altbackene Frauenideologie scheiterte an der Realität und an den Notwendigkeiten von Krieg und Kriegsvorbereitung. 1938 waren mehr als anderhalb mal so viele Frauen in der Industrie beschäftigt wie 1933, und auch von den Zentren des Repressionsapparates wurden sie nicht ferngehalten: etwa 10.000 Frauen dienten der SS, und auch beim KZ-Personal lag der Frauenanteil immerhin über 10 Prozent. Und da waren die Wehrmachtshelferinnen. "Frauen für die Front" hat Rosemarie Killius ihr Buch überschrieben, in dem sie biographische Gespräche mit Wehrmachtshelferinnen dokumentiert. Ariane Thomalla:

    Sie ist vernachlässigt von Forschung und Publizistik, kommt nicht in Guido Knopfs Dokumentarserien vor und war Stiefkind schon im Dritten Reich, widersprach doch das "Mädel" oder die "Maid" in Uniform gründlich dem Frauenbild und Mütterkult der Nazis. Und doch gab es 1945 an allen Kriegsschauplätzen Europas eine halbe Million Wehrmachtshelferinnen. Sie saßen in den Schreibstuben von Heer, Luftwaffe und Marine, dienten im Nachrichtenvermittlungsdienst, arbeiteten unter hohem Geheimhaltungsgrad bei der Abwehr und den Briefprüfstellen. Am meisten wurden sie bei der Luftwaffe gebraucht: als Flugmeldehelferinnen, Luftschutzwarndiensthelferinnen und Flakhelferinnen, die an der Heimatfront hinter ihren Mess-, Horch-, Funk-, und Kommandoinstrumenten, den Ballonsperren und Scheinwerfern schwere körperliche und unter Tieffliegerbeschuss hochgefährliche Arbeit leisteten. Zuletzt in Dreierschichten, also Tag und Nacht und oft in Eiseskälte. Am Ende sogar mit der Waffe in die Hand. Für den Notfall, wie es hieß. Vor allem nach Stalingrad wurde der Slogan dringlich: Jede Wehrmachtshelferin macht einen Soldaten frei für die Front. Viele Mädchen wurden krank, der Prozentsatz der Abbrüche und Heimreisen war hoch – vor allem nach traumatischen Erlebnissen an der Ostfront. Eugenie S. zum Beispiel fuhr aus der Ukraine nach Hause, weil – sprach sie der Herausgeberin ins Mikrofon – "ich seelisch total erledigt war". Interessant der Nachsatz:

    Um meine Entlassungspapiere zu bekommen, musste ich bei der Gestapo unter Androhung der Todesstrafe unterschreiben, dass ich über alles Erlebte und Gesehene in der Ukraine Stillschweigen bewahren würde.

    Vierzehn Interviews sechzig Jahre danach. Die Frauen sind längst über achtzig. Nicht ohne Verzagtheit angesichts der doch etwas schlichten und überdidaktischen Einführung der ehemaligen Geschichtslehrerin lässt man sich auf diese Zeitzeugenschaften ein. Oral history nach der Methode, Interviews zu monologischen Erzählungen zusammenzuschneiden. Deutlich schimmert noch das Raster der Fragen durch: Wann eingezogen, wohin, wie lange, wohin danach, Uniform, politisches Interesse, Stalingrad, 20. Juli und Kriegsende. Dennoch haben diese von den Medien noch unverbrauchten Erinnerungen Kraft. Das, was als Erschütterung in der Jugend ins Unterbewusste sank, steigt bei Achtzigjährigen oft in überraschender Frische hoch. Sie stehen jenseits aller Eitelkeiten und aller Rechtfertigungnot und lassen auch Schuldgefühle zu.

    Ich war allein unterwegs am Alexanderplatz. Nach Dienstschluss, in Uniform. Da kommt mir eine Frau entgegen, mit einem Judenstern. Und als sie mich sieht, drückt sie sich so richtig fest an die Wand. Sie hat wohl gedacht, da kommt dieses Flintenweib. Das ist mir heute noch schlimm. Das verfolgt mich.

