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Rote Flora Hamburg
Das Phantom kehrt zurück

Das autonome Kulturzentrum und Schmuddelkind des Hamburger Schanzenviertels - die Rote Flora - überrascht die Hanseaten: Die Außenwände sollen von all den pittoresken Malereien, Graffiti-Schriftzügen sowie Plakatresten gesäubert werden. Und in der Roten Flora soll "Das Phantom der Oper" aufgeführt werden - jenes Stück, weswegen in den 80er-Jahren die Rote Flora besetzt wurde.

Von Sven Barske | 23.06.2015
    Das Kulturzentrum "Rote Flora" im Hamburger Schanzenviertel ist am 16.01.2014 zu sehen.
    Das autonome Kulturzentrum Rote Flora: Bald saniert und in neuem Glanz? (picture alliance / dpa / Maja Hitij)
    Es geht wieder um, das Phantom der Oper. Schon Ende der 80er-Jahre geisterte es durch die Schanze. Damals wollte ein Investor das historische Flora-Gebäude zum Musicaltheater umbauen und dort Andrew Lloyd Webbers Erfolgsstück aufführen. Daraus wurde nichts, weil Aktivisten das Haus besetzten. Sie wollten verhindern, dass das Viertel nach finanziellen Interessen umgestaltet würde, erinnert sich Andreas Blechschmidt, Flora-Besetzer der ersten Stunde.
    "Jetzt in der Rückschau müssen wir allerdings auch selbstkritisch feststellen: Die Rote Flora hat als besetzter Ort, als Ort von Subkultur und von nicht-kommerziellem Engagement eben auch Strahlkraft gehabt in den letzten 25 Jahren. Und ist zu einem Magneten für Touristen geworden, für Leute, die sich den Laden mal angucken. Und das ist ja eigentlich auch unisono und unbestritten Meinung in der Schanze, dass eben die Rote Flora zur Schanze dazugehört und auch ein Wahrzeichen der Schanze ist."
    Hamburger Aktionskünstler Christoph Faulhaber
    Womit sie ein Teil jener Standort-Vermarktung geworden ist, die sie eigentlich bekämpfen wollte. Es ist also nicht ohne Ironie, wenn der Hamburger Aktionskünstler Christoph Faulhaber nun das "Phantom der Oper" und die Rote Flora zusammenbringt.
    "Es gibt so eine Art von Fantasie, die ich habe, wenn ich darüber nachdenke: Was passiert, wenn dort das 'Phantom der Oper' inszeniert wird oder aufgeführt wird? Und das ist so eine gewisse utopische Vorstellung davon, dass sich die ganze Stadt - und gerade auch in ihren Verschiedenheiten - versammelt im Genuss."
    In Kooperation mit der Kulturfabrik Kampnagel will Christoph Faulhaber das Musical von Studierenden der Hamburger Hochschule für Musik und Theater vor dem Floragebäude aufführen lassen. Auf dem Baugerüst, das in der vergangenen Woche rund um das Gebäude errichtet wurde. Das ist Teil eins seiner Kunstaktion: ein Gerüst, das mit Planen verhängt wird. Auf ihnen ist das historische Äußere der Flora aufgedruckt: eine Scheinfassade. Das Berliner Stadtschloss lässt grüßen.
    "Der Reiz war diese Idee, die Gentrifizierung zu Ende zu denken. Also über die Stadtentwicklung, die hier überall durch die Stadtviertel und durch die Innenstadt Hamburgs gezogen ist, an dem Ort, an dem die Rote Flora steht, diesen Endpunkt zu signalisieren: Selbst die Rote Flora verschwindet hinter der Gründerzeitfassade."
    Sanierung der Hausfassade
    Ein ironisches Spiel also mit der Rolle, die die Rote Flora in der Umstrukturierung des Viertels gespielt hat. Und zugleich nutzen die Flora-Aktivisten das Baugerüst, um die Hausfassade zu sanieren. Die in den 70er-Jahren aufgetragene knallgelbe Latexfarbe wird mit dem Sandstrahlgerät abtragen, historische Fassadenelemente fachgerecht wiederhergestellt. All das hinter der bedruckten Plane.
    "Ich halte mich an dieser Rekonstruktions-Simulation fest, weil es im ersten Moment etwas Unglaubwürdiges und Unglaubliches hat. Und dann im nächsten Moment, wenn dann diese Folie fällt, auf einmal das doch Wirklichkeit wird, was vorher auf der Folie zu sehen war. Also, wenn ich ein historisches Bild der Flora vorne drauf drucke, sozusagen die alte Flora, und dahinter ist die Rote Flora, und wenn es dann fällt, die Folie, dann ist dahinter die neue Rote Flora, die wieder so aussieht wie die alte Flora. Und natürlich stellt sich dann die Frage: Was ist mit dem, was dazwischen war?"
    Das Baugerüst bezahlt die Hamburger Kulturbehörde. Die Fassadensanierung übernehmen Wandergesellen gratis. Eine Solidaritätsaktion für die Rote Flora.
    "Es hat ja so ein bisschen so was wie ein Zunge-Rausstrecken oder Ätsch-Faktor, finde ich fast, dass tatsächlich dieses besetzte Haus das auch kann - und vielleicht sogar noch besser kann -, was ansonsten Teil eben der privaten und ökonomisch gestrickten Aufwertungsgeschichte ist."
    Zwei Jahre haben der Künstler und sein Anwalt mit den Behörden gekämpft. Noch immer ist vieles unsicher. In letzter Sekunde musste eine neue Gerüstbaufirma beauftragt werden, weshalb sich die Produktion der Fassadenplane verzögert. Sie wird wohl erst zum Wochenende fertig.
    Und auch das Musical, das für den August angekündigt ist, ist längst noch nicht in trockenen Tüchern. Kann sein, dass gar nicht die Lloyd-Webber-Version gespielt werden kann. Kann sein, dass das Bauprüfamt noch einmal Schwierigkeiten macht. Aber auch solche Auseinandersetzungen sind Teil des Kunstwerks.