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Rot-Grün will Volksentscheide auf Bundesebene ermöglichen

Sie waren vorsichtig, die Väter unseres Grundgesetzes. Als Lehre aus der Vergangenheit verzichteten sie auf allzu viel direkte Demokratie. Es entstand eine fast lupenreine repräsentative Demokratie. Der Missbrauch von Volksentscheiden sollte verhindert werden, so das Ziel. Doch die Zeiten haben sich geändert. Auf Landes- und Kommunalebene sind heute fast überall Volksentscheide möglich. Nun will Rot-Grün ein Wahlversprechen praktisch in letzter Minute einlösen. Das Grundgesetz soll geändert werden, Volksentscheide sollen auch auf Bundesebene möglich werden. Morgen wird darüber im Bundestag abgestimmt. Die notwendige Zweit-Drittel-Mehrheit ist allerdings nicht in Sicht.

    Mit der Einführung von Volksentscheiden auf Bundesebene will die Koalition eine zentrale Forderung der Bündnis-Grünen umsetzen, die seit Gründung der Partei 1980 in ihren Programmen steht: Direkte Demokratie ins Grundgesetz. Die Bürgerbeteiligung am Gesetzgebungsverfahren als Kernanliegen grüner Demokratiepolitik. Der morgen zur Abstimmung stehende Vorschlag sieht mit der Volksinitiative, dem Volksbegehren und dem Volksentscheid ein dreistufiges Verfahren vor. Kommen 400.000 Unterschriften zusammen, können Initiativen für einen Gesetzentwurf im Bundestag gestartet werden. Hat das Parlament diese Vorlage nicht verabschiedet, darf ein Volksbegehren durchgeführt werden. Dazu müssen fünf Prozent der stimmberechtigten Wähler unterschreiben, also rund drei Millionen Bürger. Sollte dieser Schritt erfolgreich sein und der Bundestag das begehrte Gesetz immer noch nicht verabschiedet haben, folgt innerhalb von sechs Monaten der Volksentscheid. Dabei können die Abgeordneten gleichzeitig einen eigenen Entwurf zur Abstimmung stellen.

    Zusätzliche Hürden: Mindestens 20 Prozent der Wahlberechtigen müssen an die Wahlurnen. Bei Verfassungsänderungen sogar 40 Prozent. Das föderale Prinzip bleibt gewahrt, weil bei zustimmungspflichtigen Gesetzten einzeln ausgezählt wird und eine Ländermehrheit zusammen kommen muss. Zudem sind vor dem Start der drei Schritte bindende Voraussetzungen zu erfüllen: Es muss ein ausgearbeiteter Entwurf vorgelegt werden. Karlsruhe kann verfassungswidrige Vorlagen stoppen und Gesetzte zum Haushalt, zu Steuern und Finanzen oder die Wiedereinführung der Todesstrafe sind ausgeschlossen.

    Hat Kanzlerkandidat Edmund Stoiber, CSU, vor kurzem noch seine Unterstützung für die Einführung des Volksentscheides auf Bundesebene angekündigt, so ist jetzt nicht mehr mit der notwendigen Zweit-Drittel-Mehrheit im Bundestag am Freitag zu rechnen. Die Union lehnt basisdemokratische Elemente ab, weil damit keine Stärkung demokratischer Beteiligungsrechte erreicht werde. Extremisten erhielten einen weiten Aktionsspielraum. CDU, CSU sehen jetzt die Gefahr von Manipulationen und Missbrauch. Hauptkritikpunkte: Rechte der Länder würden verfassungswidrig eingeschränkt, das Budgetrecht des Parlaments beeinträchtigt, nicht dem Volk, sondern kampagnenfähigen Organisationen werde mehr Macht verliehen und die Kündigung völkerrechtlicher Verpflichtungen sei nicht ausgeschlossen.

    Streitgespräch mit Norbert Geis und Hermann Bachmaier als Real-Audio

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