    In Paris, Bordeaux oder in der "weißen" Stadt Belgrad stationierte Wehrmachtshelferinnen lebten gut, oft in Villen oder Hotels. Ihre Berliner Kolleginnen dagegen arbeiteten zu Hunderten in Viererschichten hinter den Fernsprechkästen im Oberkommando der Wehrmacht und schliefen in Kasernen. An der Ostfront saßen sie oft in Baracken fest, die Betten verwanzt und knöcheltief der Schlamm vor der Tür. Als habe es nie Wehrmachtshelferinnen gegeben, hätten sich nach 1945 die meisten in Schweigen gehüllt, schreibt Rosemarie Killius. Aus Scham, noch einmal als "Soldatenflittchen" oder – noch schlimmer – als "Offiziersmatratze" diffamiert zu sein. Diffamiert auch, sich im Ausland amüsiert zu haben, derweil die Heimatfront unter dem Terror des Bombenkriegs gelitten habe. Vor allem kränkte der Pauschalverdacht, Hundertprozentige gewesen zu sein. Solche Mädchen, heißt es unter ihnen unisono, seien jedoch Ausnahmen gewesen. Und: Die naive Begeisterung und Freiwilligkeit zu Beginn - "Ich war stolz auf die Wehrmacht" – habe eher mit Abenteuerlust zu tun gehabt. Nichts sei schöner gewesen, als dem ostpreußischen Dorf ins Ausland zu entkommen, dazu noch in schicker Uniform, das Schiffchen auf dem Kopf. Ein Blitzmädel wollte man sein. Später – nach Stalingrad - fühlten sich die jungen Frauen eher von der Wehrmacht "eingefangen". Vom Arbeitsamt weg, wo man sich doch eigentlich für die Reichsbahn beworben hatte. Oder gleich vom Reichsarbeitsdienst weg. Da wurden noch minderjährige Mädchen kriegsdienstverpflichtet. Elterneinspruch half nicht. Unfreiwillige Wehrmachtshelferinnen. Nicht alle Schicksale sind spannend. Mehr jedoch hätte man gern von der Deutsch-Baltin Eugenie S. erfahren, die, weil sie fließend Russisch sprach, in erster "Verwendung" in die Ukraine kam. Sie sollte dort ein Waisenhaus für ukrainische Kinder aufbauen.

    Sie sollten Deutsch lernen, weil man sie "eindeutschen" wollte. Diese Stadt gehörte zum Partisanengebiet. Es waren zehn- bis fünfzehnjährige Mädchen, völlig verlauste, verschmutzte und psychisch geschädigte Kinder. Immer wieder brachten mir die Einsatzkommandos vom Partisaneneinsatz zur Eindeutschung "rassisch wertvolle" ukrainische Kinder, deren Eltern sie erschossen hatten. Ich war jung und idealistisch. Aber ich erkannte die Ostpolitik des Führers in ihrer ganzen Grausamkeit.

    Danach kam Eugenie S. zu einem Bataillon der "Kosakendivision" von General Hellmuth von Pannwitz. Fassungslos erlebte sie, als der Krieg zu Ende war, in Norditalien, wie diese Männer, deren einzige Verbindung zur Außenwelt sie als Dolmetscherin war, und die gesamte Kosakendivision von den westlichen Alliierten in die Sowjetunion zurückgeschickt wurde. Gegen ihren Willen und entgegen aller Versprechen. In den sicheren Tod. Brisant auch ist, was Hella D. aus Fulda gegen Ende des Kriegs im Kriegswehrmachtsgefängnis auf der Burg von Verona sah:

    Da waren nämlich gefangene deutsche Soldaten drin. Deserteure. Und jeden Freitag exekutierten sie, mal zwei, mal drei. Und alle so jung! Die waren so weiß wie die Wand, wenn die abtransportiert wurden. Es war furchtbar. Wir haben immer versucht, das nicht zu sehen. Da waren regelrechte Gerichtsverhandlungen oben auf der Burg. Die kamen einmal die Woche. Das war so ein Frontgericht. Wir hatten 56 Todeskandidaten im Gefängnis, als es aufgelöst wurde. Die sind davon gekommen.

    Auch das gehört zum Thema: Viele Wehrmachtshelferinnen starben 1945 im Chaos der Auflösung, deshalb auch, weil die Wehrmacht ihren Rückzug nicht genügend mitgeplant hatte. Ewa 25.000 Mädchen in Uniform sollen der Roten Armee in die Hände gefallen sein. Die genaue Zahl der umgekommenen, vermissten und gefangenen Wehrmachtshelferinnen sei, klagt die Herausgeberin, nicht mehr feststellbar. Das sei wiederum, fügt sie hinzu, "auf das Desinteresse und die Missachtung von Seiten der Behörden damals und der Forschung heute zurückzuführen".

    Ariane Thomalla über Rosemarie Killius. Frauen für die Front. Gespräche mit Wehrmachtshelferinnen. Militzke Verlag, Leipzig. 190 Seiten, 19,90 Euro.