Archiv


"Rosige Zeiten" am Theater Erlangen

Unbeeindruckt von allen Moden beschreibt die Jung-Dramatikerin Katharina Schlender in ihrem neuen, ganz aus Sprache bestehenden Stück "Rosige Zeiten" die Sinnsuche vier skurriler Typen. Eine kluge Inszenierung bringt in Erlangen ein spannendes Stück zu sich selber – indem es dieses partiell verändert.

Von Hartmut Krug |
    Ein politisches Stück hatte das Erlanger Theater bei Katharina Schlender bestellt. Doch die erst 28jährige Dramatikerin, die sich in ihren von einer sperrig kräftigen, rhythmisierten Kunstsprache bestimmten Stücken unsere Welt als eine ganz eigene erschreibt, lieferte weder ein soziales Figurenpanorama noch ein kritisch anklagendes oder psychologisch analysierendes, vordergründig politisches Stück.

    Vier Personen mit sprechenden Namen erleben keine rosigen Zeiten, sondern suchen voll betrübter Energie in Sinnsuch- und Erklärungsversuchs-Sätzen ihre Identitäten. Dabei reden sie nicht klagend von Problemen oder besprechen sie untereinander, sondern sie fragen sich: Wer bin ich, wie kann ich leben, warum bin ich endlich, und - was ist Glück?

    Dabei bleibt jeder bei sich und scheint doch Teil der anderen. Katharina Schlender schreibt unbeeindruckt von allen Moden. Sie ist gleich weit entfernt von der ironischen Direktheit eines René Pollesch wie von der melancholischen Verträumtheit Christoph Marthalers, und mit Lars Norén verbindet sie allenfalls, dass in ihrem Stück viel passiert, das nicht direkt ausgesprochen wird. Schlenders Stück sucht seinen eigenen Ort, und der liegt irgendwo zwischen Franz Xaver Kroetz, Georg Seidel und Samuel Beckett, - immer aber auch zwischen Philosophie und Poesie.

    Es ist ein ganz aus Sprache gebautes Stück, dem zugleich die Skepsis vor der eindeutigen Erklär-Kraft von Sprache eingeschrieben ist. Vier skurrile Typen suchen sich selbst. Der handfeste Bruno Butterbrot wendet sich an die Welt mit Lebensweisheiten, will funktionierendes Rädchen im Getriebe des Berufslebens sein und verliert natürlich seinen Job. In Eddi Essig gärt es, denn er will nicht akzeptieren, endlich zu sein. Henry Heiser schreit vergeblich gegen die verstreichende Zeit an und fühlt sich in der Stadt verloren, will sich sehen und zugleich nicht erkannt werden.

    Es geht um Blicke und Masken, um Erkennen und Erkenntnis. Während Milena Mittenzwei vor allem geliebt werden will, von ihrer Tochter wie von anderen Menschen, - doch sie steht stets zwischen sich selbst und dem Leben. Bei der Stücklektüre merkt man schnell, daß hier ein einziges Individuum in vier Erfahrungshaltungen aufgesplittert wurde. Das macht auch die Inszenierung deutlich, aber zugleich gelingt es der Regisseurin mit viel Witz und szenischer Phantasie, das zusammen Gehörende immer wieder auf die einzelnen Figuren aufzuteilen.

    Dazu bringt sie vier Menschen verschiedener Altersstufen und aus unterschiedlichen Lebenslagen zu einer Art Ball der einsamen Herzen zusammen. Katharina Schlenders Sprache wird von Regina Wenig in Bewegung gebracht, indem sie für die Figurenhaltungen szenisch choreographierte Bilder findet. Oft münden Situationen und Selbstfindungssuche in Wunsch- oder Angstlieder, Udo Lindenberg wird ebenso zitiert wie der Song vom Highway to hell.

    Unter schäbigen Flittergirlanden sitzen die vier am Silvesterabend an Einzeltischchen und kämpfen, auch, indem sie die Uhren immer wieder zurück stellen, gegen die Zeit. Daß die Regisseurin öfter aus dem Off Reden von Kanzler Schröder klingen läßt, in denen die gesellschaftliche Wirklichkeit der Figuren markig verschönert und verzeichnet wird, wäre nicht nötig gewesen. Auch der lange Nachrichtentext, in dem die Autorin die Gentechnik als Hoffnung für ein tausendjähriges Leben erscheinen läßt, was den Figuren eher Horror statt Hoffnung macht, scheint in seiner Direktheit entbehrlich.

    Doch wie Katharina Schlenders Sprache die Schauspieler in nicht bebildernde, sondern spielerische und durchspielende Beweglichkeit bringt, das macht diese Uraufführung zu einem gleichermaßen unterhaltsamen wie im leichten Sinne tiefsinnigen Ereignis. Am Schluß schüttelt sich jeder der vier mit seinem eigenen Strick den Flitterregen als existentiellen Schnee aus dem Bühnenhimmel. Vier traurige Clowns scheinen in Beckettscher Verlorenheit jeder bei sich zu sein im Bewußtsein, tapfer sein zu müssen.

    So nimmt sich Eddie, der sich bei der Autorin erhängt, in dieser Uraufführung den Strick von Hals, und Milena unterläßt es, wie von Schlender gedacht, sich ein Iglu zu bauen und darin zu verkriechen. Sie kündigt an, jetzt ein Lied zu singen. Im Epilog stehen die vier irgendwie beieinander, und ihre so langen wie allzu grundsätzlichen Schlußmonologe durchmischen sich zur Undeutlichkeit. So ist das Leben, es geht weiter, es muß und soll weiter gehen. In Erlangen erleben wir ein schönes Beispiel dafür, wie eine kluge Inszenierung ein spannendes Stück, indem es dieses partiell verändert, zu sich selber bringen kann.